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Die charmante Ratte von Wien

Schiefe Kamerawinkel im zerbombten Nachkriegswien; ein emotionales Murder-Mystery zwischen Freunden, Fremden & Liebenden; ein unangenehm charmanter Massenmörder; einer der legendärsten britischen Filme aller Zeiten - meistens reicht schon einer dieser Punkte, damit Filmfreunde wissen, um welchen unangefochtenen Klassiker des Film Noir es sich hier handelt: "Der dritte Mann". 

Im allseits bekannten Krimi, kommt ein amerikanischer Schriftsteller & Teilzeit-Alki ins aufgeteilte Nachkriegs-Wien, um dort seinen alten Freund Harry Lime zu treffen. Doch er kommt nur noch rechtzeitig zu dessen Beerdigung & macht sich nun daran, die Umstände des mysteriösen Unfall-Todes seines geheimnisvollen Freundes aufzuhellen - gar nicht so einfach, bei den vielen Schatten, seltsamen Ecken & zwielichtigen Gestalten in Österreichs Hauptstadt. Genauso wie der Film selbst, ist dessen Handlung in Sachen Bekanntheit ein Selbstläufer & weltweit beliebt. "Der Dritte Mann" ist das Meisterwerk, dass in allen Bestenlisten genannt wird & muss jeder einmal in seinem Leben gesehen haben.

Die Gründe für diesen Legendenstatus & seinen enormen Wiederguckwert, liegen vielseitig verstreut über das komplette Repertoire eines Films. Nie wurde eine Stadt schöner ausgeleuchtet, surrealer & unvergesslicher eingefangen als das in Besatzungszonen aufgeteilte Wien hier. Neben der legendären, jedem Kind bekannten Zither-Musik, war die Schauplatzwahl der Glücksgriff & die richtige Entscheidung überhaupt. Mehr Atmosphäre & bemerkenswerte Bilder & Lichter & Schatten, sehr an den deutschen Expressionismus angelehnt, geht nicht. Dazu ungewohnt, schiefe Kamerawinkel, egal ob in den Straßen oder den Gebäuden, sodass selbst der filmtechnisch unbeschlagenste Zuschauer merkt, dass in dieser Stadt, in diesem Europa, in dieser Welt, etwas gewaltig aus den Fugen geraten ist. Alles keine neuen Erkenntnisse & schon von Hunderten vor mir geschwärmt - trotzdem immer wieder ein Ziehen des imaginären Hutes wert. Einer der Filme, den man sich auf eine einsame Insel mitnehmen kann & der nie seine Magie verliert.

Neben der technischen Vollkommenheit & zeitlosen Einzigartigkeit, heben ein paar der besten Darsteller ihrer Zeit, die ohnehin fesselnde Crime-Story, auf das nächste Level. Egal ob hartnäckiger Cop, treue Liebende oder ein naiv-ehrlicher Ami auf Kurs in die Grauzonen Europas - alle Gesichter & Schauspieler geben ihr Bestes, bleiben lange in Erinnerung. Umso erstaunlicher & atemberaubender, dass Herr Orson Welles mit nur wenigen Minuten Screentime, dann nochmal allen die Show stiehlt. Egal ob die unfassbare finale Hetzjagd in der Kanalisation, die zweischneidige Fahrt im Riesenrad, seine Kuckucksuhr-Rede oder sein verschmitztes Lächeln aus dem Schatten bei seinem ersten Auftritt nach über einer Stunde (!) - sein Harry Lime ist noch erinnerungswürdiger als Charles Foster Kane.

Für mich bietet der Film keine Längen & keine Schwächen. Er ist vom überraschenden Beginn über die multikulturelle, etwas alptraumhafte Stimmung in der Stadt bis zum deprimierenden, desillusionierenden Anti-Hollywood- & Anti-Romantik-Ende, perfekt. So etwas wie der britische Anti-Casablanca & ein fester Bestandteil jeder gut sortieren Filmsammlung. Nicht nur Wien wirkt hier wie ein sogartiges Monster aus Grau & Beton, sondern auch die Personen sind, egal ob Polizei, Bösewicht oder Portier, glaubhaft grauzonig unterwegs. Bösewichte haben Charme & Intellekt, die Guten durchaus Ecken & Kanten, sodass alles irgendwie verschwimmt & bedrohlich undurchsichtig wirkt. Wenn das keine Vorzeichen & Warnungen vor dem kalten Krieg & eine immer unübersichtlicher werdende Welt waren, dann weiß ich es auch nicht. Der Gegenentwurf zu Schwarz-Weiß-Malerei aus der Traumfabrik & 99,99% aller dortigen Filme meilenweit überlegen.

Fazit: das Nachkriegs-Wien versprüht Atmosphäre galore, Welles aka Harry Lime ist der charmanteste Massenmörder der Noir-Geschichte & das Zither-Theme ist ein tagelanger Ohrwurm - vielleicht der beste Film Noir & englische Film aller Zeiten!

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