60 Jahre lang - seit meiner frühen Jugend - hörte ich immer wieder den Spruch, dass jemand den "großen Zampano" spiele: ohne jemals zu wissen, woher dieses geflügelte Wort eigentlich stammt. Erst jetzt, nachdem ich endlich Fellinis Film "Das Lied der Straße" aus den 50er Jahren gesehen habe, weiß ich es: Anthony Quinn ist dieser "große Zampano", als ein reisender Schausteller in Fellinis Film.
Zampano ist ein grober Klotz - ein gefühllos brutaler Muskelmensch, der sich auf Jahrmärkten mit immer der gleichen Show das bißchen Geld für seine armselige Existenz zusammenschnorrt: er sprengt durch pure Muskelkraft eine um seine nackte Brust gelegte Eisenkette. Nach dem Tod seiner Frau braucht er eine neue Assistentin, die seine Show theatralisch mit Trommelwirbel ankündigt und hinterher mit dem Hut herumgeht. Er findet sie in der naiven, jungen Gelsomina: ein völlig ungebildetes, junges Mädchen aus ärmlichsten Verhältnissen, das Zampano ihrer alleinerziehenden Mutter für zehntausend Lire abgekauft hat und wie eine Sklavin hält.
Gelsomina (Giulietta Masina - die langjährige Ehefrau Fellinis - spielt die künsterisch äußerst anspruchsvolle Rolle sehr überzeugend) fügt sich notgedrungen in ihr tristes Schicksal. Erst als sie jegliches, persönliches Interesse Zampanos an ihr vermisst, versucht sie auszubrechen und lernt dabei den Hochseilartisten Matteo (Richard Basehart) kennen, der ihr erstmals ein wenig Aufmerksamkeit als Person und Frau schenkt und ihr beibringt, eine Melodie - die den ganzen Film als Motiv begleitet - auf einer Trompete zu spielen.
Matteo durchschaut die autoritäre Maske Zampanos und macht sich einen Spaß daraus, ihn immer wieder mit albernen Scherzen bloßzustellen und ihn bis aufs Blut zu reizen. Trotzdem rät er Gelsomina dazu, zu Zampano zurückzukehren: er hat erkannt, dass hinter Zampanos brutaler Maske eben doch ein weicher, verletzbarer Kern steckt, und dass dahinter wohl auch ein Stück nicht eingestandener, verzweifelter Liebe zu Gelsomina steht.
Gelsomina folgt Matteos Rat, der sich in der weiteren Folge als richtig erweist: freilich nicht im Sinne eines Happy Ends. Matteo kommt bei einer Auseinandersetzung mit Zampano zu Tode, und auch Gelsomina scheitert letztlich bei ihrem Versuch, dem Zampano irgendwann doch noch eine wirkliche Partnerin zu sein. Erst ganz zum Schluss des Films wird klar, dass auch Zampano nicht der von ihm markierte Erzbösewicht, sondern ein Opfer der Verhältnisse ist: seine gespielte, gefühllose Härte ist seine Art des Überlebens. Die Verhältnisse erlauben ihm nicht, das zu leben, nach was er sich eigentlich sehnt. Am Schmerz darüber zerbricht schließlich auch er.
Fellinis "Lied der Straße" ist eines der frühen Werke des Meisterregisseurs - und eines der besten. Es ist zudem auch ein Zeitdokument: der Film zeigt in einfachen, aber sehr intensiven, unter die Haut gehenden Bildern, was Armut aus Menschen macht.