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„Auf die Sex-Barrikaden!“

Die italienisch-deutsche Koproduktion „Libido – Das große Lexikon der Lust“ aus dem Jahre 1969 ist folgerichtig eine Mischung aus Mondofilm und Pseudo-Aufklärungsreport. Die Regie teilten sich Sergio Bergonzelli („In the Folds of the Flesh“) und Theo Maria Werner („Ich denk', mich tritt ein Pferd“), wobei es heißt, dass Bergonzelli Probleme mit der italienischen Zensur gehabt habe und sein Film für die Freigabe ziemlich Federn habe lassen müssen, während Werner für die deutsche Fassung einige Szenen nachdrehte und einfügte. Und was jetzt nach Flickenteppich klingt, ist auch einer.

„Hier geht es eher preußisch zu.“

Die Doktorandinnen und Doktoranden Claudia (Brigitte Skay, „Unruhie Töchter“), Alfi (Al Cliver, „Laura“), Anita Gruber (Hansi Linder, „Tamara“), Siggi (Bernard De Vries, „Das Geschlecht der Engel“), Natascha (María Luisa Sala, „Blutiges Blei“) und Peter (Angelo Infanti, „Der Pate“) bilden eine Kommune, um an ihrer Dissertation in Form einer Filmreportage über die menschliche Sexualität zu arbeiten. Hierfür befragen sie Passantinnen und Passanten auf der Straße, um ihre Hypothese zu bestätigen, dass sexuelle Verklemmtheit und gesellschaftliche Tabus die Menschen an der Entfaltung ihrer Sexualität hindern und damit ursächlich für eine ganze Reihe von Problemen sind. Je mehr sie sich mit diesen Themen beschäftigen, desto näher kommen sie auch untereinander…

„Willkommen im natürlichen Kleid: der Haut!“

Zu Beginn müssen nackte Kinder als Exempel für natürliche Nacktheit herhalten, weiter geht’s mit historische Gemälden und Skulpturen, mit der Sauna und mit FKK-Fotos. Diese Aufnahmen entpuppen sich als dokumentarisches Material, das die Doktorandinnen und Doktoranden zusammen mit ihrem Professor rezipieren. Die anschließenden Straßenumfragen leiden unter unangebrachter Hektik und einer furchtbaren Wackelkamera. Die Dialoge sind unfreiwillig komisch, ein eigentlich zitierwürdiger Dialog jagt im Stakkatotempo den nächsten. Generell wirkt der Schnitt des Films sehr hektisch und irritiert, wie man zwischen den Szenen und Themen springt. Das Thema Phimose (Vorhautverengung) wird am Beispiel eines Kinderpimmels durchexerziert und mehrmals wird behauptet, Kaffee mache impotent.

„Manche Frau entwickelt sich zur Schlampe, die immer herumschreit; ob sie im Recht ist oder nicht!“

Weitere angerissene Themen sind Homosexualität, Zwitter und Transsexualität, erogene Zonen, Gruppensex, Masturbation, Ödipuskomplexe, Voyeurismus etc. Angebliche Experten bemühen sich mehr schlecht als recht, dem Ganzen einen seriösen Anstrich zu verleihen, wobei der Film zugegebenermaßen nicht immer danebenliegt und für sein frühes Veröffentlichungsjahr recht provokant ausgefallen ist. Gleichberechtigung herrscht insofern, als Frauen und Männer komplett nackt gezeigt werden, also nicht nur eine heteronormativ männliche Sichtweise bedient wird. Gerade in der Retrospektive wirkt eine Vielzahl Szenen aber schlicht albern und von einem fragwürdigen Humorverständnis zeugend.

„Auf in die Matratzenschlacht, Amazone!“

Im (nennen wir es mal) Finale helfen den Studierenden bewusstseinserweiternde Substanzen bei einem Selbsterfahrungstrip, der in psychedelische Bilder gefasst wird und den jungen Leuten dabei hilft, endlich auch die letzten eigenen Hemmungen zu verlieren und sich sexueller Forschung am lebenden Objekt hinzugeben. Am Ende steht jedoch in erster Linie die ungewollte Aussage des Films, dass Geschlechtsreife offenbar zu völligem Verlust des Verstands führt. Da kann dann auch das interessante Ensemble mit Personalien wie der frühen deutschen Erotikfilm-Ikone Brigitte Skay oder dem hier offenbar debütierenden späteren Genrefilm-Souverän Al Cliver nicht viel retten. Die Machart des Films macht letztlich alle halbwegs interessanten Ansätze und Ideen zunichte, denn der ganze Schmu ist heillos überdreht und erinnert dabei tatsächlich eher an Pubertierende, die gerade ihre Sexualität entdeckt haben und aufgeregt darüber schnattern und palavern, als an angehende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Aber in eben jener Pubertät steckte der Sexfilm damals eben noch…

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