Review

Einen nicht ganz alltäglichen Italowestern schuf Carlo Lizzani („Der Sizilianer“, „Mussolini - Die letzten Tage“) mit „Mögen sie in Frieden ruhen“. Um Distanz von den sich wiederholenden Inszenierungen der oft durchschnittlichen Genreverwandtschaft bedacht, pflegte der Filmemacher in sein nicht allzu variantenreiches Thema eine Vielzahl ungewöhnliche Aspekte ein, die sich in der Inszenierung selbst wiederfinden.
Gespickt mit religiösen Andeutungen und einem aristokratischen, nicht alternden Bösewicht (Mark Damon, „Johnny Yuma“, „Der feurige Pfeil der Rache“), der mit blasser Haut, einem schwarzem Umhang und dunkel geschminkten, blutunterlaufenen Augen geradewegs einem klassischen Vampirfilm entsprungen sein könnte, prägt das Szenario einen düster-bedrückender Look. Selbst wenn am Tag die Sonne scheint, durchdringen die Strahlen nie die alles verschluckende, graue Wolkendecke am Himmel. Ganz so, als hätte Lizzani das Szenario mal eben in die Karpaten verlegt. Insbesondere die Inszenierung des feuchtfröhlichen Schießwettbewerbs im unheimlichen Kellergewölbe zu Kerzenlicht tendiert ja auch bestimmt in eben jene Richtung.

Der düstere Gothik-Anstrich mit seinen kräftigen Farben passt ganz vorzüglich zur ernsten Geschichte von Requiescant (Lou Castel, „Töte Amigo“, „Geständnis einer Nonne“). Der einfältige Mann wurde als Bub zusammen mit seinen Eltern und rebellierenden Mexikanern von dem Großgrundbesitzer George Bello Ferguson (Damon) in eine Falle gelockt und in einem blutigen Massaker gnadenlos hingerichtet. Er selbst überlebte damals als einziger, erlitt jedoch eine Schusswunde am Kopf und leidet seitdem an Amnesie. Ein erzkonservativer Wanderprediger nahm den orientierungslos in der Wüste umherirrenden Jungen mit sich und erzog ihn nach den Tugenden der Bibel. Als es dessen Tochter heimlich in die weite Welt hinaus zieht, beschließt Requiescant sie wieder zu ihren Eltern zurückzubringen. Geleitet von der Bibel, zieht er los findet zu sich selbst und schließt nach vielen Jahren den Kreis, der ihn zum Mörder seiner Familie führt..

Der pessimistischen Bebilderung Lizzanis ordnet Riz Ortolani („Der Tod ritt Dienstags“) einen ebenso kribbeligen Score zu, während sich Requiescant (Abgeleitet von Requiescant in pace = Ruhet in Frieden) ohne überhaupt viel von der Welt dort draußen zu wissen mit naiver Zuversicht auf den beschwerlichen Weg macht und sein scheinbar angeborenes Schießtalent entdeckt. Später tönen dann immer wieder Orgeln, die Ortolanis genretypischen Kompositionen ablösen, wenn es brenzlig wird und Lizzani auf einen Spannungshöhepunkt hininszeniert. Gern auch mit trostlosen Bildern, die latent eine ungemütliche Endzeitstimmung generieren. Rein formell ist dieser Film inklusive seines symbolträchtigen Finale ein echter Genuss.

Einen kurzen Durchhänger leistet sich Carlo Lizzani nur, als er Requiescant im Schnellverfahren aufzieht und seinen Werdegang unter den Fittichen des Predigers inklusive der Beziehung zu dessen Tochter in arg kitschig-idyllischen Bildern festhält, bevor er wieder auf seine harte Linie zurückschwenkt und einen weitestgehend humorlosen Italowestern inszeniert, in dem die späte Rache und Gier einmal mehr die Antriebsfaktoren darstellen.
Für Requiescant spielen sie aber erst später eine wichtige Rolle. Ohne rechte Kenntnis über die harte Welt abseits der Obhut seines Ziehvaters nimmt er seine Rolle als bibelfester Held wider Willen unbewusst an. Im Nu frühstückt er im Doppelpack gleich vier Banditen ab und entlässt sie mit letzten Bibelversen aus ihrem irdischen Leben, bevor er in einer Spelunke in San Antonio endlich Princy (Barbara Frey, „Kommissar X - In den Klauen des goldenen Drachen“) wiederfindet, die sich dort als Prostituierte durchschlägt und ihrer Illusionen des aufregenden Lebens einer Tänzerin längst beraubte wurde.

Die Funktion der regelmäßig den Weg von Requiescant kreuzenden Mexikaner (eine Art Guerilla-Force), die seine toten Gegner jeweils um ihre Waffen erleichtern, eventuell begraben und weiterziehen, soll sich erst nach und nach erschließen. Sie stehen, soviel sei verraten, mit seiner Vergangenheit in Verbindung und helfen ihm auch schließlich auf die Sprünge. Der charismatische Anführer Pater Don Juan wird von Pier Paolo Pasolini („Accattone“, „Das Erste Evangelium Matthäus“) dargestellt, den man eigentlich eher als unbequemen Regisseur und Autor des italienischen Kinos in Erinnerung behielt und der unter reichlich mysteriösen Umstände starb, die letztlich zu einer kleinen Legendenbildung mit eifrigen Verschwörungstheorien führten.
Der Faschismusgegner bezieht als rebellischer Mexikaner eine ähnliche Position wie die Figuren in seinen eigenen Filmen. Vor der Kamera stand der Mann nur sehr selten und gerade für einen solchen Italowestern ist die Anwesenheit so einer Persönlichkeit natürlich eine Auszeichnung. Seine Regulare Franco Citti und Ninetto Davoli brachte er als Gefolgschaft gleich mit.

Trotzdem gehorcht „Mögen sie in Frieden ruhen“ natürlich den Gesetzen des Genres, die zunächst einmal besagen, dass Requiescant nicht so ohne Weiteres seine Princy mitnehmen kann. Da haben ihr Zuhälter Dean Light (Ferruccio Viotti) und dessen Chef Ferguson auch noch ein Wörtchen mitzureden. Der friedfertige, ja lethargische Requiescant ist für Lights Provokationen zunächst nicht empfänglich, gleichzeitig aber über alle Maßen mit Naivität beschlagen, dann allerdings wiederum schlitzohrig genug um von Ferguson, der „seine“ Stadt diktatorisch und totalitär regiert, angehört zu werden. Keine Frage, der Junge ist ein Unikat. Eines, das sich einwickeln lässt und dem die Bibel das Leben rettet. Ständig ungläubig auf seinen Revolver blickend, zweifelt er es selbst daran aus dem Hinterhalt und den Schusswechseln lebendig hervorzugehen.

Carlo Lizzani liegt sehr daran seinen Protagonisten schrittweise weiter zu einer Erlöserfigur zu stilisieren, die den armen Mexikanern final an dem Ort die Freiheit bringt, an dem auch sein Gedächtnis zurückkehrt. Mit ihm gehen gleich seine Bestimmung und seine Identität einher. Seine Mission interpretiert er von nun anders, begeht seine folgenden Taten in dem Bewusstsein die Mörder seine Familie zur Strecke zu bringen deutlich mit Genuss und nicht mehr so teilnahmslos. Als Zuschauer nimmt man ihn nach anfänglich ulkiger Ideen (die Kochpfanne, um den Gaul voranzutreiben) von da an wesentlich ernster.

Auf dem Weg zur Kehrtwende wird das Szenario zunehmend härter. Dean verabreicht Princy Drogen und steckt sie wieder in sein Bordell, das sie abreisefertig und auf Requiescant wartend gerade verlassen will. Der findet schließlich an dem Ort des Massakers zwischen den Gebeinen der hingerichteten Mexikaner wieder zu sich selbst, verliert dafür Princy, wird gefangen genommen, stirbt aber nicht als Märtyrer sondern wird gefoltert. Frauen werden erwürgt, Männer vergiftet, Ferguson lässt seiner sadistischen Ader freien Lauf und er selbst entkommt knapp mit fremder Hilfe....

Highlights bietet „Mögen sie in Frieden ruhen“ danach noch mehr als genug. Die bläuliche Ausleuchtung der Hintergründe in der Nacht ist erlesen, ja bisweilen surreal und der Ton dazu verdammt rau.
Genüsslich bereitet Carlo Lizzani das Finale zunächst mit einem ungewöhnlich ausgeführten Duell im Saloon vor. Er zelebriert diesen Moment geradezu. Die heimlichen Vorbereitungen zieht er spannungsgeladen ewig hin und sorgt für Ablenkung im Saloon durch eine mexikanische Band. Der Mann mag kein Sergio Leone sein, aber er weiß, wie er mit der Erwartungshaltung seines Publikums spielt und die Situation langsam auf einen Höhepunkt treibt: Die Musik setzt aus, der Schlag der Uhr ertönt in der Stille und die Kameras zoomen auf die Augen bis die Anspannung sich entlädt. Dann schlägt der Gong. Ein herrlich effektiver Moment, indem Lizzani endlich in einer Liga mit den ganz Großen des Genres spielt.

Die spektakuläre Fortsetzung der Ereignisse hält er darauf nicht mehr lange hinterm Berg, sondern legt gleich nach. Ferguson trifft im Saloon ein, sieht das Resultat, schlussfolgert umgehend und erstürmt wütend die verfallene Bastion der Mexikaner. Die feurige Zerstörungsorgie mit hohen Verlusten und einem einfallsreich improvisierenden Requiescant dienen als konsequente Überleitung auf das packende Finale, in dessen Verlauf die Gebeine der Toten in stimmungsvoller Stille geborgen werden und sich schließlich auch die beiden Kontrahenten gegenüberstehen (O-Ton Ferguson: Das kann doch nur mit dem Teufel zugehen!).


Fazit:
„Mögen sie in Frieden ruhen“ mag mit seiner ungewöhnlichen Art anecken und sicherlich nicht jedem Genrefan gefallen. Dafür ist er auch zu „anders“, denn hier kulminieren einige Elemente, die nicht Gang und Gebe in diesen Breitengraden sind. Aber gerade solche Innovationen fehlen dem Italowestern einfach zu oft.
Mark Damon verkörpert sichtlich vergnügt mit Hingabe den unbarmherzigen Bösewicht und stellt damit genau den richtigen Gegenpol zum ruhigen und in sich gekehrten Lou Castel, der seinen Charakter wesentlich ruhiger und bedächtiger anlegt.
Carlo Lizzanis phantasievoll Regie kann anhand ihrer experimentierfreudigen Einstellung getrost als ungewöhnlich frisch und abwechslungsreich bewertet werden, wohingegen das beindruckend fesselnde Szenario zwar auf bewährten Basismotiven fußt, sie aber ganz eigenständig interpretiert und damit „Mögen sie in Frieden ruhen“ entscheidend von verwandten Produktionen abgrenzt. Letztlich aufgrund der ungewöhnlichen Kombination von Religion, Italowestern und Horrorfilm ein ganz eigenartiges Sujet, das sich eindeutig an ein aufgeschlossenes, weniger vorbelastetes Publikum richtet. Ich kann mir gut vorstellen, dass Hardliner damit weniger umgehen können.

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