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Kurz nach Ende des zweiten Weltkrieges fasste der britische Schriftsteller Graham Greene den Entschluss, seine Erlebnisse aus der Kriegszeit nieder zu schreiben. Selbst während des Krieges für das britische Foreign Office in Südafrika tätig, bezog er seine umfassenden und detaillierten Kenntnisse über das Kriminellenmilieu aus erster Hand. Dank seiner Kontakte zum Geheimdienst gelangte er regelmäßig an Informationen, die manch anderem journalistischen Schriftsteller verwehrt wurde. Nach Kriegsende brachte er sein Wissen zu Papier und veröffentlichte mehrere Romane über die Untergrundorganisationen und den Schwarzhandel zur (Nach-)Kriegszeit.

Für Greene war “der dritte Mann” die zweite Zusammenarbeit mit dem ebenfalls britischen Regisseur Carol Reed. Während die Arbeit am Drehbuch relativ glatt vonstatten ging, musste Reed in der restlichen Phase der Vorproduktion seine ganze Hartnäckigkeit und sein unbändiges Durchsetzungsvermögen unter Beweis stellen, um gegenüber dem amerikanischen Produzenten David O. Selznick in den wichtigsten Entscheidungen (in diesem Falle: Drehort, Darsteller und Musik) die Oberhand zu bewahren. Selznick, von den weltweit erfolgreichen Produzenten ohnehin als Geizhals bekannt, gab letzten Endes in allen drei Punkten nach. Reed überzeugte ihn, dass nur Wien als Drehort die nötige Authentizität gewährleiste. Des Weiteren verpflichtete Reed Orson Welles für die Rolle des Ganoven Harry Lime, was sich als riesiger Glückstreffer erweisen sollte. Welles passte nicht nur hervorragend zum anderen Hauptdarsteller, seinem langjährigen Freund Joseph Cotton (was sie zuvor in Welles’ “Citizen Kane” eindrucksvoll unter Beweis gestellt hatten), sondern schrieb auch den berühmtesten Monolog des gesamten Filmes. Ferner verzichtete Reed, diesmal zum Wohlgefallen Selznicks, auf ein aufwändiges Orchester und zog stattdessen eine simple Zithermelodie des Kneipenmusikers Anton Karas vor. Auch diese Entscheidung sollte sich auszahlen; das karge “Harry Lime Theme” passte hervorragend zum pessimistischen Flair des Filmes und wurde ein Welthit. Selznick willigte wohl deshalb in allen Punkten ein, weil das Budget trotz dieser Änderungen knapp gehalten werden konnte. Reed war sich dessen bewusst und bürdete sich doppelte Arbeit auf, indem er einen Drehplan mit zwei Crews (eine für Tagesaufnahmen und eine für Nachtaufnahmen) verfolgte und praktisch non-stop drehte, um die doppelte Effizienz zu erzielen.

Der Film beginnt mit Holly Martins’ (Joseph Cotton, der den Vorzug erhielt vor Kandidaten wie Cary Grant und James Stewart) Ankunft in Wien. Sein kurzer Eingangsmonolog stimmt den Zuschauer auf die Lage in Wien zur Nachkriegszeit ein. Die von den Besatzungsmächten in vier Teile geteilte Stadt ist ein reiner Trümmerhaufen. Überall erblickt man baufällige Häuser, dreckige Ecken und Gassen, dunkle Hinterhöfe, in denen das Unheil zu lauern scheint und hilflose und verzweifelte Gesichter. Martins wartet am Bahnhof auf seinen Freund Harry Lime, der ihn eigentlich vom Bahnhof abholen wollte. Nach längerem Warten beschließt Martins, ein Taxi zu nehmen. In der Wohnung seines Freundes angekommen, erfährt Martins, dass sein Freund vor wenigen Stunden bei einem Autounfall ums Leben kam. Dem völlig ratlosen Martins kommt das Ganze höchst eigenartig vor und so beginnt er, von widersprüchlichen Zeugenaussagen getrieben, Nachforschungen an zu stellen. Dabei lernt er zunächst Anna Schmidt (Alida Valli) kennen, angeblich die Geliebte seines Freundes. Kurz darauf stößt er auf einen Schwarzhändlerring, in dem sein Freund Harry Lime eine zentrale Rolle spielen soll. Was nun folgt, ist einer der überraschendsten Plot-Twist der Filmgeschichte, gipfelnd in einem spektakulären Showdown in der Wiener Kanalisation.

Der noir-gehauchte Thriller entfaltet eine enorme visuelle Kraft. In perfekter Schwarz-Weiß-Fotographie wird das Wien in den Nachkriegsjahren so atmosphärisch dicht und so realistisch wie möglich dargestellt. Überall waren noch Zerstörungen sichtbar; Krater im Boden und abrissreife Gebäude zeugten noch von den Bombardierungen der Stadt. Die von Desillusion und Depression gezeichneten Menschen verstärken den Eindruck der totalen Verdorbenheit der Stadt. Wo Krieg ist, herrschen keine Regeln - genau das macht sich der Verbrecher Harry Lime zu Nutze. Und doch empfinden wir für ihn, trotz seiner Skrupellosigkeit, keine Antipathie. Sein faszinierendes Charisma, das schon in seiner ersten Szene am stärksten zum Ausdruck gebracht wird, zieht den Zuschauer buchstäblich in seinen Bann. Auf eine zynische Art und Weise rechtfertigt er in seinem berühmten Monolog (blutige Herrschaft der Borgias vs. Schweizer Demokratie) seine Taten. Nur seine Loyalität zu seinem engen Freund, dem objektiven, rationalen und aus der Zuschauerperspektive handelnden Holly kann ihm zum Verhängnis werden.
Cotton und Welles vollbrachten jeweils eine schauspielerische Meisterleistung und ließen mit ihrer brillanten Performance einmal mehr die Qualität des ehemaligen “Mercury Theaters” aufhorchen. Lediglich die Dritte im Bunde, Anna Schmidt, bleibt über weite Strecken blass. Ihr wird leider zu wenig Gelegenheit geboten, sich im Verlaufe des Filmes zu entwickeln. Es gelingt ihr nicht, sich des Prädikats des bloßen “Anhängsels” zu entledigen. Möglicherweise ist die als Femme Fatale vorgesehene Rolle mit Alida Valli auch fehlbesetzt, denn den außergewöhnlichen Charme der kühlen, geheimnisvollen und hinterlistigen Blonden, wie man die Femme Fatale aus den Noir-Klassikern wie bspw. Billy Wilders “Double Indemnity” oder Howard Hawks’ “The big Sleep” kennt, versprüht Alida Valli leider zu keinem Zeitpunkt.

Dieser Schwachpunkt tut dem positiven Gesamtbild dieses Filmes aber keinen Abbruch. Der Film ist und bleibt ein hervorragender Thriller, der insbesondere durch seine überzeugende Schwarz-Weiß-Fotographie und das Gespann Cotton/Welles überzeugt. 1949, als “der dritte Mann” den großen Preis des Filmfestivals in Cannes erhielt, kam dem Film schließlich die ihm zustehende internationale Anerkennung zu.

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