In dem aus meiner Sicht sehr geglückten Buch "Die 100 besten Horrorfilme" ist "Der rote Schatten" einer der Auserwählten. Das macht den Fan des Genres neugierig (zumindest den, der sich auch oder gerade für ältere Filme erwärmen kann).
Die Geschichte kann durchaus gefallen. Dr. Rossiter ist ein von der Welt verkannter Schönheitschirurg, der nach einem Kunstfehler mit neuem Gesicht und dazu überhastet aus dem Nachkriegsengland fliehen muss. Mit seinen beiden Helfershelfern (einer Frau, die ihn liebt und ihrem Bruder) geht er nach Frankreich, um als Dr. Schüler eine neue Existenz aufzubauen (der recht deutsch klingende Name "Schüler" ist eine sehr gewagte Wahl im Nachkriegsfrankreich). Er trifft auf ein junges, durch eine Kriegsverletzung entstelltes Mädchen und verpaßt ihm ein neues Gesicht. Der Vater des Mädchens ist gerührt und übereignet Dr. Schüler seinen runtergewirtschafteten Circus (nur zum Schein, damit Dr. Schüler nicht als Dr. Rossiter erkannt wird). Der Circusdirektor ist niemand anderes als der immer erfreuliche Donald Pleasance, der mal wieder klasse sich selbst spielt. Leider nur kurz, denn ein Bär erdrückt den kommenden Dr. Loomis, was aus der Scheinübertragung des Circus einen echten Eigentumsübergang werden läßt.
Dr. Schüler will den Circus richtig aufmöbeln. Dazu bedient er sich bildhübscher Artistinnen, die er als verunstaltete Frauen aufliest, operiert und dadurch an sich bindet. Bis jetzt also nichts verwerfliches. Und der Circus floriert.
Dr. Schüler kann es nur nicht haben, wenn eine seiner Schöpfungen aus dem Ensemble ausscheiden möchte. In solchen Fällen sorgt er mit seinen Helfershelfern (genau, die mit ihm geflohen sind) tragische Unfälle. Zwei derartiger Ableben kriegt der Zuschauer geboten, von weiteren zehnen wird berichtet. Das ruft natürlich die Polizei auf den Plan.
Aber das wirkliche Problem von Dr. Schüler ist die Tatsache, das er ein eitler, geiler Bock ist. Die Eifersucht unter seinen Kreationen wird zum Risiko, das dadurch noch vergrößert wird, dass er partout wieder nach England will, um zu zeigen, was für ein toller Hecht er ist. Als Meisterstück bastelt er sich aus einer mit Salzsäure verätzten Frau eine dralle Dompteurin, in die er sich ernsthaft verliebt.
In England kommt es dann zum Ende seiner Karriere. Er trifft auf seinen alten Kunstfehler. Die entstellte Frau erkennt ihn an seinem Ring wieder. Gleichzeitig beschließen seine Gehilfen, die Dompteurin zu entsorgen (mittels genervter Löwen), was Dr. Schüler fuchsig macht. Und die Polizei kriegt spitz, dass Rossiter und Schüler identisch sind (weil das kleine Mädchen vom Anfang leider zu einem großen Plappermäulchen herangewachsen ist).
Alles geht den Bach runter. Rossiter flitzt durch seinen Circus, wird von allen angegriffen und verfolgt (selbst von einem Gorilla - lausig), kann sich wenigstens an seiner Assistentin rächen und wird dann sang-und-klanglos von seinem Kunstfehler mit dem Auto überfahren. Das wars.
Die Geschichte reicht nicht, um den Namen "Horror" oder selbst "Grusel" zu rechtfertigen. Sie ist trotzdem nett, eine in sich gute Idee und in ihrer Umsetzung ein schönes Zeitdokument. Was damals so als Mann ein toller Typ war (wie der Inspektor, dem alle Frauen zufliegen), riss dann in den 80ern die Kinokarten ab. Und all die Sexbomben holen heute keinen mehr hinter dem Ofen vor. Trotzdem wirklich nett und professionell umgesetzt. Das Ende ist leider wirklich schwach, aber analoge Hammer-Filem enden ähnlich schlagartig.
Das wirkliche Problem des Films ist, dass er wenig Spannung aufbaut und den Zuschauer mit ewig langen Zirkuseinlagen langweilt. Wenn ich einen zirzenischen Film sehen will, gibt es sicher bessere Lösungen, als einen Gruselfilm von 1960 reinzulegen.
Zurückkommend zum Anfang der Review kann man sagen, dass die Zahl 100 zur Benennung der besten Horrorfilme eine Losgröße ist, die sicherlich viel Spielraum zur individuellen Auswahl gibt. Aber für mich gehört "Der rote Schatten" nicht dazu. Brauchbare 6 von 10 Punkten, nicht mehr!