Review
von Cineast18
In der französischen Kolonie Marokko kreuzen sich die Wege dreier verlorener Seelen: die abgebrühte Sängerin und Tänzerin Amy Jolly (Marlene Dietrich) verliert ihr Herz widerwillig an den hartgesottenen Fremdenlegionär Brown (Gary Cooper), während der reiche und dekadente Le Bessier (Adolphe Menjou) so hartnäckig wie charmant um sie wirbt. Das zerbrechliche Geflecht zwischen den dreien nimmt immer dramatischere Züge an...
Mit dem Liebes-Abenteuer „Marokko" hat der deutsche Regisseur Josef von Sternberg schon im Jahre 1930 seiner Hausdarstellerin Dietrich eine eindrucksvolle Bühne geliefert, auf der sie rundweg überzeugen kann. Hin und her gerissen zwischen ihrer abweisenden, zynischen Weltanschauung und den neuen Gefühlen, die in ihr entflammen, gibt sie die geheimnisvolle und verführerische Femme fatal mit viel Charisma, Eleganz und Erotik. Ihr ausdrucksvolles Spiel ist der klare Höhepunkt des Films, auch wenn der junge Cooper und Menjou in ihren sehr unterschiedlichen Rollen ebenfalls überzeugen und trotz ihres Konkurrenzstatus' beide recht sympathisch für den Zuschauer werden. Eine eher ungewöhnliche Konstellation, die es nicht leicht macht, sich für eine Seite zu entscheiden. So bleiben die emotionalen Narben und Verunsicherungen bei allen Beteiligten bis zum Schluss ein spannendes Schauspiel.
Diese Liebesgeschichte wird mit viel Fingerspitzengefühl für unausgesprochene Emotionen, klug und unterhaltsam aufgebauten Dialogen und einer Handlung inszeniert, die in weiten Teilen glaubhaft und spannend bleibt. Sternberg zeigt hier echtes Geschick in Schauspielführung und Bildkomposition. Die teils aufwendigen Requisiten und das große Statistenaufgebot verleihen dem Geschehen einen visuell starken Hintergrund, vor dem sich die menschlichen Dramen abspielen können. Vor allem Dietrichs erster Auftritt in einem stadtbekannten Revue-Theater und eine Kampfmission in der marokkanischen Wüste für die Legionäre können visuell überaus fesseln.
Das alles tröstet ein wenig darüber hinweg, dass „Marokko" in anderer Hinsicht nicht übermäßig gefällt. So bleibt die Handlung - abgesehen von den emotionalen Aspekten - eher bescheiden, wenn nicht sehr dünn. Und das ganze Setting fällt eher durch eine gewisse Belanglosigkeit auf. Nicht zu vergessen, dass der Film noch aus einer Zeit stammt, in der Dinge wie Kolonialismus und Unterdrückung der heimischen Bevölkerung ganz und gar verschwiegen und allzu positiv dargestellt wurden. Angesichts der völligen Politiklosigkeit des Streifens muss man hier schon mal ein Auge zudrücken. Auch bleibt die Dramaturgie zu ungelenk und vor allem langatmig, um durchgehend zu fesselnd. Im Mittelteil gibt es einige Durchhänger, die erst mit dem dramatischen Finale wieder überwunden werden.
Dank der überzeugenden Darsteller, ausgefeilten Dialogen und einer berührenden Geschichte um verletzte Seelen und die Angst vor neuer Zärtlichkeit kann „Marokko" aber durchaus überzeugen und für einen kurzweiligen Filmabend herhalten, auch wenn er sicher nicht zu den großen Highlights des Duos Sternberg/Dietrich gehört.