Kaum zu glauben, dass die Dietrich als Hauptdarstellerin noch immer überzeugt, obwohl ihre Englischkenntnisse zur Drehzeit der Nonexistenz nahe kamen. Marokko war ihr erster amerikanischer Film. Regisseur war ihr "Entdecker" Josef von Sternberg.
Phonetisch lernte sie ihren Text, den deutschen Hintergrund hört man raus und doch ist das Charisma in voller Stärke präsent. Genau das war auch nötig bei der Visualisierung einer Story, die nicht durch irgendeine beliebige Frau in der Hauptrolle glaubwürdig gestaltet werden konnte.
Zwei Männer sind im exotischen Marokko hinter ihr her. Der Abenteurer und Fremdenlegionär Gary Cooper und der wohlhabende Gentleman Adolphe Menjou. Vielleicht sind es die besten Leading Men ihrer amerikanischen Sternberg-Phase (Emil Jannings im Blauen Engel ist über jeden Vergleich erhaben).
Der eine mit dem rauen Charme des Schürzenjägers, der andere mit einer melancholischen Gelassenheit, die jede Erniedrigung erduldet, ohne der Würde ihres Trägers abträglich zu sein. Bedenkt man, dass ihre Männer von Film zu Film stärker an den Rand der bedeutungslosen Anonymität gedrängt werden - der Höhepunkt dessen ist ihre gänzliche Marginalität in Die Scharlachrote Kaiserin und der sadistische Umgang mit dem starken Geschlecht in Der Teufel ist eine Frau - ist das Schicksal der Amy Jolly in Marokko in hohem Maße beeinflusst von ihren männlichen Counterparts.
Der Fremdenlegionär Tom ist den späteren Dietrich-Figuren mit seinen unmotivierten Meinungswechseln und vielen Geliebten fast ebenbürtig in seiner Unfähigkeit sich zu binden. Adolphe Menjous La Bessiere dagegen entspricht dem Typ des sich opfernden Liebhabers, wie ihn später Cary Grant (Blonde Venus) oder Lionel Atwill (Der Teufel ist eine Frau) in mehr oder weniger leidenschaftlicher Ausprägung spielen sollten. Er nimmt jede Eskapade der unnahbaren Frau hin und steht im Zweifelsfall dieser selbst bei der Eroberung des Rivalen hilfreich zur Seite.
Höhepunkt der Demütigung: Der reiche, nicht unsympathische Herr lädt zum Dîner. Die Dietrich erfährt von der Heimkehr der Legion ihres Ex-Liebhabers. Schwer atmend, mit aufgerissenen Augen steht sie da vor den Gästen und sieht doch nichts, außer wohl im Geiste das Bild Toms. Menjou daneben mit gewahrter Fassung ist offensichtlich gequält. Sie rennt davon, ihr neuer Ex übergeht vor der versammelten Abendgesellschaft das Geschehen gleich einer Lappalie. Er hat ihr schon verziehen. Genau, wie wir, die Zuschauer, ihr den leidenschaftlichen Ausbruch nicht übel nehmen werden.
Die exotische Atmosphäre, welche die Gefühlswallungen des Melodrams umgibt, ist wie geschaffen für Sternbergs Regiekünste. Von flimmernden Lichtpunkten eingehüllte Gassen der Stadt leuchten in der Eröffnung des Films den Weg in die traumhafte Unterwelt des schwülen Sujets, das den Hintergrund des Liebesreigens bildet.
Das Verlangen, das Gezeigte ernst zu nehmen, es gar auf einen politischen Hintergrund hin zu untersuchen, wird einem damit ab der ersten Minute ausgetrieben. Auch ausgefeilte Figuren sucht man, wie immer bei den Dietrich-Filmen Sternbergs, vergebens. Vielleicht kann man sie nicht auf Stereotypen reduzieren, doch bewegen sich die Männer und Frauen des Sternberg'schen Universums, ob Shanghai Lily, Agentin X27 oder eben La Bessiere und Tom Brown ohne Herkunft mysteriös in ihrer Kinotraumwelt. Ihre Handlungen und emotionalen Reaktionen sind den Gesetzen des täglichen Lebens enthoben, ganz dem melodramatischen Mythos untergeordnet.
Spätestens wenn Amy Jolly ihr Lied im Anzug anstimmt und Cooper seine Mithörer - und uns - zur Begeisterung anhält, ergeht sich der Regisseur vor unseren Augen in den Mechanismen der kinematografischen Mythenbildung. Dieses androgyne Bild der Dietrich wird Sternberg dann später wieder aufnehmen, wenn sie als Katharina die Große in Uniform der Macht entgegen gleitet.
Während im Bildvordergrund die Stilisierung der Hauptdarstellerin vor sich geht, platzt das Dekor mit seiner Detailgenauigkeit und Plastizität fast vor eigener Energie. Schattengitter oder vorteilhaft beleuchtete Reliefs der eigentlich kahlen Wände dynamisieren den Hintergrund und damit die unwirkliche Atmosphäre des Films.
Ungeachtet der technischen Virtuosität, der Ikone Marlene Dietrich, bleibt das Ende von Marokko Sternbergs größter Trumpf. Ein Melodram mit ungewöhnlich gewagten musikalischen Nummern wäre es ohne die letzten Minuten sicher geworden. Die nicht fassbare Tiefe der Wüste nach all den Studiointerieurs entfaltet demgegenüber eine magische Sogwirkung, welche einen weiteren Paukenschlag in Sternbergs reichhaltige Sammlung großer Abschlusssequenzen einreiht .