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Eine Familie kommt nach Hause. Kamerablick durch die Badezimmertür. Wir hören das Wasser plätschern und die Gespräche der Ankommenden von draußen. Auf einmal flüchtet panisch eine zottelbärtige Gestalt aus dem Bad und aus dem Gebäude. Der obdachlose Dwight Evans ist es. Er haust sonst in einem rostigen, von Einschüssen gezeichneten Pontiac, lebt vom Sammeln von Pfandflaschen und ernährt sich von dem, was andere wegwerfen. Eine Polizistin, die ihn auf das Revier mitnimmt, eröffnet ihm, dass der Mörder seiner Eltern, Wade Cleland, demnächst aus der Haft entlassen wird. Dwight baut die Batterie wieder in sein Auto ein, klaubt seine Ersparnisse zusammen und fährt los. Vom Gefängnis aus verfolgt er den Wagen der Familienmitglieder, die ihren Angehörigen abgeholt haben, zu einer Kneipe, wo er seinen Kontrahenten auf der Toilette auf drastische Weise umbringt. Diese unüberlegte Handlung setzt eine Gewaltspirale in Gang, die schließlich die meisten Hauptpersonen dieses Films ins Grab bringen wird.

Regisseur Jeremy Saulnier unterliegt nicht der Versuchung, einen selbstbewussten Rachehelden zu servieren, der mit markigen Sprüchen auf der Zunge die Bösewichte erledigt. Zumal die Grenzen hier recht bald verwischen, als bekannt wird, dass Wade überhaupt nicht der Mörder war, was dem Film eine eminent tragische Note verleiht. Dwight wird von Selbstzweifeln und Unsicherheiten zerrissen. Auf der einen Seite möchte er das Ganze beenden, auf der anderen weiß er genau, was droht, wenn die alttestamentarische Rechtsformel "Auge für Auge, Zahn für Zahn" zu wörtlich genommen wird und überall Waffen vorhanden sind, die einem ein bestimmtes Handeln geradezu nahelegen. Gerade insofern ist BLUE RUIN ein sehr politischer, gesellschaftskritischer Film, realistisch angelegt und erlangt so eine universelle Bedeutung.

Auch sonst vermeidet Saulnier zum Glück alle Stereotypen moderner Thriller. Keine rasende Action, keine überdrehten Special Effects oder gar haufenweise lächerliche Figuren wie sie zuletzt der unerträgliche "EINER NACH DEM ANDEREN" präsentiert hat.

BLUE RUIN ist ein langsamer - und das ist gut so - leiser und dadurch umso intensiverer Film, der auch die Gewaltspitzen bis auf ein, zwei Fälle sehr dosiert einsetzt, was sie erst recht schmerzhaft macht bis zum Unerträglichen. Wenn es überhaupt etwas zu kritisieren gibt, dann sind es ein paar Ansätze schwarzen Humors, die man sich in diesem Kontext durchaus hätte sparen können. Und ja, Hauptdarsteller Macon Blair macht seine Sache einfach großartig. Schön, dass dieser Film einen regulären Kinostart erhalten hat. Das hier ist der wahre Fresh Blood-Award-Sieger des Fantasy Filmfests, nicht der dämliche HOUSEBOUND.

9/10

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