„Wer heute noch Lehrer wird, muss wahnsinnig sein!“
Eine der deutschen Domänen sind Paukerfilme, von denen die „Lümmel von der ersten Bank“-Reihe, die es zwischen 1968 und 1972 auf sieben Teile brachte, die langlebigste sein dürfte. Und mit ihr ist es so eine Sache: Mindestens zwei Generationen haben diese in ihrer Kindheit allein schon durch die zahlreichen TV-Wiederholungen gesehen und hatten ihren Spaß an ihr, doch mit Jugend und Erwachsenwerden des Publikums sind diese Filme unheimlich schlecht gealtert. Sie galten bald als bieder, überholt, nervig oder gar unerträglich. Ein Kult hat sich nie um sie entwickelt.
Davon ungeachtet hievte der „Türkisch für Anfänger“-Regisseur Bora Dagtekin, deutscher Sohn eines türkischen Vaters, mithilfe der Rat-Pack-Filmproduktion und der Constantin Film sowie dem Kekshersteller Leibniz (Co-Finanzierung durch Produktplatzierungen) im Jahre 2013 einen Reboot ins Kino, das zu einem überragenden Erfolg beim Mainstream-Publikum avancierte. Dafür orientierte er sich insbesondere am zweiten und vierten Teil der „Lümmel“-Reihe, verlegte die Handlung jedoch von einem Baden-Badener Gymnasium in eine Münchner Gesamtschule.
Als Zeki Müller (Elyas M'Barek, „Teufelskicker“) nach dreizehn Monaten aus dem Gefängnis entlassen wird, führt sein erster Weg zu jenem Versteck, in dem seine Komplizin Charlie (Jana Pallaske, „Engel + Joe“) die Beute aus dem Bankraub versteckt hat. Doch aus der Baugrube ist mittlerweile die neue Turnhalle der Goethe-Gesamtschule geworden. Um bei seinen nun unweigerlich anstehenden Ausgrabungen keinen Verdacht zu erzeugen, bewirbt er sich als Hausmeister an der Schule und erschleicht sich geschickt die Anstellung – jedoch aufgrund eines Missverständnisses nicht als Hausmeister, sondern als Aushilfslehrer. Die dafür nötigen Nachweise kopiert er kurzerhand von Elisabeth „Lisi“ Schnabelstedt (Karoline Herfurth, „Vincent will Meer“), der frischgebackenen Klassenlehrerin der 10b – deren Vorgängerin („Lümmel“-Reihe Veteranin Uschi Glas) sich gerade erst in suizidaler Absicht aus dem Fenster gestürzt hatte. Lisi erweist sich jedoch als vollends überfordert mit ihrer bildungsfernen, undisziplinierten Klasse und erpresst Zeki: Wenn er die 10b übernimmt, verrät sie ihn nicht bei der der Direktorin (Katja Riemann, „Die Relativitätstheorie der Liebe“). Fortan gräbt Zeki nachts seine Tunnel unterm Gebäude und versucht tagsüber, mittels unkonventioneller Methoden sowie konstruktiver Zusammenarbeit mit Lisi und deren Mitbewohnerin Caro (Alwara Höfels, Dresdner „Tatort“) die 10b in den Griff zu bekommen. Da gelingt nach und nach erstaunlich gut, und Lisi und er kommen sich immer näher…
Deutschlands marodes Schulsystem mit seinen vielen ungelösten Problemen, von denen überforderte Lehrkörper nur eines sind, nimmt Dagtekin als Grundlage für eine zeitgenössische Aktualisierung der Paukerfilme – und löst diese komplett aus einem intellektuellen Umfeld. Bei Cineastinnen und Cineasten disqualifiziert sich „Fack ju Göhte“ mit von nominellen Identifikationsfiguren ausgesprochenen, haltlosen Aussagen wie „Wenn's einen Film nicht auf DVD gibt, ist's ein Scheißfilm!“ und passt sich mit schnellen bis hektischen Schnitten, hoher Gag- und Aktionsdichte, schnell heruntergeratterten Dialogen sowie fast permanenter Pop-Musikuntermalung seiner Zielgruppe an: idiotischen Teenies. Diese dürfen sich über den vulgären Duktus, die ständigen Sexualisierungen und die immer alberner und absurder werdenden Inhalte (Stichworte: Graffiti-Aktion, Sexualhormone) scheckiglachen und sich mit den permanent ins Bild gehaltenen Zuckerkeksriegeln vollstopfen, ohne dabei zu bemerken, wie der Film auf offenbar bewusst antipädagogische Weise eine harte Hand und einen autoritären Lehrstil propagiert.
Lisis kleine Schwester Laura (Lena Klenke, „Das letzte Schweigen“) fühlt sich hässlich? Kein Problem, lässt Zeki sie eben kurzerhand im Bordell aufstrapsen, damit sie sich besser fühlt. Denn merke: Weibliches Selbstwertgefühlt lässt sich am besten dadurch steigern, dass man so aussieht, wie es die prolligen Jungs mit der großen Klappe gern hätten. Im Zuge einer Klassenexkursion werden Hartz-IV-Empfänger(innen) diskreditiert, später machen sich Dagtekin und sein Publikum über eine dicke Schülerin lustig – ausschließlich aufgrund ihrer Leibesfülle. Gegen Ende wird dann noch gegen integrative Schulen und „Ökos“ ausgeteilt. Dass es ab einem gewissen Punkt erst sentimental, dann gefällig und schließlich richtiggehend kitschig wird, wird von mehreren über den Film verteilten Kotzszenen kontrastiert, die zugleich eine Reaktionsempfehlung darstellen. Was sich vielleicht wie eine anarchische Attacke auf den guten Geschmack und politische Korrektheit liest, scheint mir vielmehr krampfhaft auf lustig getrimmter, ironiefreier Ausdruck regressiver Ansichten zu sein.
Doch auch „Fack ju Göhte“ hat seine Momente: Er gewinnt, wann immer er pfiffig Schulklischees aufs Korn nimmt, ein paar Gags und Sprüche sind tatsächlich gelungen und die spielfreudigen Jungschauspielerinnen stechen derart neben der ehrwürdigen Katja Riemann aus dem Ensemble hervor, dass es eine Wonne ist, ihnen zuzuschauen. Die Ausarbeitung eines Bühnenstücks entfällt hier auf eine „Romeo & Julia“-Modernisierung im Rahmen der Theater-AG, die beinahe die spannendere Geschichte zu bieten hat, derart peinlich minutiös folgt Dagtekin in seinem Film der klassischen Dramaturgie aus dem Lehrbuch.
Leider ist „Fack ju Göhte“ über weite Strecken eine oberflächliche, dümmliche Komödie inklusive draufgepfropfter schmieriger Romanze, die weit hinter ihren Möglichkeiten zurückbleibt. Anstelle einer intelligenten Parodie aufs deutsche Schulsystem, die sich aufmacht, den Problemursachen auf den Grund zu gehen, erhält man eine mit Ach und Krach durchschnittlich lustige und unterhaltsame Komödie mit sowohl verdienten als auch jungen, gut aufgelegten Darstellerinnen und Darstellern, die zu oft die Falschen in die Pfanne haut und sich bei den Falschen anbiedert.
Ihre im Prinzip einzige halbwegs pädagogische Erkenntnis, dass Kinder und Jugendliche unterrichtende Lehrerinnen und Lehrer in der Lage sein sollten, sich ein Stück weit in ihre Schutzbefohlenen hineinzuversetzen, walzt sie in Überlänge aus und bleibt letztlich dermaßen harmlos, dass sie beinahe selbst wie ein Symptom der Bildungsmisere wirkt. Ich prognostiziere der mittlerweile auf drei Teile ausgedehnten Reihe daher langfristig ein ähnliches Schicksal wie der „Lümmel“-Reihe…