Review

Originaltitel: Still Life
Drehbuch & Regie: Uberto Rosselini
Besetzung: Eddie Marsan, Joanne Froggatt, Karen Drury, Andrew Buchan u.a.
Genres: Drama
Dauer: 92 min

Wie übersetzt man den englischen Ausdruck "council case worker" auf Deutsch? Mr. May (Eddie Marsan) ist einer von ihnen, mit ziemlicher Sicherheit der seltsamste in ganz London.

"Sachbearbeiter der Stadtbehörde" heisst das wohl bei uns, der Ausdruck sagt aber nichts über Mr. Mays Arbeit aus. Mr. May ist für Leute zuständig, die einsam und unbemerkt in ihren Wohnungen gestorben sind. Er muss eventuell noch vorhandene Verwandte aufspüren oder, im Fall eines Misserfolgs, sich um die letzten Dinge wie Abdankung und Grablegung kümmern.

Es gibt diesen Job, und für Mr. May, selbst eine einsame Seele, ist er gar zur Berufung geworden. Er nimmt sich viel Zeit für die Suche, wartet Monate lang, ob sich nicht doch noch ein Angehöriger oder ein Freund des Verstorbenen melde, ehe er einen Fall schliesst. Dadurch ist Mr. May "ineffizient", kostet die Stadt zuviel und soll entlassen werden.
Ein letzter Fall bleibt ihm noch, der eines gewissen William Stoke, und in den verbeisst er sich nun wie ein Detektiv. Er verlässt sein tristes Büro und macht sich aktiv auf die Suche nach Mr. Stokes Angehörigen, reist kreuz und quer durch's Land und kommt so dem Leben des Verstorbenen langsam auf die Spur.

Still Life, wie der Film im Orginal heisst, ist der zweite Film Uberto Pasolinis, eines Italieners in England, der bislang als Produzent tätig war (u.a. für den Hit The Full Monty); mit dem berühmt-berüchtigten italienischen Regisseur Pier Paolo Pasolini ist er nicht verwandt.
Für einen Zweitling lässt er eine erstaunlich sichere Handschrift erkennen. Die minimalistischen Bilder, die er findet, um einerseits die Einsamkeit der Hauptfigur und andererseits die Unpersönlichkeit der städtischen Umgebung abzubilden zeichnen sich durch einen räumlichen Minimalismus aus, den Pasolini vor allem durch eine völlig erratische Kamera erreicht. Mr. May wirkt, sobald er ein Haus verlässt, in den Bildauschnitten der Aussenaufnahmen verloren.

Still Life ist ein ruhiger, langsamer Film, der von inszenatorischen und dramaturgischen Feinheiten und dem nuancierten Spiel der Darsteller lebt. Er verlangt vollste Aufmerksamkeit von seinem Publikum und belohnt es mit der Charakterstudie eines Mannes, der dem Leben, das der Tod nicht vollständig auslöschen vermag, auf die Spur zu kommen versucht. Ein melancholischer, im Realen verankerter Film, der bis fast zuletzt die bekannten Feel-Good-Mechanismen vermeidet, sich ihrer aber dann doch bedient und am Schluss ins märchenhafte kippt. Dass er dies allerdings nach einer schockartigen Wendung tut, beweist, wie sehr er seine Figuren liebt - und das überträgt sich auf das Publikum.

Ein menschlich unglaublich reicher, reifer und deshalb wertvoller Film!

Ansehen? Nicht ansehen? Wer nur Action-Kracher guckt und bei jeder kürzeren Dialogstrecke gleich findet, das sei langweilig, sollte sich Still Life schenken. Alle anderen: Unbedingt ansehen!
Er ist auf bei uns DVD erschienen und auch im Stream bei vielen Anbietern zu finden.

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