iHaveCNit: Prisoners (2013)
Da aktuell der neue Denis Villeneuve-Film „Arrival“ in den Startlöchern steht, war es nach langer Zeit für mich mal fällig, eine Zweitsichtung von „Prisoners“ vorzunehmen. „Arrival“ ist Pflicht, weil Villeneuve für mich mit „Enemy“ ein tolles Psychogramm und mit „Sicario“ einen der besten Filme des letzten Jahres geschaffen hat. „Prisoners“ selbst ist für mich ein guter Thriller, der viel Licht, aber auch ein wenig Schatten hat und damit in meinen Augen nicht das große Meisterwerk ist, für den ihn viele wahrscheinlich halten.
Es ist Thanksgiving und die Familien Dover und Birch feiern gemeinsam. Als die beiden jüngsten Töchter beider Familien nach draußen gehen wollen, tauchen beide auch einige Zeit danach nicht mehr wieder auf. Die Suche nach den vermissten Töchtern zerreißt nicht nur beide Familien, sondern auch den ermittelnden Polizisten Loki. Als schon früh ein Verdächtiger feststeht, der aufgrund eines Traumas und geistiger Benachteiligung kein Wort rausbringen kann, brennen beim Familienvater Keller Dover die Sicherungen durch.
Thriller mit vermissten Personen und der Suche nach Wahrheit gab es z.B. dieses Jahr mit „Girl On The Train“ oder auch 2014 mit „Gone Girl“ und hatten auch Anfang der 90er mit „Silence of the Lambs“ einen Höhepunkt. „Prisoners“ hat ein paar Probleme. Wir haben das klassische Ungleichgewicht zwischen Laufzeit und Handlung, so dass der Film etwas zu lang und auch langatmig geworden ist. Unabhängig davon, wie gut Jake Gyllenhaal und vor allem Hugh Jackman hier aufspielen. Man hat das Gefühl, dass der Film besser funktioniert hätte, hätte man hieraus nur eine Person gemacht. Jake übernimmt aus filmischer Perspektive nicht nur die klassische Ermittlung, sondern mit Exposition, Establishing und auch der Konklusion erfährt er auch eben fast nur die gebundenen Filmelemente. Das fehlt bei Hugh Jackmans Keller Dover völlig, weil er nichts der gebundenen Filmelemente erfährt, sondern nur an ungebundenen Elementen teilnimmt. Gepaart mit einer entschleunigten Inzenierung, an der ja eigentlich nichts falsch ist, hindert das den Film daran ein großartiges Meisterwerk zu sein.
Sonst neben der erwähnten Kritik gibt es jedoch mit Jackman, Gyllenhaal, Viola Davis, Maria Bello, Terrence Howard, Melissa Leo und Paul Dano einen starken Cast versammelt, die alle ihre Sache überraus ordentlich machen und das Drama sowie die innerliche Zerrissenheit auf den Punkt mit oder ohne Dialoge perfekt spürbar machen. Das Schreckensszenario von vermissten Kindern wird hier mit brutaler Härte und purem Realismus gezeigt. Der Spagat zwischen Geduld und Hoffnung in die Ermittlungen UND dem Hang zur Selbstjustiz offenbart uns hier eine sehr tiefgründige und schockierende Auseinandersetzung mit dem Thema. Die handwerklichen Schwächen des Werks liegen wohl mehr am Drehbuch, die sonstige handwerkliche Umsetzung ist auf den Punkt gelungen. Egal ob es die Kameraarbeit von Roger Deakins, der Soundtrack von Johann Johannsson oder die letztendliche Inszenierung von Denis Villeneuve ist. Der Film schafft es aufgrund der Laufzeit weniger Spannung zu erzeugen, sondern mehr durch die schockierend realistische und brutale Zurschaustellung der Situation und den Abgründen aller Beteiligten einen Sog zu entwickeln, dem man sich, einmal gefangen – nicht so leicht entziehen kann – genau wie wenn man sich in einem Labyrinth verlaufen hat. Bei der Beantwortung der Frage nach Gerechtigkeit, Selbstjustiz und der Schuldfrage geht der Film sehr ambivalent vor und lässt uns einiges an Spielraum.
Schockierend, dramatisch und brutal realistisch – das ist „Prisoners“, der sich jedoch bei mir hinter „Enemy“ und meinem Lieblings-Villeneuve „Sicario“ einordnen muss – trotz gleicher Punktzahl.
„Prisoners“ - My Second Look – 9/10 Punkte