Nicht selten wird das Subgenre des Kannibalenfilms als das härteste und abartigste bezeichnet, was die Welle an 70er-Gewaltfilmen hervorgebracht hat. Ein Wunder ist dies auch nicht, so wird in keinem anderen Genre das reine, bestialische Abschlachten so sehr in den Vordergrund gestellt wie hier. Ebenso ist es keine Seltenheit, dass für Kannibalenstreifen reale Tiermorde vor laufender Kamera zelebriert wurden. Dennoch sollte man sich von diesen Tatsachen nicht abgeschreckt fühlen, da diese Filme noch weitaus mehr als pure Brutalitäten zu bieten haben. Gerade "Mondo Cannibale", einer der ersten Kannibalenfilmvertreter, wenn nicht sogar der Erste, ist alles andere als eine sinnfreie Metzelorgie, sondern vielmehr eine sehr interessante Geschichte, die von Regisseur Umberto Lenzi in abenteuerliche Bilder verpackt wurde.
Ein großer Unterschied zu seinen Genrekollegen bietet der Streifen alleine schon dadurch, dass sich die Haupthandlung nicht auf einen Kannibalenstamm fixiert, ein solcher tritt erst gegen Ende kurz in Erscheinung. Zuvor konzentriert sich das Geschehen ganz und gar auf die Erlebnisse des englischen Journalisten John Bradley in einem Eingeborenendorf. Wer nun bei dem Wort "Erlebnisse" an grausame Folterungen und sexuelle Ausschweifungen denkt, liegt in diesem Fall falsch, denn Lenzi war im Jahre 1973 noch nicht so weit, mit der bloßen Darstellung von Perversitäten schockieren und provozieren zu wollen, wie er es mit seinen späteren Kannibalenreißern "Eaten Alive" und "Cannibal Ferox" tat, die beide fast schon ein Marathon an unmenschlichen Grausamkeiten darstellen. Dagegen wirkt Lenzi's "Mondo Cannibale" schon fast zahm, auch wenn es natürlich falsch wäre, hier von einem harmlosen Film zu sprechen, denn Gewalt und nackte Tatsachen gibt es auch hier zu bestaunen.
Dennoch, und da liegt der große Unterschied, hat man beim Gucken fast nie das Gefühl, dass diese Szenen dem Selbstzweck dienen würden. Wenn wir nämlich mal Zeuge einer brutalen Szene werden, so liegt diese meist im Zusammenhang mit irgendwelchen Ritualen oder Bestrafungen des Stammes, wie etwa dem Herausschneiden der Zungen zweier Eingeborener eines verfeindeten Stammes. Meist rücken all zu graphische Grausamkeiten hier aber in den Hintergrund, um der langsamen Entwicklung der Story Vorrang zu geben und das ist auch gut so. Es ist zu keinem Zeitpunkt langweilig, wie John in das Dorf kommt und sich langsam Respekt und Anerkennung bei den Eingeborenen verschafft. Und als er dann sogar die bildhübsche Maraya zur Frau nimmt, wendet sich der Film total und John ist plötzlich einer von den "Wilden" und lebt freundschaftlich mit ihnen zusammen.
Der Film ist zwar nicht durchweg spannend, was mich aber nur wenig gestört hat. Dafür verwöhnt Umberto Lenzi seinen Zuschauer nämlich mit wunderschönen Landschaftsaufnahmen und einer harmonischen, beruhigenden Musik. Dadurch entsteht die typische "Kannibalenfilm-Atmosphäre", die ich an diesen Streifen so sehr schätze und die man so in keinem anderen Genre finden wird. Der auswegslose, dichte Urwald, das authentische Dorf der Eingeborenen und die Tatsache, dass die Zivilisation hunderte von Kilometern entfernt ist, geben dem Ganzen ein ganz eigenes, unverkennbares Flair.
Umberto Lenzi hat sich wirklich ins Zeug gelegt, das Ganze so realistisch wie möglich erscheinen zu lassen und so wurde natürlich wirklich im Dschungel gedreht, was die Dreharbeiten nicht selten zu einer Strapaze machten.
Zu der Grausamkeit des Films möchte ich mich kurz fassen. Hier und da gibt es mal etwas Blut und Andeutungen von Vergewaltigungen zu sehen, doch dies hält sich, mit anderen Kannibalenfilmen verglichen, noch zurück. Das Einzige, was vielen ziemlich sauer aufstoßen dürfte, sind die realen Tiermorde, doch damit muss man leben, wenn man sich einen derartigen Film ansieht.
Die Konfrontation eines zivilisierten Menschen mit einer für ihn unbekannten und deshalb zuerst abstoßenden Welt wurde von Umberto Lenzi hervorragend inszeniert und beinhaltet all das, was das Kannibalengenre erfolgreich machte. Eine tolle Atmosphäre, ein Höchstmaß an Realismus, in diesem Fall sogar tolle Schauspieler, allen voran Ivan Rassimov, und natürlich die anstößigen Szenen, die hier allerdings noch nicht ganz so sehr ausgeschlachtet und in den Vordergrund gestellt wurden. Vielmehr geht es hier um das Erzählen einer Geschichte und das hat Lenzi fabelhaft gemeistert. Gerade weil "Mondo Cannibale" nicht nur auf das Zeigen brutalster Gore-Effekte aus ist, handelt es sich hierbei um einen der besten Filme des Genres, den ich gerne mit
8 von 10 Punkten bewerte.