Wer ist das größte "Monster"? Der Mensch? Oder der Vampir?
Aber Vampire existieren doch nicht; sie sind Fabelwesen, erfunden von Menschen, die in früheren Zeiten, mangels genauen wissenschaftlichen Kenntnissen und fehlendem "Weitblick", solche Art "Monster" erschaffen haben, sobald ihnen etwas "Unerklärliches" widerfahren ist.
Endgültig zu "Ruhm" gekommen ist der Vampir durch einen gewissen Bram Stoker und seinem Roman "Dracula". Gibt es nun Vampire?
Diese Frage stellt sich an einem gewissen Punkt im Film auch Pierre. Gleich zu Beginn trifft er eine gleichermaßen schöne wie anmutige, ihm aber unbekannte, namenlose Frau. Eine gewisse Faszination geht von ihr aus. Doch viel Zeit bleibt den beiden nicht, sie wird von Leuten mit Tiermasken verfolgt. Trotz aller Bemühungen, kann er sie nicht beschützen. Nachdem sie von den Unbekannten erschossen wurde, kann er ihnen bis zum Anwesen seines Vaters folgen. Ab da "stolpert" Pierre in eine Geschichte hinein, von der er nie geträumt hätte.
Geträumt? Ein gutes Stichwort! Mit diesem kennt sich der Regisseur, Jean Rollin, nämlich sehr gut aus. Seine Filme wirken oftmals wie Träume. So auch "Die nackten Vampire". Das Gesehene wirkt auf den Zuschauer teilweise doch sehr verfremdet und unwirklich. Man kommt sich wie in einen Traum versetzt vor. Die Gestalten in ihren Tiermasken, das wunderschöne, geheimnisvolle Mädchen, dieses obskure Anwesen des Vaters von Pierre. All das könnte einem surrealistischen Traum eines jeden selbst entsprungen sein.
In diesem Anwesen passieren unerklärliche Dinge. Aber das Verrückteste, vor allem für Pierre, das am vorigen Abend erschossene Mädchen ist wieder quicklebendig. Wie kann das sein? Nicht nur Pierre stellt sich diese Frage.
Diese ganze Szenerie stellt, ungefähr, das erste Drittel des Filmes dar. Und es ergeht einem wie bei den meisten Rollin-Filmen, man wird von seiner besonderen Atmosphäre sofort vereinnahmt. Rollin, bzw. sein Kameramann, zaubert phantastische Bilder auf die Leinwand, die oft ohne Dialoge auskommen, und gerade deswegen so eindringlich wirken. Untermalt wird das alles zusätzlich von Klangfragmenten verschiedener Instrumente, die es schaffen, die bizarre Szenerie noch überwältigender wirken zu lassen.
Rollin bietet hier vielleicht nicht diese Farbpracht, wie bei "Sexual-Terror der entfesselten Vampire" oder die spezielle Anmut eines "Requiem for a Vampire", doch da wechseln sich schöne Nahaufnahmen mit faszinierenden Weitwinkelaufnahmen ab; oder die Kamera folgt, ohne abzublenden oder Zwischenschnitt, einfach dem Geschehen. Gerade diese filmtechnischen Maßnahmen, die so ziemlich alle Filme Rollins auszeichnen, ja quasi zu seinem prägnanten Stil geworden sind, üben einen sehr großen Reiz aus.
Natürlich werden bei diesem Film auch die Rollin-Kritiker wieder bedient, denn das Ganze ist, wie so oft bei ihm, sehr leise, ja fast ruhig, inszeniert. Action gibt es sehr selten, und wenn, dann wirkt das doch sehr amateurhaft. Da wird mit Platzpatronen geschossen, auf große Effekte verzichtet, nicht mehr als nötig gezeigt. Doch gleichzeitig sieht man ein Paradebeispiel, dass ein Film nicht immer geniale Effekte braucht, um überzeugen zu können.
Was natürlich auch nicht fehlen darf sind nackte Schönheiten. Und da stellt sich mir wirklich immer wieder die Frage, wo er solch schöne Frauen gecastet haben könnte. Natürlich kann man Rollin wieder einmal vorwerfen, dass er im Grunde angenehme Männerträume auf Zelluloid gebannt hat. Doch die Sensibilität, die die Kamera an den Tag legt, wenn es um diese, oberflächlich betrachtet, "Fleischbeschau" geht, spricht für Rollin. Rollin zollt der Schönheit und Anmut des weiblichen Körpers seinen Respekt. Klar, bringen die nackten Frauen die Geschichte nicht unbedingt voran, aber sie werden mit unheimlich viel Stil in Szene gesetzt.
Was mich an Rollins Filmen auch reizt ist der Aspekt der Klärung einer wichtigen Frage: "Wer ist der Gute und wer der Böse?". Rollins Bösewichter sind eher selten die eigentlichen Monster, wie z. B. die Vampire. Meistens sind es die Menschen selbst. Einer der scheinbaren "Obervampire" stellt gegen Ende fest, dass es keine Vampire, sondern nur Menschen gäbe. Eine interessante Feststellung. Pierre's Vater möchte sich die Unverwundbarkeit und Unsterblichkeit der Vampire sichern, damit er vermutlich die Welt beherrschen kann. Die eigentlichen Vampire, brauchen kein Blut um zu existieren, sie haben auch keine Angst vor Kruzifixe. Sie wollen nur unter ihresgleichen leben, an einem Ort, an dem es keinerlei Gewalt, keine Ungerechtigkeit gibt. Nur sie selbst, in Liebe vereint, untereinander. Das klingt doch sehr nach den, leicht naiven, Zielen der Flower-Power-Generation. Auch sie wollten sich eine Welt voller Frieden schaffen, in denen machthungrige Menschen fehl am Platz sind. Dies ergibt durchaus Sinn, bedenkt man das Entstehungsjahr des Filmes (1970). Nur weil Pierres Vater und seine Handlanger keine Erklärung für das Phänomen der Unverwundbarkeit bzw. der Unsterblichkeit des Mädchens finden, wird sie von ihnen sofort als einen weiblichen Vampir deklariert. Sie machen durch diesen Schritt nichts anderes, als die Menschen von damals. Alles "Unerklärliche" wird sofort zum "Bösen" auserkoren.
Und wieder ist Jean Rollin ein sehr guter Film gelungen, mit dem der Mainstream so seine Probleme haben dürfte, der aber für Filmfreunde, die auch einmal sehr gerne über den Tellerrand schauen möchten, eine besondere Erfahrung darstellen wird.