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„Prisoners" (2013), das Hollywooddebüt des frankokanadischen Arthouse-Regisseurs Denis Villeneuve, ist eines der Filmhighlights des Jahres. Hervorzuheben sind dabei nicht nur die durchweg beeindruckenden Leistungen des Casts, angeführt von Hugh Jackman und Jack Gyllenhall, die das menschliche Drama für den Zuschauer förmlich körperlich erfahrbar machen. Lobenswert ist auch die Tatsache, dass Villeneuve trotz der stolzen Laufzeit von knapp 2,5 Stunden nie seine Thriller-Handlung um zwei entführte Kinder aus den Augen verliert und eine spannende Geschichte zu erzählen hat. So nimmt „Prisoners" am Ende nicht nur seine Protagonisten, sondern auch den Zuschauer für sich gefangen.

Während einer Thanksgiving-Feier verschwinden die Kinder der befreundeten Nachbarn Keller Dover (Hugh Jackman) und Franklin Birch (Terrence Howard) spurlos. Der Anfangsverdacht von Detectives Loki (Jake Gyllenhall) gegen den geistig zurückgebliebenen Alex Jones (Paul Dano) bestätigt sich nicht, so dass sich seine Ermittlungen auf andere Personen konzentrieren. Überzeugt von Jones Schuld trifft Dover einen fatalen Entschluss und nimmt das Gesetz in die eigenen Hände.


Der klassische Thriller führt nach seiner Blütezeit im amerikanischen Mainstreamkino der Gegenwart ein eher stiefmütterliches Dasein. Nachdem Alfred Hitchcock das Genre im Verlauf der 1950er Jahre zur Blütezeit brachte („Bei Anruf Mord", „Das Fenster zum Hof", Der Mann, der zuviel wusste), zersplitterte es in den postmodernen 1990er-Jahren in zahlreiche Subgenres. Spielarten wie der Erotikthriller („Basic Instict", „Body of Evidence"), Horrorthrillers („Scream", „ich weiß, was du letzten Sommer getan hast"), Psychothriller („Das Schweigen der Lämmer", Kap der Angst ", „Sieben") und Polit-/Verschwörungsthriller („J.F.K. Tatort Dallas", „Thirteen Days", „Fletcher‘s Visionen"), Gerichtsthriller („Die Akte", „Aus Mangel an Beweisen") kamen auf. Mit dem Beginn des neuen Milleniums und der Dominanz von Komödien und Superheldenfilmen (die teilweise abenfalls als Thriller konzipiert sind: „The Dark Knight", „Captain America - The Winter Soldier") gehen die Marktanteile für Thriller immer weiter zurück, bzw. verlagerten sich in den Bereich der DTV-Produktionen bzw. ins Fernsehen („24")

Mit „Prisoners" (2013) ist auch deshalb eine Ausnahmeerscheinung im Kinojahr 2013. Mit 40 Millionen recht üppig budgetiert legt Hollywooddebütant Denis Villeneuve einen fulminanten Psychothriller mit starken Dramaelementen vor, in dem sich die Protagonisten zu gleichen Teilen mit äußeren und inneren Konflikten auseinandersetzen müssen. Ein schwieriger Balanceakt, da sich eine fintenreiche Thrillerhandlung und hohes Erzähltempo schnell mit der nuancierten Charakterdarstellung eines Dramas beißen. Erstaunlicherweise gelingt es Villeneuve beide Aspekte unter einen Hut zu bringen, ohne, dass die eine oder andere Seite vernachlässigt wird, oder aufgesetzt wirkt. Vielmehr befeuern sie sich, die dramatischen inneren Konflikte, steigern die äußeren Spannungen, wenn die Protagonisten aufeinander losgelassen werden. Verantwortlich dafür ist auch das kraftvolle und wendungsreiche Drehbuch von Aaron Guzikowski (Contrabant). Inhaltlich anzukreiden sind hier lediglich einige Unwahrscheinlichkeiten und zwei Deus-Ex-Machina-Ereignisse, die der Handlung zwar neuen Schwung verleihen, aber doch mehr oder weniger aus dem Nichts kommen und sich nicht zwingend aus der Handlung ergeben.

Bei allen Dramaelementen verliert „Prisoners" (2013) nie die eigentlich Geschichte, um die Entführung der beiden Kinder aus den Augen. Sie sind dabei bei Weitem nicht die einzigen beiden der titelgebenden „Prisoners", Vielmehr scheint beinahe jeder handelnde Akteur in einem inneren oder äußeren Gefängnis festzusitzen. Das Finale überrascht dann mit einem kraftvollen Schlusstwist, sondern vielmehr mit einem äußerst vergifteten Happyend-Möglichkeit, das das Dilemma der Protagonisten nochmal gekonnt auf den Punkt bringt.

Villeneuve beweist dabei auch ein erstaunliches Talent in Punkto Schauspielführung, treibt vor allem Hugh Jackman zu nicht für möglich gehaltenen Höchstleistungen an und gibt alle Protagonisten den nötigen Freiraum, ihre Figuren mit unverwechselbaren und authentischen Spleens und Ticks anzureichern. Bis in die Nebenrollen (Terrence Howard, Maria Bello, Paul Dano, Melissa Leo) glänzt der Film mit ausgezeichneten Darstellerleistungen die die intelligente Geschichte weiter aufwerten. Dabei kreiert er eine unverwechselbare Atmosphäre einer abgewirtschafteten amerikanischen Kleinstadt, in der das trübe Wetter und der andauernden Schneeregen die passende Metapher für die zahlreichen Grauzonen bildet, in denen die Figuren sich bewegen.

„Prisoners" überzeugt (trotz einigen kleineren Schwächen in Bezug auf die Geschichte) mit einer spannenden Thriller-Handlung und kraftvollen Figuren. Beides evoziert fast im Alleingang die Betrachtung universaler menschlicher Konflikthemen, die „Prisoners" weit über den Genredurchschnitt hieven und in jeder Beziehung bsolut sehenswert machen.

Daran werde ich mich erinnern: Der graue Schneematschszenario.

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