Die unsichtbare Gefahr, die irgendwo im Verborgenen lauert, gehört zu den Grundlagen des Horror-Films, womit dieser auf die Urängste seiner Seher anspielen will - die Furcht vor dem Unbekannten oder in letzter Konsequenz vor dem Alleinsein. Fast immer wenn ein Einzelner die Gruppe verlässt, um die Ursache eines seltsamen Geräusches oder eines huschenden Schattens zu erkunden, begibt er sich in Lebensgefahr, weshalb der aufmerksame Betrachter es in der Regel nicht fassen kann, wieso sich Jemand in einer solchen, nicht einschätzbaren Situation allein in den Keller, auf den Dachstuhl oder ein unbeleuchtetes Grundstück begeben kann.
Solchen häufig unlogisch anmutenden Verhaltensweisen entgeht "Oltre il guado" (Across the river) schon von der Grundanlage her, denn bis auf wenige kurze Ausnahmen steht nur ein einzelner Protagonist im Mittelpunkt des Geschehens - der Biologe Marco Contrada (Marco Marchese), der allein in den schwach besiedelten Alpenausläufern im Grenzgebiet Italien / Slowenien das Verhalten der heimischen Tierwelt erforscht. Marco schätzt das Alleinsein und die damit verbundene Möglichkeit, mit möglichst geringen menschlichen Eingriffen beobachten zu können. Tagsüber wertet er Spuren aus und nach Eintritt der Dunkelheit nimmt er über eine Infrarotkamera die nächtlichen Gewohnheiten der Tiere auf, bevor er sich in seinem gut ausgestatteten Van zur Ruhe begibt.
Allein diese Tätigkeit in der Einsamkeit undurchsichtiger Wälder inmitten einer ursprünglichen Tierwelt, hätte schon genügt, um dem Betrachter das Blut in den Adern gefrieren zu lassen. Regisseur und Drehbuchautor Lorenzo Bianchini betont diesen Eindruck noch, indem er tagsüber das Zwielicht dichter Wälder belässt und auf den befreienden Blick weiter Bergpanoramen verzichtet. Verbunden mit den intensiven Geräuschen einer ungestörten Natur entsteht von Beginn an eine klaustrophobische Atmosphäre, ohne ungewöhnliche Ereignisse bemühen zu müssen. Für den Forscher ist diese Situation alltäglich und etwaige überraschende Begebenheiten erzeugen erst dessen Neugierde. Entsprechend zögert er nicht, dem Tod eines Fuchses nachzugehen, dem er eine Kamera umgebunden hatte, um dessen nächtlichen Wege zu verfolgen. Innerhalb eines verlassenen Bergdorfes erleidet der Fuchs schwere Bisswunden, weshalb Marco vor Ort herausbekommen will, welches Tier dafür verantwortlich war.
Es ist die schmale Grenze zwischen Realität und einer undefinierbaren Gefahr, die „Oltre il guado“ von herkömmlicher Genre-Ware unterscheidet. Nur ganz langsam, fast unmerklich verschiebt sich der Focus des Films in Richtung eines klassischen Horrorszenarios, da schon die reale Ausgangssituation die gewohnten Ängste anspricht. „Oltre il guado“ - die wörtliche Übersetzung „Jenseits der Furt“ lässt die andersseitige Dimension stärker erahnen – begibt sich ganz nah an den Forscher und verfolgt in ruhigen Bildern detailliert dessen Arbeit. Trotz der damit verbundenen Normalität vermittelt der Film eine latent drohende Gefahr, die den Betrachter viel früher als den Forscher erahnen lässt, dass in dem verlassenen Bergdorf etwas Unbekanntes lauert.
Wer auf typische Horror-Effekte wartet, benötigt viel Geduld, ganz davon abgesehen, dass der Film auf vordergründige Gewalt verzichtet. Fast ist es zu bedauern, dass „Oltre il guado“ sich um einen, wenn auch schlüssigen, die mangelnde Vergangenheitsbewältigung 2.Weltkrieg-Greuel ansprechenden Erklärungsansatz bemüht, denn im unkonkreten, lange im Grenzbereich von Realem und Irrealem verweilenden Szenario liegt die Stärke des Films. Eine Identifikation mit der Situation des einsamen Forschers vorausgesetzt, wird „Oltre il guado“ zu einem stetig ansteigenden Horror-Trip mit den eigenen inneren Ängsten. (8/10)