2003 hatten sie es geschafft das totgeglaubte Piratengenre mit „Fluch der Karibik“ wiederzubeleben, zehn Jahre später wollte das Erfolgsteam es mit dem Western versuchen, doch fiel damit an der Kinokasse auf die Nase.
Es beginnt in den 1930er Jahren, eine Aufnahme der noch im Bau befindlichen Golden Gate Bridge verdeutlicht, dass der Technikfortschritt und die Erschließung des Landes, die mit dem in „Lone Ranger“ gezeigten Eisenbahnbau nachhaltig vorangetrieben wurde, immer noch anhalten. Ein kleiner Junge mit Lone-Ranger-Kostüm entdeckt in einer Wildwest-Ausstellung ein vermeintliches Diorama, doch der Indianer erweist sich als lebendig – und als Tonto (Johnny Depp). Diese Rahmenhandlung mag den Film nicht weiterbringen, verschafft ihm jedoch ein reflexives Element, etwa wenn der Junge Tonto auf erzählerische Lücken hinweist, die dieser mal aufklärt, mal nicht, denn so verweist der Film darauf, dass manche Absurdität durchaus gewollt ist.
Der Mainplot begibt sich ins Jahr 1869, in dem sich die Wege dreier Männer an Bord eines Eisenbahnzuges kreuzen: Outlaw Butch Cavendish (William Fichtner) soll für seine Taten hängen, der ebenfalls inhaftierte Tonto will ihn umbringen und Staatsanwalt John Reid (Armie Hammer) gerät in dem Moment zwischen die Fronten, als Cavendishs Leute ihn befreien. Trotz eines bildgewaltigen Zugcrashes ist dies nur der erste Teil der Exposition, nebenher lernt man noch Johns Bruder Dan (James Badge Dale), einen Texas Ranger, kennen, dessen Frau Rebecca (Ruth Wilson) sowie den Eisenbahner Cole (Tom Wilkinson), der ein Auge auf die Frau geworfen hat.
Nahtlos geht es weiter: Ein Suchtrupp verfolgt Cavendish, wird jedoch in einen Hinterhalt gelockt und bis auf John getötet. Tonto findet den scheinbar Verstorbenen und wird Zeuge von dessen vermeintlicher Auferstehung, weshalb er glaubt, dass er und John Cavendish gemeinsam stoppen müssen. John soll dabei eine Maske tragen – der Lone Ranger ist geboren…
„Lone Ranger“ ist ein eigenwilliger Film, der nicht nur Western, Komödie und Abenteuerfilm vermixt, sondern auch gehörige Unterschiede im Tonfall an den Tag legt. Wenn Bild und Sound an mehreren Stellen überdeutlich Sergio Leones pessimistisches Western-Requiem „Spiel mir das Lied vom Tod“ zitieren, andernorts dann wieder im Stile des klinisch sauberen Radio Serials, auf dem „Lone Ranger“ ursprünglich basiert, zu Werke gegangen wird, dann gibt der Film seine Unentschlossenheit beinahe überdeutlich zu. Ein Herzen (und andere Körperteile) fressender Bösewicht mit vernarbtem Gesicht, die Ausrottung der Indianer und abgetrennte Skalps paaren sich mit absurder Komik, etwa wenn das Reid angeblich zum Leben erweckende Seelenpferd Schnaps säuft, ohne jede Erklärung auf einem Baum steht oder sich sonstwie unpferdisch verhält. Am deutlichsten sind jene Schwankungen in einer Szene zu bemerken, in der Unmengen von Indianerkriegern im MG-Feuer sterben (was an das „Last Samurai“-Finale erinnert), man kurz ihre Leichen sieht, danach aber ein Gag zwischen Tonto, dem Lone Ranger und dem Seelenpferd die Situation wieder auflöst.
Tatsächlich waren die „Fluch der Karibik“-Filme da einheitlicher im Stil, an deren Rezept sich „Lone Ranger“ unübersehbar orientiert. Tonto mag sich anders als Jack Sparrow verhalten, erneut ist er aber der schräge Sidekick, der mit einem brav-heroischen Helden gepaart wird, an dem er sich reiben kann. Dabei liegt der Fokus nicht so stark auf der schrägen Sidekickfigur (die ja in „Fluch der Karibik 4“ kein Sidekick mehr war, was dem Film nicht gut bekam), jedoch droht Tonto den Lone Ranger immer ein wenig an den Rand zu drängen. Glücklicherweise tariert Verbinski die Dynamik zwischen Held und Sidekick meist recht gut, sodass Tontos Possen immer witzige Auflockerung bringen, den Film aber nie zu sehr dominieren. Dazu kommen absurde Einfälle (Stichwort Hasen), die meist ziemlich gut funktionieren, nur gelegentlich etwas danebenschießen.
Wie allerdings schon bei „Fluch der Karibik 3“ fällt es Verbinski hin und wieder schwer das richtige Maß zu finden, gerade angesichts der eher einfachen Geschichte. „Lone Ranger“ ist etwas zu lang, gerade das Finale auf zwei Zügen zieht sich reichlich und hätte problemlos aus der vorigen, ebenfalls eine Eisenbahn involvierenden Actionszene heraus begonnen werden können. Noch dazu gibt sich „Lone Ranger“ oft extrem einfach gestrickt: Schon an Coles unsittlichem Begehren für Rebecca wird von Anfang an klargemacht, dass er kein Guter sein kann, im Gegenzug sind die (alles andere als dezenten) Hinweise auf eine frühere, abgebrochene Liebschaft zwischen John und Rebecca klarer Indikator dafür, dass sie einander kriegen werden usw. Auch hier zeigt sich die eigenwillige Zerrissenheit des Films: Der einfachen Abenteuergeschichte steht immer wieder eine überraschend scharfe Kritik an amerikanischen Mythen gegenüber, die genüsslich frühere Western-Topoi einreißt, noch dazu kleine Zwischentöne wie die Meta-Erzählebene, die deutlich machen, dass „Lone Ranger“ eigentlich gar kein so dummes Bombastkino ist.
Bombast gibt es natürlich reichlich, denn immer wieder werden Züge, Häuser und alles, was sonst noch so da ist, geschrottet, teilweise echt pfiffig inszeniert (gerade beim Auftakt), gegen Ende allerdings etwas ermüdend – so kreativ sich Verbinski auch mit verschiedenen Zügen, die sich teilweise durch Entkoppeln auch noch teilen, und verschiedenen Bahngleisen austobt. Hinzu kommen einige, stellenweise überraschend harte Schießereien, wobei die Gewalt immer wieder durch eingestreute Komik aufgefangen wird. Etwa dann, wenn die Köpfe zweier Banditen von einem herabfallenden Balken zerquetscht wird, dieser aber von einem Querschläger gelöst wurde und Reid beteuert, dass eigentlich nur einen Warnschuss abfeuern sollte.
Johnny Depp ist als Tonto mal wieder voll in seinem Element, darf hier eigenwillig und verschroben agieren, auch wenn der Film seine Figur mit einer überraschend düsteren Hintergrundgeschichte ausstattet. Armie Hammer geht in Ordnung, ist zwar hin und wieder etwas blass, aber doch insgesamt noch stark genug um ganz gut neben Depp zu bestehen. William Fichtner kommt etwas kurz, ist aber ein herrlich hassenswerter Schurke, während Tom Wilkinson ebenfalls gelungenen Support abliefert und James Badge Dale in seinen wenigen Szenen gut zum Zuge kommt. Blass dagegen bleibt Barry Pepper, Ruth Wilson hätte man angesichts ihrer famosen „Luther“-Performance einen besseren Part gegönnt, da sie leider eine Stichwortgeberin mit wenigen Glanzmomenten bleibt. Stattdessen betont der Film lieber Helena Bonham Carters Rolle als Bordellbesitzerin mit Knarre in der Beinprothese, die hier aber leider ihre aus den Burton-Filmen gewohnten Manierismen eher leidlich amüsant denn wirklich effektiv wiederkäut.
Irgendwo zwischen überraschend kritischer und recht heftiger Westernhommage und absurder Abenteuerkomödie findet „Lone Ranger“ nie zu einem einheitlichen Stil und bei einer Laufzeit von rund zweieinhalb Stunden erscheint der Film gegen Ende regelrecht überladen. Dank Verbinskis sicherer Hand und gerade wegen des eigenwilligen Tons ist die neueste Bruckheimer-Produktion interessant und über weite Strecken sogar mehr als vergnüglich, nur eben kein Film, der „Fluch der Karibik“ oder dessen erster Fortsetzung das Wasser reichen könnten. Den schlappen vierten Piratenfilm steckt „Lone Ranger“ dafür klar in die Tasche.