Review

Von Kelly Reichardt in Szene gesetzt sowie auf einer gemeinsam mit ihrem „kreativen Partner“ Jonathan Raymond verfassten Skriptvorlage basierend, markierte der dramatische Thriller „Night Moves“ im Jahre 2013 ein durchaus ein wenig überraschend anmutendes Projekt eben jener für ihre vorherigen Werke (wie z.B. „River of Grass“, „Wendy and Lucy“ und „Meek´s Cutoff“) gefeierten, u.a. aufgrund ihres feinfühligen minimalistischen Stils geschätzten Independent-Regisseurin – schlichtweg weil der Film auf den ersten Blick (vor allem seinem Trailer nach) einen ungleich konventionelleren, deutlich Plot- und Dialog-getriebeneren Eindruck heraufbeschwört. Mehr oder minder stark ausgeprägt, ist letzteres zwar nicht gerade unzutreffend – und dennoch ist auch diese Veröffentlichung Reichardts, in deren Rahmen sie die Geschichte eines Trios radikaler, im ländlichen Oregon einen Staudamm sprengen wollender Öko-Aktivisten erzählt, eine, die sich noch immer perfekt in ihr bisheriges Oeuvre einfügt sowie sich keinesfalls dem „traditionellen Mainstream“ zuordnen lässt...

Die „recht klassisch“ geartete Handlung bzw. narrative Struktur präsentiert Reichardt in der für sie inzwischen gewohnten Form – nämlich sich in einem ruhigen, besonnenen Tempo entfaltend, mit dem Hauptaugenmerk fokussiert auf die Charaktere gerichtet. Die erste Hälfte zeigt die Vorbereitung und Durchführung des brisanten Plans auf – die zweite beschäftigt sich mit den Auswirkungen des terroristischen Akts auf die dafür verantwortlichen Personen. Dass ihnen der Anschlag tatsächlich gelingt, ist übrigens nicht wirklich als ein „Spoiler“ einzustufen. Die konkreten Beweggründe für die Tat werden bloß angerissen – generell sucht man politische oder ideologische Statements und Erörterungen nahezu vergebens. Eine Zusammenkunft Gleichgesinnter unmittelbar zu Beginn, bei der spezifische Ansichten und Agendas „offen“ zur Sprache gebracht werden, bildet in dieser Hinsicht eine markante Ausnahme. Es ist dort, dass eine junge Dame u.a. proklamiert, nicht an einzelnen „großen Aktionen“ interessiert zu sein, sondern viel eher an zahlreichen kleineren – ganz im Gegensatz zu den drei Leads, welche sich relativ strikt auf nur eine einzige fixiert haben...

Ihre ins Auge gefasste Absicht steht bereits von Anfang an fest: Indem sie eine Staumauer zerstören, die zum Zwecke der Stromgewinnung (nachweislich) der Umwelt schadet, wollen sie „ein Zeichen setzen“ und die Öffentlichkeit im Zuge dessen „zum Nachdenken anregen“. Echte Freunde sind sie nicht – „Weggefährten“ ist da ein wesentlich treffenderes Wort. Obgleich einem kaum substantielle Informationen geboten werden, wird schnell klar, dass ihre jeweiligen Motive und Hintergründe unterschiedlicher Natur sind. Clever und nicht uncharismatisch, hat Josh (Jesse Eisenberg) die Organisation und Konzeption des Unterfangens übernommen. Ihm ist es wichtig, möglichst immer den Überblick und die Kontrolle über die Geschehnisse zu bewahren – entsprechend beschäftigen und belasten ihn jegliche Unwägbarkeiten und unvorhergesehene Faktoren. Unverkennbar trägt er eine gewisse Verbitterung in sich, ist verschlossen und unterdrückt des Öfteren den Drang, seine Standpunkte „frei heraus“ zu äußern. Im Alltag wohnt und arbeitet er auf einem Biohof, der von einer Familie geführt wird, die eine sehr ähnliche, jedoch mit mehr Bedacht und Vernunft geformte und gelebte Denkweise vertritt...

Dana (Dakota Fanning) stammt indes aus reichem Hause, hat das College abgebrochen und finanziert die „Operation“ mit dem Geld ihrer vermögenden Eltern – weshalb sie es sich beispielsweise leisten kann, $10.000 für das Boot zu zahlen, in welchem der Sprengstoff transportiert und positioniert werden soll. Beruflich ist sie in einem kleinen Wellness-Center tätig – wirkt allerdings eher „ziellos“ in Bezug auf ihre Zukunft. In Gestalt ihrer Beteiligung rebelliert sie gegen ihre privilegierte Herkunft – inklusive aller damit verknüpften Kontexte und Werte – worüber hinaus sie sich (im Allgemeinen) auf der Suche nach einem „Sinn“ bzw. einer „bedeutsamen Aufgabe“ innerhalb ihres eigenen Werdegangs befindet. Dritter im Bunde ist Harmon (Peter Sarsgaard) – ein im Umgang mit Explosivstoffen ausgebildeter, bei Komplikationen stets mit einem „kühlen Kopf“ gesegneter ehemaliger Marine, der schonmal im Gefängnis saß sowie ohne feste soziale Kontakte abgeschieden im Wald haust. Die kreierte Beschaffenheit dieser Protagonisten mutet glaubwürdig an – u.a. da einem ähnliche Täter-Biographien „aus der Realität“ durchaus geläufig sind...

Die verschiedenen „Schritte“ im Vorfeld des Anschlags – zu denen konspirative Unterredungen ebenso zählen wie die Beschaffung falscher Ausweise plus einer unüblichen Menge an Ammoniumnitrat-Dünger, ergänzt um ihre Anreise samt der finalen Vorbereitungen in einem Parkgebiet unweit des anvisierten Bauwerks – legt Reichardt weitestgehend „nüchtern“ (sprich: entschleunigt, bedachtsam und beobachtend) dar, einschließlich ihrer seit jeher vertrauten, regelmäßig zur Schau gestellten Vorliebe für scheinbar nebensächliche Details und Momente (á la zwei Frauen beim Verlassen einer Sauna, das Ernten von Gemüse oder ein Paar beim Ansehen einer TV-Gameshow in einem Wohnmobil), mit denen sie beseelte Einblicke in das Leben der Menschen in jener Umgebung gewährt. Zudem tragen einzelne Begegnungen zur Spannungserzeugung bei: Könnte ihnen etwa ein redseliger Wanderer später mal zum Verhängnis werden – oder ein Mann in einem Restaurant, der Harmon noch „von früher her“ kennt? Und dann wäre da noch die unheilschwangere Szene, in der Dana und Josh ein getötetes trächtiges Reh entdecken, dessen ungeborenes Kitz sich noch immer im Körper der Mutter bewegt...

Einem regelrechten „Wettlauf gegen die Uhr“ folgend – ausgelöst durch einen Autofahrer mit einer Panne in der Nähe des Damms, an dessen höher gelegenen Seite sie zuvor bereits das mit einer Zeitbombe bestückte Boot angebunden hatten – erreicht das Trio schließlich ihren nahebei geparkten Pick-Up und fährt davon. Kontinuierlich verbleibt die Kamera dabei auf sie gerichtet: Schweigend, leicht außer Atem sowie voller gespannter Erwartung. Es gibt kein Zurück mehr. Kurz darauf vernehmen sie sowohl das Geräusch einer Detonation in der Ferne als auch das eines daran anknüpfenden Grollens. Statt die konkrete Sprengung und/oder das Resultat dieser aufzuzeigen, erhält das Publikum in diesen Minuten ausnahmslos sie (ihre Gesichtsausdrücke und individuellen Reaktionen) zu sehen, ohne je von ihrer durchlebten Perspektive der Tat abzuweichen. Mit dieser langen, starren Einstellung verdeutlicht Reichardt einmal mehr, dass bei ihr die Figuren einen ungleich höheren Stellenwert einnehmen als irgendwelche Genre-Konventionen: Eine überaus inspirierte Entscheidung Schrägstrich Gewichtung, die mit Sicherheit jedoch „nicht jedermanns Sache“ ist…

Unabhängig letztgenannter Herangehensweise lassen sich aber dennoch so einige „Thriller-typische Situationen“ ausmachen, deren geschickt und effektiv arrangierte Entfaltung jeweils ein beträchtliches Maß an Suspense generiert – z.B. als sie in eine nächtliche Polizeikontrolle geraten oder (der absolute Höhepunkt in dieser Hinsicht) als Dana Verdacht-erweckende 500 Pfund Dünger zu erwerben gedenkt, dafür allerdings nicht die notwendigen Ausweispapiere vorlegen kann. Bestimmte Emotionen und Empfindungen entstehen beim Zuschauer nicht daher, dass ihn die Regiearbeit in diese oder jene Richtung „drängt“ – sondern weil die Ereignisse, Handlungen sowie der mit feinen Nuancen gespickte, nicht selten angrenzend „dokumentarisch“ wirkende Stil diese in einem auslöst. Unaufdringlich strahlt der gesamte Film eine relativ düster-kühle Atmosphäre aus – was einer harmonischen Kombination bzw. Wechselwirkung aus seinem Inhalt, etlichen stimmungsvollen Locations, der angepassten Bebilderung Christopher Blauvelts („the Bling Ring“) sowie dem bedrückenden Score Jeff Graces („Cold in July“) zuzurechnen ist…

Wie zuvor vereinbart, trennt sich das Trio nach dem Anschlag: Sie kehren in ihre alltäglichen Umfelder zurück und meiden den Kontakt miteinander. Dann vermelden die Medien auf einmal jedoch, dass ein Camper vermisst wird, der in jener Nacht flussabwärts gerastet hatte. Einige Tage später wird die Leiche des Familienvaters gefunden. Das belastet vor allem Dana schwer – was wiederum Josh und Harmon zunehmend nervöser werden lässt. In dieser Phase rückt Josh ein zusätzliches Stück dominanter ins Zentrum des Geschehens – u.a. sein Umgang mit der Nachricht und seinen Mitmenschen, gekoppelt mit anwachsender Paranoia – während die anderen beiden weit weniger Aufmerksamkeit und Screen-Time zugestanden erhalten, was meiner Meinung nach etwas schade ist. Es sind die psychologischen Auswirkungen der Umstände, die fortan eine Vertiefung bzw. genauere Beleuchtung erfahren: Gram, Besorgnis, Misstrauen, Zweifel, Schuldgefühle sowie auch Anflüge von Panik erkeimen – jeder von ihnen reagiert unterschiedlich auf die verursachten (und ggf. noch zu befürchtenden) Konsequenzen…

Im Vorliegenden mit ungewohnt dunklen Haaren zu sehen, liefert Dakota Fanning („the Runaways“) abermals eine rundum überzeugende Performance ab: Dana´s Erfahrungen in der betreffenden Aktivisten-Szene sind begrenzt – allerdings bemüht sie sich ebenso redlich wie erfolgreich, sich vollwertig in die Umsetzung des Vorhabens einzubringen. Sie ist es, die unter dem Tod des Unschuldigen am stärksten leidet – aufgrund jenes „seelischen Gewichts“ sogar einen unschönen Nesselausschlag entwickelt und bei ihren Komplizen schon bald die Befürchtung erweckt, sich wohlmöglich den Behörden stellen zu wollen. Kompetent verkörpert von Peter Sarsgaard („An Education“), scheint sich Harmon nur bedingt für die „Öko-Botschaft“ ihrer Aktion zu interessieren – vielmehr wirkt es so, als sei ihm das eigentliche Motiv dahinter weitestgehend nebensächlich. Man gewinnt durchaus den Eindruck, als agiere er oft berechnend, bisweilen manipulativ: Soziopathische Tendenzen sind unverkennbar. Zudem lassen sich Spannungen zwischen ihm und Josh verzeichnen, die „unterhalb der Oberfläche knistern“ – u.a. auf die generelle Entscheidungsgewalt sowie Zuwendung Danas bezogen…

Eingangs beherzt, irgendwann dagegen mit beschleichender Verzweiflung, versucht Josh inmitten dieses „Strudels“ aus inneren und äußeren Konflikten und Einwirkungen die Oberhand (sprich: Kontrolle) zu bewahren – und das inklusive des „Verwischens“ potentieller Spuren. Jesse Eisenberg („the Social Network“), der hier nun also erneut einen smarten, dieses Mal aber auch verunsicherten, geplagten und unter großem Druck stehenden sozialen Außenseiter mimt, nimmt man den Part in jeder Sekunde ab: Seine Art zu spielen passt prima – seine Leistung weiß zu gefallen. Und obgleich ich mir gewünscht hätte, dass eine spezielle Veränderung seiner Persönlichkeit im abschließenden Drittel filigraner ausgearbeitet worden wäre, punktet das Finale mit einem zwar zum Konventionellen hin neigenden, nichtsdestotrotz wunderbar beklemmenden Set-Piece – welches obendrein in einem anregend mehrdeutigen, Reichardt-typischen, so manchen Betrachter im Zuge dessen gewiss aber auch frustriert in den Abspann entlassenden Ausklang mündet. Wer sich an dem dargereichten Ende stört: Einfach mal in Ruhe darüber nachdenken – und dabei im Hinterkopf behalten, dass der Weg öftermals das eigentliche Ziel markiert…

Mit „Night Moves“ hat Kelly Reichardt ihr bislang zugänglichstes Werk realisiert – allerdings ohne sich in jenem Rahmen dem Mainstream allzu weit anzunähern: Ein „klassischer Indie“ im besten Sinne, der in erster Linie von seiner guten Drehbuchvorlage, dichten Atmosphäre sowie hervorragenden Besetzung lebt, zu welcher u.a. noch Alia Shawkat („Whip it“), Kai Lennox („Yes Man“), Katherine Waterston („Robot&Frank“), James Le Gros („Point Break“) und Lew Temple („Unstoppable“) zählen. Mit dem Film ist ihr eine packende, eindringliche Studie dreier Personen gelungen, die ihre an sich nachvollziehbaren, keineswegs unlöblichen Ideale mit fragwürdigen (oder besser gesagt: falschen) Mitteln durchsetzen wollen und sich im Anschluss daran mit den verschiedenartigen Folgen ihres Tuns konfrontiert sehen. Markant lässt sich Reichardt´s Verzicht darauf registrieren, eine wertende Position einzunehmen: Frei einer klaren Sympathieverteilung „dokumentiert“ sie die Ereignisse (samt der involvierten Individuen) geradezu – eine angenehme Neutralität, die ähnliche Veröffentlichungen häufig vermissen lassen...

„7 von 10"

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