Review

Eine etwas zwiespältige Sache ist dieses Frühwerk von Jean Rollin.  Auf der einen Seite sucht man vergebens einen klassischen, dramaturgisch sinnstiftenden Handlungsaufbau mit Spannungsbogen, ausgearbeiteten Charakterzeichnungen (selbst bei den Hauptdarstellern) und nicht wenige Szenen wirken wohl nicht erst anno 2007 unfreiwillig trashig. Auf der anderen Seite kann der Film bisweilen mit geradezu umwerfenden poetischen Bildern und Symbolen glänzen, die "La Vampire Nue" als eine kleine Perle des surrealistischen Films qualifizieren. 

Sehr beeindruckend ist mir dabei zum Beispiel eine Szene in Erinnerung geblieben, in der die Vampire wie in Trance in das nächtliche Schloss strömen, während an der Schlossmauer im Hintergrund die Schatten ein bizarres Eigenleben entwickeln und ihren Besitzern(?) schließlich mit etwas Verzögerung durch das Tor nachfolgen.

"La Vampire Nue" hat eigentlich von Anfang bis Ende keinen wirklichen drive, stattdessen kann sich das Auge gelassen sattsehen an der hypnotischen Schönheit der ausgewählten settings, an den oft exotisch ausstaffierten Protagonisten und sich ferner nach dem fiebrig-erotischen Flair der Endsechziger zurücksehnen.  So stelle ich mir die filmische Umsetzung eines fin-de-siècle Romans vor: Lebensüberdruss und Leichtlebigkeit, Frivolität, Ennui, die Faszination des Morbiden, das Mysterium von Leben und Tod, Weltschmerz, kurz: Dekadentismus. Baudelaire hätte wohl ebenso seine Freude dran gehabt, wie Clark Ashton Smith oder Oscar Wilde.

Eine Bewertung scheint wenig aussagefähig, da diese nur dann Sinn hat, wenn ein vergleichender Maßstab vorhanden ist. Rollins Werk ist aber kaum einem definitiven Genre zuzuordnen. "La Vampire Nue" ist jedenfalls kein klassischer Horrorfilm; vielmehr ein melancholischer Liebesfilm, eine psychedelische Gothic Love Story. Während ich für einige Szenen bedenkenlos die Höchstnote vergeben würde, so muss "La Vampire Nue" als Gesamtwerk in der Bewertung allerdings einige Abstriche hinnehmen, da die recht krude konstruierte Rahmenhandlung, die dem Zuschauer eine konventionelle, nachvollziehbare Story unterjubelt,  die poetische Wirkung doch stark beeinträchtigt.  So vermischen sich Anspruch und Anspruchslosigkeit bisweilen in ein und derselben Szene. Nicht auszudenken, welche Meisterwerke Rollin hätte kreieren können, wenn er damals - vor nunmehr 40 Jahren - auch noch erzähltechnisch die Radikalität eines David Lynch besessen hätte!

Wenn ich dem Film also 7 von 10 Punkte gebe, soll dies kein Vergleich zu der Bewertung anderer Filme herstellen, sondern vielmehr als Prädikat für einen außergewöhnlichen Film stehen.
 

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