Italo-Regisseur Mino Guerrini („Schulmädchen lieben heiß“) drehte mit „Das dritte Auge“ im Jahre 1966 einen interessanten Psycho-Thriller/Früh-Giallo komplett in Schwarzweiß und schuf damit die Grundlage für Joe D’Amatos wesentlich populärere Neuverfilmung „Sado – Stoß das Tor zur Hölle auf“.
Graf Mino ist mit Laura verlobt. Kurz vor der Hochzeit manipuliert die eifersüchtige Haushälterin Martha die Bremsen von Lauras Auto, worauf diese den Tod findet. Über das Ableben seiner großen Liebe kommt Mino nicht hinweg. Fortan lebt er allein mit Martha und seiner herrischen Mutter, die Laura abgrundtief verachtete, aus Angst, sie könne ihr ihren Sohn, der noch immer mit ihr im Bett zu nächtigen pflegt, entreißen. Als auch noch seine Mutter stirbt, verliert Mino endgültig den Verstand und ermordet eine junge Frau nach der anderen, während Martha um seine Liebe buhlt, er sich aber an die ausgestopfte Leiche Lauras hält, die er sich in sein Bett gelegt hat.
Die genretypisch bei den privilegierten Herrschaften angesiedelte Geschichte ist herrlich bösartig, krude und plakativ und zeigt den geistigen und sittlichen Verfall eines degenerierten, inzestuösen Adelsgeschlechts, das in seinen Gemäuern weitestgehend isoliert von der Außenwelt vegetiert und den Bezug zur Realität in erschreckendem Ausmaße verliert. Damit hat „Das dritte Auge“ viel von einem Gothic-Grusler und könnte prinzipiell ebenso im viktorianischen Zeitalter spielen, obgleich er zeitlich anscheinend in der Gegenwart angesiedelt wurde. Italo-Western-Star Franco Nero („Django“) ist als Graf Mino in einer für ihn ungewöhnlichen Rolle zu sehen, die mir trotz seines schauspielerischen Talents zu akzeptieren schwerfiel. Zunächst musste ich sogar zweimal hingucken, um zu glauben, dass es sich um Nero und nicht etwa um Fabio Testi handelt, der eigentlich für derartige Schönlingsrollen prädestiniert war. Erst einmal daran gewöhnt, wird das gelackte und pompöse Ambiente inkl. Nero aber zum schönen Kontrast gegenüber dem psychopathologischen Wahnsinn, der sich in ihm abspielt.
Nun setzte Guerrini, sicherlich auch dem Entstehungszeitpunkt geschuldet, nicht sonderlich auf die explizite Darstellung von Sex und Gewalt und verzichtete gar komplett auf Farbe. Das unterstreicht einerseits die unwirtliche Tristesse, in der Mino lebt, ist andererseits aber auch – Mario Bavas zwei Jahre zuvor erschienenen Genrebegründer „Blutige Seide“ im Hinterkopf habend – eine vertane Chance, die dieser bisweilen etwas pseudokünstlerisch und bemüht bedeutungsschwanger wirkenden Farblosigkeit geopfert wurde und dem Giallo das Knallige, Offensive nimmt.
„Das dritte Auge“ wird dramaturgisch ohne bemerkenswerte Längen erzählt und die Schockwirkung, die er seinerzeit mit Sicherheit hatte, ist noch immer spürbar, muss hinter etwas später gefolgten Genreproduktionen aber deutlich zurückstecken, zumal die Umsetzung gerade für einen Giallo trotz solider Leistungen aller Beteiligter eher bieder wirkt. Dennoch entfaltet die absonderliche Geschichte durchaus ihr Potential und weiß über die komplette Distanz ordentlich zu unterhalten. Doch während das unschwer erkennbare, große Vorbild „Psycho“ noch über ein „Whodunit?“ verfügte und andere Gialli knallbunt und/oder künstlerisch verspielt daherkommen und eine aufsehenerregende Ästhetisierung der Gewalt zu bieten haben, fehlt es Guerrinis Film einfach am gewissen Etwas, das ihn fest im Langzeitgedächtnis verankern oder zumindest dafür sorgen würde, dass man ihn sich immer wieder gerne ansieht. Letztlich wird er dadurch stets in erster Linie als Inspirationsquelle für D’Amato betrachtet werden, welcher den brutalen Konsequenzen des psychischen Defekts Minos visuell Ausdruck verlieh und damit seinen vermutlich besten Film schuf. Aber das ist ein anderes Kapitel des italienischen Genrekinos.