Mit dem Ende der 60ziger Jahre ist in dem Werk der großen europäischen Autorenfilmer ein Wandel zu beobachten: Ihre Filme nahmen plötzlich deutlich massentauglichere Formen an und wurden auch deutlich aufwendiger. Weiterhin vermittelten sie Botschaften, doch nun geriet dieser Aspekt nicht mehr zum Oberpunkt. Wer die Botschaft erkannte hatte von den Filmen einen doppelten Nutzen, wer sie nicht erkannte wurde dennoch gut unterhalten und konnte sich an aufwendigen Kulissen („Satyricon“) oder bombastischen Spezialeffekten („Zabriskie Point“) erfreuen . Dieses Phänomen ist zu beobachten bei Federico Fellini, Pier Paolo Pasolini und Michelangelo Antonioni. Nur Jean-Luc Godard entwickelte sich umgekehrt und immer weiter vom Mainstream weg.
Bei Federico Fellini setzte dieser Prozess mit „Satyricon“ ein, einem Film der zwar vom philosophischen und intellektuellen Standpunkt durchaus interessant war, jedoch auch durch buntes und sinnenfrohes Treiben für Kurzweil sorgte (auch wenn eben jenes in Fellinis vorangegangenen Filmen, etwa in „Achteinhalb“ bereits ansatzweise zu bemerken war). Ab „Satyricon“ entwickelte sich ein neuer Fellini, der weniger essayistisch als viel mehr in bunten, wilden, lautstarken und oft auch erotischen Bilderbögen seine Thesen unters Volk mischte.
„Stadt der Frauen“ („La Città delle Donne“) hat hier im Gegensatz zu den episodenhaften Filmen „Satyricon“ oder „Amarcord“ wieder ein festes Leitmotiv, das sich über den gesamten Film ausweitet.
Snaporaz, ein begnadeter Weiberheld flirtet im Zug mit einer unbekannten, geheimnisvollen Frau. Als sie aussteigt folgt er ihr in einem Wald und findet sich in einem von Frauen bevölkerten Hotel wieder, in dem ein internationaler Kongress von Feministinnen stattfindet. Die Aggressivität der Frauen und die Angst vor weiblicher Dominanz lassen ihn Hals über Kopf flüchten und treiben ihn in die Arme eines alten Schulkameraden, der ein Fest anlässlich seiner 10 000. Geliebten veranstaltet. Hier trifft er auch seine Frau an…
Wie auch „Satyricon“ ist „Stadt der Frauen“ filmischer Surrealismus vom Feinsten. Die Handlungen und Personen sind restlos überzogen gezeichnet, die Bauten pompös und irreal beleuchtet und eingefärbt und es hagelt fast schon zotige Witze am laufenden Band. Aber dennoch- und wie sollte es bei Fellini auch anders sein- verbergen sich dahinter diverse Aussagen und Feststellungen, die dem Mann und seinem Verhalten, seiner Einstellung zur Frau ironisch und gewitzt die Hosen ausziehen.
Während sich Snaporaz im Zug noch selbstbewusst in der Rolle des unwiderstehlichen Verführers gefällt, tritt bereits bei dem lustigen Versteck-Spiel im Wald erste Unsicherheit ein, denn plötzlich fühlt er sich von der für ihn schwachen, unterlegenen Frau hinters Licht gefühlt und übertrumpft. Schließlich, im Hotel rutscht im endgültig das Herz in die Hose. Er wird gnadenlos mit seinen eigenen Vorurteilen und seiner einschlägigen Sichtweise des anderen Geschlechts konfrontiert, als lächerlicher Pausenclown missbraucht und flieht verängstigt vor einer Kraft und Macht der Weiblichkeit, wie sie in seinem chauvinistischen Weltbild keinen Platz hat. Frauen müssen schwach, sanft, leise, graziös und vor allem willig sein. Für Snaporaz sind die Emanzen „degenerierte Weiber“, die die Sexualität als Symbol der männlichen Unterwerfung der Frau sehen und das Hausfrauen-Dasein als unmenschliche Folter darstellen.
Da findet er in seinem ehemaligen Schulfreund einen Geistesverwandten, denn in seinen Augen sind die Frauenrechtlerinnen ohnehin nur „geisteskranke Lesbierinnen“. Und ein Schürzenjäger ist er auch, und was für einer. Er feiert seine 10 000. Frau und demonstriert vor versammelter Menge die magische Kraft ihrer Vagina, mit der sie Perlen und Münzen wie ein Magnet aufsaugt. Eine Metapher, die den Mann noch mehr als triebhaftes, primitives und naives Wesen entlarvt ist Snaporaz’ Besuch der „Frauengalerie“ seines Freundes. Auf Knopfdruck erscheinen Frauenbilder und erklingen lustvolle Bekundungen, die dem Hörer seine exzellenten Fähigkeiten als Liebhaber bestätigen. Snaporaz tanzt in der Gallerie auf und ab, drückt hier einen Knopf dort den nächsten und schaltet ihn im nächsten Moment wieder ab. Bösartiger hätte Fellini sich hier nicht ausdrücken können. Denn die Szene zeigt wie keine andere ein sexuell geprägtes, überaus typisches Wunschdenken des Mannes: Frauen, die ihm genau das zustöhnen, was er hören will: Er ist ein toller Hengst, Frauen, die man, wann immer es einem beliebt als Lustobjekt ein- und ausschalten kann und die ansonsten ihre Klappe halten, davon obendrein noch jede Menge. Die pflegeleichte Frau zur Handhabung nach Belieben, folgsam, willig und voller Komplimente für die Potenz des Mannes. Und Snaporaz spielt mit der Begeisterung eines Kindes an den Knöpfen herum. Bis er in das Zentrum dieser Gallerie gelangt und dort seine Frau vorfindet, die alle Knöpfe gleichzeitig einschaltet…
Am Ende lassen die Emanzen ihn in einem Heißluft-Ballon in Form einer riesigen, üppigen Frau davon fliegen, nachdem er zuvor in einer Vielzahl erotischer Erinnerungen geschwelgt hat und von den Frauen als niederes, dummes und verabscheuungswürdiges Geschöpf dargestellt wurde. Doch die „Frauen-Armee“ schießt auf den pornographischen Ballon. Die riesige Super-Frau, das Symbol männlicher Frauen-Ideale, sackt in sich zusammen und sinkt der Erde entgegen…
„La Citta delle Donne“ ist schlichtweg grandios. Mit unschlagbarem Einfallsreichtum, Witz und künstlerischer Gewandtheit persifliert, nein karikiert Federico Fellini das eigene Geschlecht und dessen Lächerlichkeit, männliche Schwächen werden gnadenlos aufs Korn genommen und der Regisseur spielt genüsslich mit der ur-männlichen Angst vor mächtigen, dominanten Frauen, vor dem Verlust ihrer tumben männlichen Überlegenheit und einer Unterjochung durch das „schwache“ Geschlecht. Ironisch und witzig, locker und anspruchsvoll zugleich, Bunt aber zuweilen auch trist, einfach und dennoch stilisiert, realistisch aber auch surreal, sowohl für Männer als auch Frauen gleichermaßen wichtig und interessant. Ein herrlicher Film, der nicht nur Spaß macht sondern sich als Satire auch eines Themas annimmt, welches in der Filmgeschichte eindeutig zu kurz gekommen ist und mit dem unvergessenen Marcello Mastroianni, dem großen Verführer des italienischen Kinos in der Hauptrolle aber auch sonst bis in die kleinste Nebenrolle tadellos besetzt ist.