Review

kurz angerissen*

Die Zivilisation ist in Reichweite und doch unerreichbar. Menschen in einem Laboratorium tragen seltsame Kapuzen, die den gesamten Kopf verhüllen und somit ihre Identität; sie entnehmen einer nackten Frau, deren Kopf ebenfalls mit einer Kapuze bedeckt ist, aus ungenannten Gründen Blut. Eine Prozedur mit durchaus vertrautem Inhalt, die durch das bizarre Szenenbild jedoch ins Unkenntliche verzerrt wird. Gleiches geschieht mit der Außenansicht, in die Jean Rollin daraufhin überleitet: Eine Straße leitet einer Frau in einem Nachthemd den Weg zu einer Treppe, die sie zu einer Hochbahnunterführung bringt. Asphalt, Hauswände, Metallpfeiler und Straßenschilder. Überall Anzeichen belebter Urbanität, allein: Rollin dreht die Einstellung mitten in der Nacht und tilgt alle Zeichen von Leben aus der Szenerie, als folierte er das Stadtbild mit den Phantombildern einer verlassenen Traumwelt. Die Bodenhaftung eines gewöhnlichen Schauplatzes aus dem Alltag geht unter, angrenzend an ein vampirisches Paralleluniversum ganz ohne Fangzähne und Fledermausmäntel, das sich selbst in seiner unheimlichen Stille genügt.

Inmitten dieses irrealen Moments führt der Regisseur die Identifikationsfigur ein, einen Mann, der von den bis dato gezeigten Vorgängen ebenso wenig versteht wie der Zuschauer. Ein gotisches Schloss wird später zum Hauptschauplatz auserkoren, das im Gegensatz zur turmartigen Lokalität von „Sexual-Terror der entfesselten Vampire“ keine autarke Insel mit zirkulärer Architektur bildet, sondern durchaus einen vollmondartigen Einfluss auf die urbane Peripherie ausübt. Die Geschichte um einen Selbstmörderkult entzieht sich auf Anhieb dem Verständnis des Zuschauers (wie auch des Protagonisten) und fungiert damit als sinnbildliche Entsprechung für Rollins' kryptischen Inszenierungsstil, dem ohne ausreichende Reflektion schnell selbstzweckhafte Allüren in Sachen Ausstattung und vor allem Nacktheit vorgeworfen sind.

Im Idealfall provoziert all das einen leidenschaftlichen inneren Protest, der die relative Spannungsarmut oder Schwermut eines Rollin-Films unwirksam werden lässt. Mit Nachdruck besteht man darauf, dass die eigenen Maßstäbe für Normalität immer noch gelten, doch gerade deswegen ist man von den fremdartigen Vorgängen so fasziniert, die in Rollins zeitlos surrealem Zweitwerk ihrem eigenen Regelwerk folgend vonstatten gehen. Die puppenhafte Spielweise, mit der etwa die Castel-Zwillinge durch die vorwiegend weiß gehaltenen Gemäuer traumwandeln und dabei Fetisch-Kleidung der „Barbarella“-Strömung schautragen, brennt nachhaltiger im Gedächtnis als es jedes ikonische Zugeständnis zum Filmvampirismus könnte. Ein grinsender Mann, der am Tisch sitzt und zwei Tänzerinnen zusieht, bereitet den Weg für den lynchesken Surrealismus unserer Zeit. Gleiches gilt für den durch einen roten Vorhang symbolisierten Übergang in eine andere Bewusstseinsebene.

Es sind gerade diese lustvollen Collagen aus vermeintlich sich widersprechenden Bestandteilen, die vermutlich das gesamte Werk des Regisseurs so schwer einschätzbar machen. Obwohl sich von der Bildkomposition zum Schnitt über die Handlung bis ins träge Schauspiel hinein fast alles radikal den konventionellen Sehgewohnheiten verwehrt und obwohl sich der Film niemals zum soliden Genre-Handwerk bekennt, ja ein solches sogar vehement dementiert („Es gibt keine Vampire, es gibt nur Menschen“), strahlt „Die Nackten Vampire“ eine der Exploitation völlig zuwiderlaufende Sanftmut und Würde aus, die hauptsächlich mit seiner besonderen Ästhetik zu erklären ist.

*weitere Informationen: siehe Profil

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