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„Ist das London?“ – „Du kannst doch die neblige, schmutzige Luft riechen!“

Der US-amerikanische Regisseur Robert Stevenson, der in den 1930ern mit „Der Mann, der sein Gehirn austauschte“ auffiel und später für Disney u.a. den Fantasy-Musical-Kinderfilm mit Zeichentrickelementen „Mary Poppins“ realisierte, wurde im Jahre 1971 von Disney mit der Umsetzung von Mary Nortons Kinderbuch „Eine tolle Hexe“ betraut, der unter der deutschen Auswertung „Die tollkühne Hexe in ihrem fliegenden Bett“ massive Kürzungen erfuhr und stilistisch in die gleiche Kerbe schlägt.

London, 1940, zur Zeit der deutschen Luftangriffe: Waisenkinder werden aus den Städten in ländliche Gebiete evakuiert. So werden die Geschwister Carrie, Paul und Charlie bei Miss Caroline Price (Angela Landsbury, „Mord ist ihr Hobby“) untergebracht, die davon zunächst wenig begeistert ist: Lieber würde sie sich weiter in Ruhe mit dem Erlernen magischer Fähigkeiten beschäftigen, Miss Price ist nämlich eine Hexe – eine gute, wohlgemerkt. Doch ihr Fernstudium gerät ins Stocken, als ihr Tutor Mr. Emilius Brown (David Tomlinson, „Ein toller Käfer“) ausgerechnet vor der letzten, entscheidenden Lektion sein „Institut“ für geschlossen erklärt. Damit gibt sich die rüstige Dame jedoch nicht zufrieden und sucht ihn zusammen mit den Kindern in London auf. Dieser entpuppt sich als Hochstapler, der sich auf der Straße als Alleinunterhalter mit Taschenspielertricks durchschlägt und reagiert zunächst verdutzt. Er erklärt, die Lektionen aus einem Buch abgeschrieben zu haben, von dem er lediglich die Hälfte besäße. Zusammen macht man sich auf, die zweite Hälfte zu suchen...

Wie „Mary Poppins“ setzt auch „Die tollkühne Hexe in ihrem fliegenden Bett“ auf eine Mischung aus auf Kinder zugeschnittener Fantasy-Komödie mit vielen Musical-Einlagen und Zeichentrickelementen. Man arbeitet zunächst augenzwinkernd mit einigen Hexen-Klischees sowie mit ein paar grafischen Spezialeffekten inkl. Farb- und Lichtspielereien, wenn das „fliegende Bett“ zum Einsatz kommt. Wenn auf dem Markt in der Portobello Road plötzlich alle zu singen anfangen, doch Miss Price ständig dazwischen spricht und auf der zweiten Hälfte des Zauberbuchs besteht, ist das noch witzig und wirkt fast ein wenig selbstironisch, doch werden diese Momente mit Tanzeinlagen arg gestreckt. Weniger schön ist, dass die erst nach einiger Zeit einsetzende spektakuläre Mischung aus Real- und Zeichentrickfilm mit erneuten Gesangnummern einhergeht. Unter Wasser können die menschlichen Protagonisten normal atmen und ihre Kleidung wird nicht nass, was weit mehr verwundert als die vorausgegangenen Bilder Angela Landsburys auf ihrem Besen reitend oder in ihrem fliegenden Bett reisend. Doch die Reise unter Wasser führt schließlich auf die berüchtigte Insel, auf der die Tiere herrschen und es kommt zum absoluten Höhepunkt des Films: Dem prachtvoll animierten Fußballspiel der Tiere gegeneinander, das eine dominante Stellung im Film einnimmt und Pate u.a. für das kultgewordene Match Süderbrarups gegen Holzbein Kiel aus „Werner – Beinhart!“ gestanden haben dürfte. Tolle Zeichnungen und großartiger, Jung und Alt begeisternder Humor bestimmen dieses anarchisch ausgetragene Duell, das von seinem Unterhaltungswert bis heute nichts eingebüßt hat.

Zurück in England spielt der Rest des Films dagegen die zweite Geige, gelang es aber dennoch, die Nazi-Angriffe und das Eindringen der Soldaten ins Haus kindgerecht zu verpacken und zu verballhornen, wenn Miss Price mit ihrer „weißen Magie“ dagegenhält. Eine Art Actionspektakel liefern sich die zum Leben erweckten Ritterrüstungen, die gegen die Nazis kämpfen, durchaus und bringen den Film ordentlich zu seinem Ende. Angela Landsbury erscheint allein schon durch ihr Äußeres prädestiniert für ihre Rolle und führt souverän durch den recht sorgfältig getricksten und gut ausgestatteten Film, der glücklicherweise von Sentimentalität und Rührseligkeit weitestgehend Abstand nimmt. Unterm Strich ist „Die tollkühne Hexe in ihrem fliegenden Bett“ damit ein filmhistorisch allein schon aufgrund seiner Weltkriegs-Thematik nicht uninteressanter Kinderfilm, der irgendwo zwischen Kitsch und Kult (das tierische Fußballspiel) anzusiedeln ist und sich auch heute noch als Erwachsener zusammen mit dem Nachwuchs recht gut gucken lässt – wobei man als Musical-Muffel jedoch deutliche Abstriche machen muss. Nostalgisch etwas verklärte 6,5 von 10 unvermittelten Gesangseinlagen ist mir das auf der ambivalenten Disney-Familienunterhaltungs-Skala schon noch wert.

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