Review

„Nullbockblasen"

„Heul leiser, Chantal!" Sagts, legt die Füße wieder gemütlich aufs Lehrerpult und widmet sich weiter der Lektüre des aktuellen Bauhaus-Prospekts. Nein, als einfühlsamer Pädagoge wird Aushilfslehrer Zeki Müller garantiert nicht missverstanden werden. Bei der „Mein Beruf ist Berufung"-Fraktion läuft er auch nicht Gefahr sich anzubiedern. Vielmehr bedient er das gängige Klischee vom faulen, unmotivierten und desinteressierten Pauker, dessen Beamtenstatus ihn in jeder Hinsicht unantastbar macht und dem selbst die vergleichsweise enorme Anzahl an Ferientagen noch nicht zur Erholung von seinem Halbtagsjob genügt.

Wer aber jetzt denkt, der erfolgreichste deutsche Film der letzten Jahre ist eine gnadenlose Abrechnung mit dem System „Schule" und den dort angestellten „Erfüllungsgehilfen", irrt gewaltig. „Fack ju Göthe" ist zwar kein flammendes Plädoyer für den Lehrberuf, schließlich wird den hier auftretenden Pädagogen teilweise auf das Übelste mitgespielt. Von einer Demontage der Lehrerzunft kann aber ebenso wenig die Rede sein.    
Überhaupt ist die ganze Aufregung um den Film nicht der Rede wert. Weder handelt es sich um eine bissige, sozialkritische Milieustudie über den (vermeintlich desolaten) Zustand des heutigen Schulwesens und -alltags, noch um eine intelligente Satire gesellschaftlicher Brennpunktthemen.

Vielmehr ist „Fack ju Göthe" in erster Linie eine klassische Wohlfühl-Komödie, die lediglich auf etwas derberem Weg zum sonnigen Ziel führt. Dazu bedient man sich ausgiebigst bei gängigen Klischees über heutige Jugendliche, Lehrer und Schulpolitik, treibt diese genüßlich auf die Spitze, nur um dann am Ende durchaus allgemeinhin anerkannte Werte hochzuhalten und abzufeiern, die sich auch in den meisten, wenn nicht allen, Schullehrplänen der Bundesländer wiederfindenden.

Die zahllosen Schulsondervorstellungen sprechen in dieser Hinsicht eine überdeutliche Sprache. Und auch wenn einige Lehrer ob dieses Umstands entsetzt waren bzw. sind, so muss man definitiv zugeben, dass das miserable Schüler-Lehrer-Verhältnis sowie die zunächst nicht vorhandene Grundeinstellung zum Lernen sich am Ende in purer Harmonie mit Zuckerguss auflösen.
So gewinnt die vormalst renitenteste und motivationsloseste Klasse der Schule nicht nur den zweiten Platz bei einem Theaterwettbewerb, sie entscheidet sich auch noch trotz fehlender Aufsicht in der entscheidenden Klausur bewusst gegen das Spicken und bringt schlussendlich einer zuvor mit allen Regeln der Schülerkunst zerlegten Referendarin den nur wenigen Pädagogen vergönnten Kombipack aus Zuneigung und Respekt entgegen.

Dieses Friede-Freude-Eierkuchen-Prinzip gehört zu den Eckpfeilern nicht nur der deutschen, sondern auch der US-amerikanischen Mainstream-Komödie. Trotzdem hebt sich „Fack ju Göthe" wohltuend von dem inzwischen ob seiner Redundanz und Penetranz gelackt wirkenden Schweiger-Schweighöfer Erfolgsrezept ab. Weder ist Ausstattung und Optik einem beige-braun getönten Ikea-Look verfallen, noch erklingt alle 5 Minuten ein radiotaugliches Popliedchen. Auch die Sprache ist deutlich derber, was für den Humor insgesamt gilt.
Die Seitenhiebe auf bestimmte Klischee-Lehrertypen wie Burnout-Kandidat, vom Realitätsschock heimgesuchte, naiv-idealistische Lehramtsanwärter, über  „Holt mal den Fernseher"-Faulpelze, bis hin zu Schulleitungen, die längst vor der weltfremden Bürokratie und Weisungswut der Ministerien kapituliert haben und sich in pragmatischen Sarkasmus flüchten, sind gerade wegen ihrer gnadenlosen Überzeichnung überaus treffend und äußerst witzig, ohne dabei hinterhältig zu sein. Schlussendlich erhält die Verlogenheit der gesamtgesellschaftlich offiziell unantastbaren „Political Correctness" eine gnadenlose Abreibung und wird erfrischend schonungslos ans Licht gezerrt (Höhepunkt ist dabei sicherlich der durch Zekis Schmierenkomödie „gerettete" Besuch vom Jugendamt bei der allein erziehenden Sigi).

Katalisator für diese teilweise bitterbösen Breitseiten ist die Hauptfigur Zeki Müller (Elyas M´Barek). Der frisch aus dem Knast entlassene Kleinganove will sich eigentlich als Hausmeister der Münchner Göthe-Gesamtschule bewerben, um möglichst unbemerkt an seine unter der neu gebauten Turnhalle versteckte Beute zu kommen. Unversehens erhält er aber einen Vertrag als Aushilfslehrkraft, da die Burnout-Ikone der Schule (die chirurgisch aufgemotzte Uschi Glas in einer blöden Sidekick-Rolle) mal wieder aus dem Fenster gesprungen ist. Natürlich landet er bald bei der unbeschulbaren 10B, die ihre jeweiligen Lehrer mit den fiesesten Streichen und verbalen Gemeinheiten stets erfolgreich aus dem Klassenzimmer mobben. Doch vor Zekis beherzt unpädagogischen Holzhammer-Methoden kapitulieren schließlich auch sie.
Unerlaubtes Fernbleiben vom Unterricht bestraft er mit Paintball-Gewehrfeuer, die Berufswünsche „Drogendealer" und „Hartz-IV-Empfänger" kuriert er mit „Exkursionen" zu seinen entsprechenden, völlig verwahrlosten Bekannten und sich vom Schwimmunterricht mit allerlei fadenscheinigen Ausreden abseilende Drückeberger wirft er kurzerhand ins Wasser. Besonders deutlich bekommen die beiden Rädelsführer der Klasse Zekis unorthodoxen Erziehungsstil zu spüren. Dem rüden, gerne auch mal handgreiflichen Max ersäuft er vor versammelter Mannschaft beinahe im Schwimmbecken (dass er dafür wenig später auch noch den ermunternden Segen des Vaters erhält, ist einer der schwärzesten Treffer des Films) und der tussihaften Zicke Chantal redet er Hochbegabung ein, woraufhin sie sich dem nerdigen Wissenschafts-Team der Schule anschließt.

Natürlich hat dieser Anti-Lehrer eigentlich das Herz auf dem rechten Fleck. So entwickelt er nach und nach echte Zuneigung für seine ungezogenen Zöglinge und wird sich seiner Verantwortung für deren Bildung und Erziehung bewusst. Großen Anteil daran hat sein Gegenstück Lisi Schnabelstedt (Karoline Herfurth). Die idealistische, aber völlig überforderte Referendarin und der coole, selbstgefällige Gelegenheitslehrer verhalten sich anfangs wie Hund und Katze. Dass aus dieser Zweckgemeinschaft (Schnabelstedt braucht Müller um ihre Klasse in den Griff zu kriegen, im Gegenzug verschweigt sie Müllers gefälschte Zeugnisse und lässt ihn bei sich wohnen) völlig gegensätzlicher Charaktere am Ende traute Zweisamkeit entsteht, gehört zu den klassischen Unglaubwürdigkeiten der RomCom. Wie so oft steht und fällt deren Akzeptanz mit den Darstellern. Und da kann „Fack ju Göthe" groß auftrumpfen.

Der in Culture-Clash-Fragen bestens erprobte M´Barek („Türkisch für Anfänger") ist ein Bilderbuch-Sympathiebolzen. Gut aussehend, ohne den geleckten Schönling zu geben, sympathisch, ohne in die Muster-Schwiegersohn-Falle zu tappen, vor Charme sprühend, ohne affektiert oder schmierig zu wirken, ist der tunesisch-stämmige Münchner das große Plus des Films. Die äußerlich wie vom Auftreten her deutlich sprödere Karoline Herfurth ist dazu das ideale Gegenstück, das trotz der teilweise stark karikaturhaften Züge Sigis dennoch menschlich und liebenswert wirkt. Die oft zitierte Chemie zwischen den Hauptdarstellern einer RomCom mag ein abgegriffener Topos sein, „Fack ju Göthe" ist allerdings ein Musterbeispiel für den gewinnbringenden Effekt, wenn sie denn da ist.

Regisseur und Drehbuchautor Boran Dagtekin gelang das Kunststück einer gelungenen Fusion von Culture-Clash- und Romantischer Komödie jetzt nun schon zum zweiten Mal. Die Gagdichte ist hoch (wenn auch bei weitem nicht jeder Schuss einen brüllenden Lacher wert ist), der Humor beherzt politisch unkorrekt (ohne dabei ständig niveaulos zu sein) und die Figuren (trotz der ein oder anderen krassen Übertreibung)  sind im Kern liebenswert gezeichnet und durch die Bank toll gespielt.
Mit der Realität an deutschen Schulen hat das Ganze nur am Rande zu tun. Zwar greift Dagtekin bestimmte Missstände, Vorurteile und Klischees genussvoll auf, karikiert sie dann aber auf exaltierte Art und hat definitiv eher den unterhaltenden als des satirischen Effekt im Blick. Den ein oder anderen subversiven Tritt konnte er sich zwar (glücklicherweise) nicht gänzliche verkneifen, insgesamt ist „Fack ju Göthe" aber vor allem ein gut getimtes und rotzig-freches Feel-Good-Movie für jung und (noch nicht ganz) alt. „Fack ju Til und Mattes. Boran bringxs auch"!

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