I am Sam! Enthält Spoiler.
So sieht das also aus, wenn ein Mitglied der Jackass-Gruppe Ridley Scotts Blade Runner im farblichen Gewand von Paul Verhoevens Total Recall neu verfilmt. "Her" gibt sich als Drama, entpuppt sich jedoch als tiefgründiger Science-Fiction-Film, der wie die beiden zuvor genannten Genre-Beiträge die Frage aufwirft, was einen Menschen zum Menschen macht. Wie so oft natürlich dargestellt im Zusammenspiel mit (technisch hochentwickelten, komplexen) Maschinen.
Für Theodore, den Verfasser von zumeist hochromantischen Briefen, mit denen er sein Geld verdient, scheint das Glück in der Liebe längst vergangen. Er lebt zwar schon monatelang getrennt von seiner Frau, doch richtig loslassen - also die Scheidungspapiere unterzeichnen - kann er noch immer nicht. In Sex-Chats als BigGuy4by4 unterwegs, findet er selbst über den nur stimmlichen Kontakt mit echten Frauen keine Befriedigung, da er mit den wenig rationalen, eher impulsiven Eigenheiten der Dame am anderen Ende der Leitung (Hallöchen Kristen Wiig!) nicht zurechtkommt. Nicht anders ergeht es ihm bei einem echten Treffen, das mit lockeren Gesprächen und Drinks beginnt, sich zu einem One-Night-Stand zu entwickeln scheint, nur um ganz plötzlich im Sande zu verlaufen. Und so ist es nur konsequent, dass Theos einziger Orgasmus beim Liebesspiel mit seiner Samantha, seinem Operating System, "gezeigt" wird. Denn zu sehen ist in den Momenten nichts außer der großen schwarzen Leinwand, während sich Joaquin Phoenix und Scarlett Johannson - die übrigens erst nach den Dreharbeiten die Rolle bekam und gegen die eigentliche Stimme samanthas getauscht wurde - bis zum Höhepunkt steigern. Jonze überlässt es dem Zuschauer, die Szene mit bildern zu füllen. Eine geradezu ironische Brechung im Zusammenspiel mit der Sex-Chat-Szene, bei der es noch Theo selbst war, der sich dabei eine völlig andere Frau als diejenige am anderen Ende der Leitung vorstellte.
Was sich in der Kürze der Zeilen durchaus absurd lesen mag - die Liebe zwischen Mensch und Maschine -, ist im Film auf durchaus nachvollziehbare Weise geschildert. Das liegt nicht nur an Phoenix' Schauspiel, sondern ist auch Konsequenz der eingehenden Charakterisierung, die sich vor allem mit Theodores Entfremdung, dem Rückzug aus dem Netzwerk der Menschen hin zum Netzwerk des Operating Systems, beschäftigt. Doch nicht nur Theo wird charakterisiert, es ist auch die Welt um ihn herum. Das leicht in der Zukunft liegende Los Angeles und seine Bevölkerung - gedreht als Mischung im echten LA sowie Shanghai - ist überwiegend in einfachen, hellen Brauntönen gehalten, Theos rote und rosafarbene Hemden wirken beinahe wie ein Irrläufer in der Menge - daher auch die Total Recall-Bemerkung. Ohnehin erscheint das zukünftige LA häufig durch eine Dunstglocke begrenzt, Stadtgrenzen sind gerade in Totalen fast nie wahrzunehmen, die Stadt als in sich geschlossener Kosmos.
Auch wenn die häufig ruhigen Bilder und der mal poppige, mal im Wortsinne auf der Klaviatur der Emotionen spielende Soundtrack eine positive Grundstimmung erzeugen wollen, so ist doch offensichtlich, in welch dystopischer, geradezu bemitleidenswerter Welt die Protagonisten leben. Der dramatische Kern liegt in den Bindungsängsten, dem (Nicht-)Akzeptieren und dem (Nicht-)Akzeptiert-Werden der Menschen. Die von Jonze gezeigte Welt lässt Twombly sogar im künstlichen Spiel nur mithilfe des OS - welches Theo beim Finden des Wegs hilft und ihm beim Aufeinandertreffen mit einer Spielfigur darauf hinweist, dass es sich um einen Test handeln könnte - erfolgreich sein. Spiele, genauer Gesellschaftsspiele, scheinen kaum noch notwendig zu sein. Selbst Theos Nachbarin und beste Freundin, die unter anderem als Spieleentwickler tätig ist, baut in ihr Programm einen Gag ein, den sie am liebsten ihrem OS vorführt, nicht etwa einem Menschen.
In den vermeintlichen Gemeinsamkeiten - dem Empfinden von Emotionen - zeigen sich dann auch die so wichtigen Unterschiede bzw. Alleinstellungsmerkmale des Menschen gegenüber der Künstlichen Intelligenz: Zwar kann auch Samantha wie einst Roy Batty Gefühle "lernen", doch Erinnerungen - in höchstem Grade stilisiert - sieht der Zuschauer nur von Theo. Auch der Gegensatz der endlich, materiellen Welt gegenüber der - räumlich wie zeitlich - infiniten, immateriellen Welt wird spätestens beim Doppeldate Theos und Samanthas mit seinem Arbeitskollegen Paul und dessen - echter - Freundin deutlich.
Auch wenn die Beziehungsgeschichte letztlich formelhaft und durchaus vorhersehbar verläuft (zaghafte Annäherung, erster Sex, erste Probleme, Trennung), zeigt sie in den Schlusseinstellungen doch ein Bild der Hoffnung. Zwei Menschen, die sich berühren, in freundschaftlicher Verbundenheit.