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Fotograf Patrick (Kentucker Audley), Reporter Sam (AJ Bowen) und Kameramann Jake (Joe Swanberg) „arbeiten“ für das tatsächlich existierende HBO-Magazin VICE als so genannte „Immerser“, d.h. sie sind nicht nur distanzierte Reporter, sondern lassen sich da hinbringen, wo es wehtut (beim realen VICE nach Nordkorea, in die ölverschmutzten Deltas von Nigeria, die Slums von Mumbai) und erleben das Gezeigte sozusagen hautnah, lassen sich komplett involvieren, meist aus einer Perspektive. Somit lassen sie sich nicht lange bitten, als Patricks lang verschollene Schwester Caroline ihren Bruder einlädt, sie in einer abgeschotteten Kommune irgendwo in Südamerika zu besuchen. Dort lebt sie in einer autarken, friedlichen Hippie-ähnlichen Gemeinschaft, frei von den Zwängen und Bedrohungen der modernen Zivilisation. Als die drei Amerikaner schließlich zu der Kommune namens „Eden Parrish“ kommen, irritieren sie die bewaffneten Wächter, aber Caroline kann sie beruhigen und erzählt ihnen, dass die misstrauischen Wächter nur zur Verteidigung da sein, denn der Führer der Gemeinschaft, von allen nur „Vater“ genannt, hat Angst vor amerikanischer Verfolgung. Zunächst scheint alles friedlich und die Mitglieder wirken nicht gehirngewaschen, aber erste Anzeichen, dass etwas mit dieser Kommune nicht stimmt, häufen sich. Auch das Interview mit Father, das Sam führt, ist eher verstörend. Aber die Dinge entwickeln sich noch viel schlimmer…

Wem diese Geschichte bekannt vorkommt, hat vielleicht auf Arte mal die Dokumentation „Jonestown“ oder den Horrorfilm „Das Guyana-Massaker“ von Rene Cardona gesehen. Wer nicht, der sollte den folgenden Abschnitt überspringen!!!!

Wie diese beiden Filme, erzählt Ti West in seinem Film THE SACRAMENT von den verstörenden Ereignissen 1979 im Dschungel von Guyana, bei denen es zu einem der größten Massenselbstmorden der Geschichte kam. Über 900 Mitglieder der Jones-Town-Gemeinde brachten sich auf Geheiß ihres charismatischen, aber gestörten Führers Jim Jones um.

Ti West benutzt diese Geschichte als Vorlage und Inspiration für seinen neuen Film, der auch Elemente des Found-Footage-Genres mitbenutzt, aber nicht blöde für Schockeffekt, sondern passend und effektvoll für eine „reale“ Reportage. Irgendwann sind die Reporter auch nicht mehr nur Zuschauer und Beobachter, sondern greifen, wenn auch zögernd, ein, weil sie merken, wie viel in Eden Parrish falsch läuft.

Nun kann man darüber streiten, ob das durchaus umstrittene Format von VICE das geeignete Format dafür ist – ich denke, Ti West hat es verwendet, um quasi den Realismus zu verstärken und ich fand das an dieser Stelle legitim. Ich finde Geschichten von Sekten immer zugleich faszinierend und abstoßend – ich schwanke zwischen Zustimmung (wenn die Leute sich so wohlfühlen, warum nicht?), aber oft erscheinen sie mir wie gehirngewaschene, gleichgeschaltete Roboter ohne eigenen Willen. Jim Jones hatte ursprünglich positive Ideen (so lehnte er jede Art von Rassismus und extremen Kapitalismus ab und hatte viele afroamerikanische Anhänger), aber seine Egomanie und Paranoia siegte schließlich. Wie hier bei Father, genialisch verkörpert von Gene Evans.
Die Schauspieler sind durch die Bank gut, besonders wieder Mal Amy Seimetz (Upstream Color) als nun vermeintlich stabile Caroline. Das Found Footage-Prinzip ist relativ konsequent beibehalten, ohne dabei zu aufgesetzt zu wirken. Zudem sorgt die brillante Musik für eine wahrlich bedrohliche Stimmung. Das Ende ist wirklich bedrückend (an ein bis zwei Stellen viel zu zufällig), aber so muss es eben auch sein.

Ich mochte Ti Wests bisherige Filme NIGHT OF THE DEVIL und INN KEEPERS sehr, THE SACRAMENT ist da keine Ausnahme. Ein ziemlich gelungener Ausflug in die Found-Footage-Welt ohne dessen gelegentliche Nervereien und eine Abhandlung über Journalisten, die sich wahrlich involvieren lassen – weil es nicht anders geht. Sehenswert 8,5/10.

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