Im eng gesteckten Kosmos eines John Grisham muss man dem Autoren gerade aus heutiger Perspektive eines bescheinigen: Die Moral ist der rote Leitfaden, der sich durch alle seine Geschichten zieht und diesseits oder jenseits dieser Demarkationslinie lassen sich alle seine Figuren klar zuordnen. Das gibt stets es ein klar zu erkennendes Gut-und-Böse-Schema und die damit verbundene Kritik am Egoismus als Hauptmotor des US-amerikanischen Kapitalismus ist damals wie heute schlichtweg aktuell, wenngleich sich diese Erkenntnis heute stark abgenutzt hat.
Insofern haben wir mit „Die Jury" tatsächlich ein Variation innerhalb des Sujets, denn hier geht es nicht um einen kleinen Anwalt, der gegen von finanziellen Interessen getriebene große Anwälte und ihre das Gesetz beugende oder brechende Klienten vorgeht. Hier geht es um einen kleinen Anwalt, Jake Brigance, der sich gegen den Staat Mississippi und seinen Repräsentanten, den ehrgeizigen Staatsanwalt Rufus Buckley, stellt. Und dabei geht es nicht um Auswüchse des Kapitalismus, sondern um das tiefgreifende Thema des fest verankerten Rassismus im US-amerikanischen Süden.
Die Geschichte um einen schwarzen Vater, der die weißen Vergewaltiger seiner zehnjährigen Tochter erschießt und deswegen wegen Mordes und voraussichtlich zum Tode verurteilt werden soll, greift dann die bekannten Motive auf, die man mit Blick auf die Spaltung der Zivilgesellschaft angesichts des Themas erwartet. Inklusive Ku-Klux-Klan-Marsch, passive Duldung von Rassismus, Trennlinien zwischen schwarzen und weißen Bevölkerungsgruppen, Bürgerrechtsbewegungen etc.
Die Figuren erweisen sich dabei allesamt als sehr stereotyp, was angesichts des sensiblen Themas mitunter etwas mutlos erscheint. Die Rednecks finden alle, „Nigger" seien keine Menschen, der Staatsanwalt will die Publicity nutzen, um sich bei der weißen Wählerschaft Stimmen für eine zukünftige Gouverneurswahl zu sichern, der junge Anwalt ist bereit, für seine Überzeugung selbstlos persönliche Opfer zu akzeptieren, der schwarze Sheriff ist ein netter Kerl...Das ist aber alles eigentlich überhaupt nicht weiter wild, denn ein solches Thema muss ja irgendwie greif- und erzählbar gemacht werden. Es gibt aber einige deutliche Schwachpunkte, die sich jedes Mal bei Sichtung des Films erneut aufdrängen.
Das Thema wird zunächst zu stark vereinfacht. Die elementare Frage, wie Rassismus entsteht, beziehungsweise immer noch lebendig bleibt, wird im Film zu keiner Zeit aufgegriffen. Es wird der Eindruck erweckt, dass wenn man weiß ist und in Mississippi lebt, man mit einer Sicherheit von 80% Rassist sei. Das ist da anscheinend halt so. Entweder ist man absoluter Vollblutrassist mit Vokuhila und Bart oder man ist eben ein passiver Rassist, der das Ganze duldet, weil man persönlich ja nicht benachteiligt ist. Hier hätte man gerne noch etwas tiefer schürfen können, denn genau in dieser breiten Masse der Menschen liegt ja das Problem innerhalb der Gesellschaft: Rassismus wird ohne Anti-Rassismus nicht verschwinden. Der Film zeigt das Problem an der Oberfläche, nimmt sich aber keine Zeit dafür, obwohl man eine moralische Frage in den Kern der Erzählung stellen möchte.
Daran macht sich auch die Frage fest, wie gerecht das amerikanische Justizsystem ist, wenn es um die Hautfarbe von Angeklagten geht. Irgendwo schwingt das im Film mit und soll ja auch das Handlungsmotiv des Vaters sein: Weiße Täter werden milde bestraft, wenn das Opfer schwarz ist und als schwarzer Mensch kann man dem Justizwesen nicht trauen. Auch dieses Thema ist damals wie heute elementar, wird aber erneut von dem Film so ganz nebenbei und lieblos abgehandelt. Aber genau darum sollte es doch gehen, denkt man sich da.
Und letztlich werden diese Felder so schwach herausgearbeitet, dass die zentrale Fragestellung des Films mich eher abstößt als mitfiebern lässt. Joel Schumachers Film nimmt den Zuschauer an die Hand und stellt den Kampf um einen Freispruch für den nachweislichen Mörder in die Mitte seines Films. Nach hiesigem Rechtsverständnis schüttelt man da mehr als einmal mit dem Kopf, denn die Vorstellung, dass jeder Mensch sich sein eigenes Recht schafft, erzielt zumindest bei mir das maximale Unbehagen. Wenn dann filmsprachlich als aufrichtig dargestellte Figuren den Mörder als Helden bezeichnen, wird das Feld der ernsthaften Auseinandersetzung gänzlich verlassen und man bewegt sich in einem entkoppelten Paralleluniversum, dass man allenfalls noch eine Parabel erkennen könnte, wenn der Film nicht durch seine dramatischen Szenen wieder und wieder einen unpassenden Realitätsanspruch stellen würde.
Ob das an der Romanvorlage liegt, weiß ich nicht zu sagen, ich habe sie nicht gelesen. Aber ich wage es zu bezweifeln und es entsteht der Eindruck, dass all die Dinge, die ich oben als zu wenig ausgeleuchtet angeprangert habe, im Roman vorhanden sind und das Thema so auch angemessener aufgegriffen wird, der Film aber zu sehr auf die dramatischen Effekte setzt, den Schwerpunkt verlagert und zu einer Aussage kommt, die man klar anzweifeln muss:
Ein Mann erschießt zwei bereits inhaftierte und gefesselte Männer und wird dafür gänzlich freigesprochen und gewissermaßen zur Heldenfigur, die am Ende im Kreise von Familie und Freunden seine Freiheit feiern kann, obwohl er vor Gericht ausgesagt hat, dass er sein Verhalten nicht bereue und aus Rache für seine vergewaltigte Tochter gehandelt habe. Da ist die Demarkationslinie zwischen Richtig und Falsch irgendwie verrutscht.
Der Mann wird der Erzählweise des Films nach von einer rein weißen Jury für einen Doppelmord freigesprochen, gerade weil er schwarz ist und man sich plötzlich für den eigenen Rassismus schämt. Der Auslöser war das Schlussplädoyers des Verteidigers, das mit einem einfachen aber effektiven Trick arbeitet und von Matthew McConaughey so triefend vorgetragen wird, dass es spätestens bei der zweiten Sichtung kaum noch zu ertragen ist. Aber der emotionale Vortrag hat im Film auch eine hervorgehobene Figur aus der Jury erreicht, die auch gerne das „N-Wort" für den Angeklagten verwendet, aber keinen Vokuhila und Vollbart trägt und so gesehen den prototypischen weißen Durchschnittsrassisten repräsentiert. Irgendwie will das alles nicht hinhauen und ist zutiefst unglaubwürdig.
Fazit
Joel Schumacher ist mit dem Stoff sichtlich überfordert gewesen und hat einen extrem plakativen Südstaatenthriller heruntergekurbelt, der sein sehr ernstes Thema zu einer Anhäufung von Klischees verkommen lässt. So schiebt sich über den Film mehr und mehr die Frage nach Schuld und Unschuld einer einzelnen Person in den Mittelpunkt, die dann leider nicht genutzt wird, um die Problematik des tief verwurzelten, systemimmanenten Rassismus ernsthaft aufzugreifen und in den Film in eine nicht mehr nachvollziehbare moralische Schieflage geraten lässt. Die Emotionalisierung des Themas zum Crowdpleaser in Form typischer Hollywood-Konfektionsware zieht sich dabei durch sämtliche filmischen Ebenen.
Besonders die Schauspieler tragen allesamt zu dick auf, was „Die Jury" zu einem gänzlich unrealistischen Stück Kitsch verkommen lässt, das dem Thema einfach nicht gerecht wird. Aus der Vorlage hätte man einen deutlich eindringlicheren Film machen können und auch müssen.