Father James (Brendan Gleeson), so könnte man meinen, hat eigentlich einen geruhsamen Job: Priester in einem erzkatholischen Landstrich im Westen Irlands. Aber eines Tages bei der Beichte, „beichtet“ ihm ein Schäflein, dass er jahrelang missbraucht von einem Priester sexuell und physisch missbraucht wurde und nun, aus Rache, keinen bösen Priester zu erschießen – dies wäre zu einfach und offensichtlich - , sondern einen guten Priester. Dies wäre doch sicher ein Schock. Ratlos und geschockt bleibt Father James zurück. Er sucht nun in seiner Gemeinde nach Gründen und möglichen Tätern, doch nicht zu offensichtlich, schließlich muss er das Beichtgeheimnis wahren. Außerdem kommt seine Tochter Fiona (Kelly Reilly) aus London zu Besuch, gerade genesen von einem halbherzigen Selbstmordversuch. Nach dem Tod der Mutter entschloss sich James für das Priestertum und diese Abwendung belastet die Beziehung zur Tochter. Aber es gibt noch viele Menschen, die dem Priester mit offener Feindschaft, Hass oder Zynismus begegnen… es gibt also viele Verdächtige…
Ich musste, nachdem ich die Kritik von niklas90 gelesen hatte, diese Kritik irgendwie schreiben. Ich finde, dass „Calvary-am Sonntag bist du tot“ einer der besten Filme der letzten Zeit ist, die ich gesehen habe (und ich habe z. B. auf dem diesjährigen Fantasyfilmfest viel Gutes gesehen!).
Vielleicht hatte ich andere Erwartungen von dem Film. Für mich war er gar keine rein schwarze Komödie, obgleich er einige Merkmale dieses Genres hatte, sondern vielmehr das Porträt eines Menschen, der nicht seinen Glauben verliert, sondern den Zugang zu der Welt um ihn. Dies ist nicht einmal seine Schuld, er steht nur stellvertretend für eine katholische Kirche, die Jahrhunderte lang die Geschicke Irlands wesentlich mitbestimmt hat, aber in den letzten Jahren einen dramatischen Autoritätsverlust im Land erleben musste. Grund dafür waren bekanntermaßen die massiven Missbrauchsskandale im Land. Ein ganzes System an sexueller, physischer und ökonomischer Ausbeutung von Frauen, Kinder und Männern fand da statt und die Kirche tut sich schwer dies zu akzeptieren und sich dem zu stellen. Ich war in den 90ern das erste Mal in Irland und verliebte mich in dieses Land und lernte, wie einflussreich die Kirche stets war, hatte sie doch auch den Unabhängigkeitskampf gegen die verhassten Briten unterstützt. Umso krasser ist dieser Film eigentlich in einem immer noch sehr katholischen Land. Father James wird im Lauf des Films zu Prügelknaben und Sündenbock einer nun ungeliebten Kirche – etwas, was ihn in dieser Wucht selbst erschüttert. Father James ist nicht perfekt, er ist ein Sympathieträger, aber jeder Priester steht nun im Verdacht pädophil zu sein. Zu sehen ist dies in einer Szene, in der er sich ganz harmlos mit einem Mädchen unterhält und als ihr Vater auftaucht, reißt er sie fast schon weg von ihm und fragt ihn ganz aggressiv, was er mit da mit seiner Tochter tue. „Calvary“ ist keine Entschuldigung für die Kirche, Regisseur John Michael McDonagh zeigt sie als verstörte Institution, die sich in private Dinge einmischt, aber dann gibt es doch Momente, wo Father Jack als Priester hilft, so als er für die Witwe eines verunglückten Biologen tröstende Worte findet. „Calvary“ macht es sich nicht leicht: Father Jack ist nicht die Amtskirche, er lebt einfach seinen Glauben, so wie er es für richtig hält – und der kann durchaus gut sein.
Der Film ist schauspielerisch bis in die kleinsten Rollen perfekt besetzt, Brendan Gleeson sowieso einer meiner liebsten Schauspieler, die Landschaften zum Anbeten und das Ende hat das Kino sprachlos gelassen, aber ich glaube nicht, dass da Unverständnis herrschte, sondern eher eine Art Bewegtheit. Klar, einige Figuren im Ort sind quasi Archetypen für gewisse Konflikte (der zynische Arzt, der Ehebrecher, die Masochistin), aber für mich verkamen sie nie zu Klischees, sondern stehen symptomatisch für eine moderne Gesellschaft, mit der die Kirche oft große Probleme hat – und die auch James überfordern.
Für mich ein sehr sehenswerter Film. 8,5/10.