Review

„Orchesterprobe“ ist in vielerlei Hinsicht ein Gegenstück zum vorigen Fellinifilm „Casanova“ – schon früher drehte Fellini nach einer größeren Produktion bevorzugt ein kleines, intimeres Projekt, dass manchmal sogar besser bei den Kritikern weg kam als die dazugehörige Großproduktion. So geschehen etwa mit „Roma“ im Vergleich zu „Satyricon“. Doch nicht nur äußerlich unterschiedet sich „Orchesterprobe“ von „Casanova“ – im Gegensatz zum kalten Kostümepos versprüht der kleine Film eben jene Ironie und Freude, die Fellinifilme beinahe immer auszeichnen. Anders als der Großteil von Fellinis Gesamtwerk ist „Orchesterprobe“ eindeutig eine politische Aussage, eine antifaschistische Allegorie gegen Zensur und Despotismus.

Formal konzentriert sich Fellini auf die Einheit von Zeit, Raum und Handlung, reduziert das Geschehen auf einen Schauplatz, den alten Andachtsraum einer ehemaligen (?) Kirche. Nebenbei sehen wir bei der Entstehung zweier unterschiedlicher Kunstformen zu: Zum einen kommt das Orchester stückweise zusammen und entfaltet erst zum Ende seine ganze Kunst, weiterhin verfolgen wir die Entstehung dokumentarischen Filmmaterials, hier in Form eines Fernsehteams, welches einen Dokumentarfilm inszeniert. Als schließlich der diktatorische Dirigent auftaucht ändert sich der ruhige Grundton und der Film entwickelt sich zunehmend anarchisch. Der Aufstand der Orchestermitglieder gipfelt in einer wilden, sexualisierten Gewaltorgie und dem Zusammensturz des Kirchengebäudes. Aus den Trümmern heraus entsteht ein neues Gefühl und der Geist der Musik kommt zum Tragen – eine Liebeserklärung an die klassische Musik, die Fellini in anrührenden Bildern festhält.

„Orchesterprobe“ ist also ein Film voller Liebe zur Musik und zu den Künstlern, die sie zu schaffen vermögen. Eine Ode an die Freiheit des Geistes, genau das, was Fellini aus der Lebensgeschichte Casanovas nicht gemacht hat obwohl es so nahe gelegen hätte. Vor allem kommt dem Film seine familiäre, unverkrampfte Atmosphäre zugute denn Fellini konnte ohne jeglichen Druck inszenieren. Zwar war „Casanova“ alles andere als ein internationaler Erfolgsfilm geworden, doch „Orchesterprobe“ ist ein völlig risikofreies Projekt, finanziert zum größten Teil vom italienischen Fernsehen. Kommerziell blieb der Film selbstverständlich unbeachtet, anders als mach großer Film Fellinis erntete er aber beinahe durchgehend positive Kritiken.

Für Shakespeare ist das Leben eine Bühne, Fellini begreift es eher als ein riesiges Orchester und seine universelle Verehrung scheint in jeder Minute des Films durch; Nicht einmal verderbliche Einflüsse können die Musik zerstören. Jedes Individuum spielt nicht seine Rolle sondern seinen Part in einer einzigen, riesigen Symphonie, welche niemals endet. Auch wenn sie manchmal verstummt. So agieren auch die Darsteller nicht schauspielerisch sondern zeigen sich natürlich und authentisch. Bis auf Balduin Bass („Die Lümmel von der ersten Bank“) findet sich daher kaum ein etablierter Schauspieler im Ensemble. Dieser Stil passt auch hervorragend zum realistisch daher kommenden Mockumentary-Konzept, ein von Fellini mehrmals verwendetes ‚Genre’ (z.B. „Clowns“, „Intervista“).

Der Film war die letzte Zusammenarbeit zwischen Federico Fellini und Meisterkomponist Nino Rota („Der Pate“). Rota starb ein Jahr darauf und hinterließ etliche einzigartige Filmscores, viele davon für die Werke Fellinis geschrieben - „Orchesterprobe“ ist dem Genie gewidmet. Leider kommt die vollkommene Schönheit seiner Musik nur selten zur Geltung, weshalb der Score zu „Casanova“ als weitaus einprägsamere und wichtigere Arbeit gilt. Doch Nino Rota erschuf nicht nur exzellente musikalische Untermalungen für Fellini sondern schaffte es immer ein Leitmotiv in seiner Musik zu verarbeiten und damit den Charakter des jeweiligen Films entscheidend mitzuprägen.

So scheinbar klar die Aussage zum Ende kulminiert, letztlich erscheint das offen gehaltene Ende interpretatorisch frei. Als die Musik verklingt lassen sich die Orchestermitglieder wieder aufs neue zusammenstauchen und beschimpfen. Übrigens gibt es in der Originalfassung viele deutsche Sprachfetzen zu hören besonders das Hitler parodierende, hysterische Geschrei des Dirigenten Bass in der Schlussminute des Films ist köstlich anzuhören mit seinem doppelbödigen Wortwitz. Mit nicht einmal siebzig Minuten Nettolaufzeit ist der Unterhaltungswert überdies ziemlich hoch, auch wenn das Tempo sich erst im Schlussdrittel steigert.

Fazit: Fellini verbeugt sich vor der unsterblichen Seele der Musik und verzichtet auf jegliches überflüssiges Brimborium. Ein bemerkenswerter Film der das Alterswerk Fellinis einleitet und mit einer erstaunlich aggressiven politischen Allegorie überrascht – „Orchesterprobe“ gibt einen Gift und Galle sprühenden Vorgeschmack auf das spätere Meisterwerk „Ginger und Fred“.

7,5 / 10

Details
Ähnliche Filme