„Willkommen im geeinten Deutschland!“
Die ostdeutsche Antwort auf die SitCom „Motzki“ mit ihrem besserwisserischen Ossi-Hasser als titelgebende Hauptrolle wurden „Die Trotzkis“, eine von 1993 bis 1994 produzierte und ebenfalls lediglich eine Staffel à dreizehn ca. 25-minütige Episoden umfassende SitCom, die von Dezember 1993 bis März 1994 in der ARD ausgestrahlt wurde. Für die Inszenierung verantwortlich zeichnet der verdiente DDR-Regisseur Günter Meyer („Spuk im Hochhaus“), der auch für „Die Trotzkis“ mit echten Ostdeutschen drehte.
„Benehmen Sie sich ganz natürlich!“
Kern der Serie ist die Leipziger Familie Trotzki um das grantelige und mit der Gesamtsituation unzufriedene Familienoberhaupt Herbert Trotzki (Heinz Rennhack, „Spuk im Hochhaus“), Mitte fünfzig und Taxifahrer. Seine Frau Rosa (Christine Harbort, „Wir können auch anders“) ist Kindergärtnerin, seit dem Ende der DDR aber arbeitslos. Man nennt sich gegenseitig Mama und Papa. Tochter Margot (Diana Urbank, „Die gläserne Fackel“) ist eine blonde Sexbombe und arbeitet als Hotelrezeptionistin; ihr Bruder Benno (Michael Stutz, „Kinderspiele“) ist ein tumber Pummel, der sich in erster Linie für Bier und den VfB Leipzig interessiert. Gemeinsam muss man sich in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre mit den Veränderungen durch den Anschluss der DDR ans BRD-Staatsgebiet auseinandersetzen und ist sich gern mal untereinander spinnefeind, hält meist aber zusammen, wenn äußere Einflüsse die Familie bedrohen. Die Trotzkis sind eine proletarische Familie ohne außerordentlichen Besitz oder übermäßig hohen Bildungsstand, haben aber ihren Stolz und sind, wenn es darauf ankommt, nicht auf den Kopf gefallen.
„Ich will keine Ossis mehr in der Sendung haben!“ – „Das hättet ihr im Westen euch früher überlegen müssen.“
Die Konstellation aus tumbem Sohn und Sexbombe als Tochter kennt man natürlich aus „Eine schrecklich nette Familie“. Bis auf den leider vollständigen Verzicht auf Gesächsel ist hier ansonsten aber vieles authentisch deutsch, angefangen bei der Wohnungseinrichtung, die eigentlich permanent im Bild ist: Die Serie verzichtet beinahe vollständig auf Außenszenen und spielt ausschließlich in den Kulissen der Trotzki’stischen Wohnung, in die in jeder Episode jemand Fremdes von außen eindringt und den Alltag der Familie auf den Kopf zu stellen droht.
„Unsere Tochter zieht sich aus, wenn sie sich anzieht!“
In der ersten Episode rauben die Trotzkis einem Fernsehteam mit Mike Krüger als Gameshow-Moderator den letzten Nerv, in Episode 2 geht das Weihnachtsfest reichlich daneben, weil Rosa eine depressive Bekannte (Martina Gedeck, „Tiger, Löwe, Panther“) eingeladen hat, an der die Männer des Haushalts Gefallen finden. In der dritten Episode werden erstmals spezielle Umstände der Nachwendezeit betont wie der eigene Telefonanschluss, Telefonsex und Tittenheftchen. Hier sind es April Hailer und der deutsche Möchtegern-Al-Bundy Lutz Reichert, beide vornehmlich bekannt aus der damaligen RTL-Verbraucherschutz-Show „Wie bitte?!“. Deren Kind will Coca- statt Klub-Cola, während die Eltern mit den Trotzkis um Wohnungsbesitzansprüche streiten. Herbert kontert mit markigen Sprüchen (und wird von seiner Frau mit Ekel Alfred verglichen), die sog. Wiedervereinigung wird verstärkt thematisiert und die Serie kommt in Fahrt.
Rosa wird in Episode 4 brutal überfallen, was zu Beginn bereits passiert ist und nur als Aufhänger der folgenden Ereignisse genutzt wird: Margot fährt den Verbrecher (Pascal Breuer, „Bluterbe“) mit dem Auto an, ohne zu wissen, dass das der Mann ist, der ihre Mutter überfallen hat. Sie nimmt ihn mit nach Hause, um ihn zu verarzten… Diese Folge ist überaus slapsticklastig und Herbert formuliert besonders viele Spitzen gegen seine Ehe. Die fünfte Episode beschert den Trotzkis fünf Richtige im Lotto, woraufhin sie große Pläne schmieden. Weil Rosa eine Boutique eröffnen möchte, kommt ein schmieriger Kredithai (Max Herbrechter, „Der Kroatien-Krimi“) zu Besuch, wie es sie in der DDR natürlich nicht gab. Naiv fällt man auf ihn herein. Herbert reüssiert daraufhin sogar Karl-Eduard von Schnitzler. Langsam werden die beengten Kulissen albern: Das Wohnzimmer wird Rosas Strickboutique – und zwar allem Anschein nach lediglich deshalb, weil sich die Produktion keine zweite Kulisse leisten konnte. Plötzlich haben die Trotzkis auch einen großen Hund, mit dem sie den Kredithai schließlich bedrohen. Das muss dann auch als Quasi-Pointe einer schwachen, pointenlosen Episode herhalten.
Schon besser mundet Episode 6, in der eine superaufgestrapste Margot ihrem Vater beizubringen versucht, dass sie mit ihrem Stuttgarter Freund Jürgen von Kaltenbach (Burkhard Heyl, „Stilles Land“) zusammenziehen will – in die elterliche Wohnung… ausgerechnet, als Herbert wegen der Pleite seines Arbeitgebers plötzlich auch arbeitslos geworden ist. Es kommt zum perfekten Chaos, aber Jürgen vergibt Taxilizenzen und Herbert versucht, über ihn wieder in Lohn und Brot zu kommen. Margot und Jürgen wollen heiraten – letzterer ist dann jedoch verhindert, weil die Polizei ihn beim Fälschen einer Taxilizenz für Herbert erwischt hat... Arbeitslosigkeit, Lug und Trug, flügge werdende Kinder – nein, Herbert hat es wirklich nicht leicht in diesem neuen Deutschland.
So wird dann auch in der siebten Episode die letzte Packung Tempolinsen aus dem eisernen Vorrat für schlechte Zeiten aufgetischt. Zurück vom Arbeitsamt ist Herbert aber in Feierlaune, weil er jetzt Vertreter für Alarmanlagen ist. Er glaubt, damit Reibach machen zu können, muss aber erst 300 Mark für eine Schulung abdrücken. Genaugenommen wurde er vom Amt an einen Scharlatan vermittelt, ohne dies zu bemerken. Er soll sogar selbst eine Alarmanlage für 3.000 DM kaufen und spricht Motivationssprüche in sein Spiegelbild. Am ersten Arbeitstag lässt er sich zu allem Überfluss von einem seiner potenziellen Kunden einen Staubsauger andrehen. Und als sein Chef Dr. Schneider (Ulli Kinalzik, „Das Stundenhotel von St. Pauli“) zu Besuch kommt, verkauft dieser seiner Frau eine Alarmanlage – die Dr. Schneider aber ihrerseits über den Tisch zieht. Dieser vorläufige Höhepunkt der Serie persifliert köstlich und bissig den kapitalistischen Konsumwahnsinn „in a nutshell“, lässt Familie Trotzki aber erhobenen Hauptes aus diesen Erfahrungen herausgehen. Dies beweist, dass die Serie Sympathien für ihre Figuren hegt und vermittelt – denn die Trotzkis mögen zwar zahlreiche Ossi-Klischees erfüllen, sind moralisch aber integrer als es die „soziale Marktwirtschaft“ ist.
In Episode 8 bekleidet Herbert Trotzki ein Ehrenamt: Es wird zum Generalsekretär (sic!) der Bürgerbewegung, die gegen den Bau einer Autobahn demonstriert, die u.a. direkt am Haus der Trotzkis entlangführen soll. Hier lernt die Familie die Korruptionsmechanismen des Systems kennen, wenn Herbert sich von einer Abgesandten (Billie Zöckler, „Go Trabi Go“) des zuständigen Bauunternehmens Honig ums Maul schmieren, bestechen und für dessen Zwecke einspannen lässt. Doch die Demonstrationen seiner Familie scheinen erfolgreich zu sein. Kurz nachdem sie erfahren hat, dass ausgerechnet das Familienoberhaupt das schwarze Schaf der Bewegung ist, platzt ein Journalist herein, der von den Bestechungen Wind bekommen hatte, und konfrontiert Herbert mit den Vorwürfen. Die zweite Wendung dieser Geschichte: Rosa behauptet, dass ihr Mann das Geld nur zum Schein angenommen habe – und zieht selbst mit Zaster von dannen. Eine schöne Lehrstunde in Sachen „demokratische Abläufe“, nicht nur für die Trotzkis oder ein ostdeutsches Publikum.
Vielleicht hat Herbert bald auch keine Bestechungsgelder mehr nötig, denn in der neunten Episode wird er zumindest zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Der hier erstmals thematisierte Konsumwahn seiner Frau und seiner Tochter greift das überwältigende Angebot an Konsumgütern nach der Vereinigung Deutschlands auf und zeigt die Probleme, die auftreten, wenn man damit noch nicht so recht umgehen kann – begleitet von herrlich ätzenden Sprüchen Herberts. Obwohl man schon Inkasso-Ärger hat, werden weiter Klamotten bestellt und Ratenzahlungen vereinbart. Bis der Fernseher gepfändet wird… Nun ist’s an Benno, er soll endlich einmal arbeiten gehen. Herbert vermittelt ihm eine Job in einer Bank – oder vielmehr, dass er sich dort überhaupt um eine Lehrstelle bewerben darf. Zuhause wird die Situation mittels Bewerbungsrollenspielen trainiert. Schließlich bekommt Benno einen Job – ausgerechnet bei einem Inkassounternehmen… Die Handlung um Benno ist hier neben den großartigen Dialogen sekundär. Die deutsche Massenarbeitslosigkeit der 1990er schlägt sich hier ebenso nieder wie eingangs erwähnter Konsumwahn, und mittendrin ein arbeitsloser Familienvater, der dem Ganzen hilflos gegenübersteht und dem auch noch eines seiner letzten Vergnügen – der Fernseher – genommen wird. Tragikomisch!
Und dann ist da ja noch die verdammte Bundeswehr, die plötzlich Benno einziehen will. Der Nichtsnutz türmt natürlich, und zwar vor allem deshalb, weil er gerade erst tatsächlich ein attraktives und nettes Mädchen kennengelernt hat. Doch als die Feldjäger bei den Trotzkis eindringen, haben diese noch ein besonderes Ass im Ärmel… Denn ist keine Seltenheit, dass sich ehemalige Mitglieder einer repressiven staatlichen Exekutive nach einem Systemwechsel mir nichts, dir nichts in die nächste Uniform schwingen. Diese zehnte Episode greift nur leidlich das Thema Ossis in der Bundeswehr auf, und Bennos Romanze hat eher Seifenoper-Charakter – dafür punktet die Pointe mit einem Seitenhieb auf Stasi, Militär und Funktionsträger innerhalb bewaffneter Organe generell, in Ost wie West.
Karneval, Fasching oder wie auch immer man es nennen will wurde auch in der DDR gefeiert, die Trotzkis halten in der elften Episode an dieser Tradition fest. Man ist schon kostümiert und will gerade losgehen, als es zwischen Rosa und Herbert zu Eifersüchteleien und Streit wegen alter Frauengeschichten Herberts kommt. Daraufhin zieht er allein los, während Rosa frustriert zu Hause bleibt. Herbert kommt natürlich sturztrunken zurück und ist am nächsten Tag schwer verkatert. Und offenbar hatte er wieder etwas zu nahen Kontakt zu anderen Frauen… Rosa reicht’s jedenfalls. Sie versucht, ihn eifersüchtig zu machen, indem sie sich dem örtlichen Kamasutra-Guru (Wilfried Baasner, „Coconuts“) verschreibt. Dieser kommt zu den Trotzkis nach Hause, zieht seine Show ab und will Rosa an die Wäsche, doch Herbert entlarvt dessen faulen Zauber. Das ist wenig Ossi-spezifisch, nimmt es doch esoterische und spirituelle Scharlatanerie ebenso aufs Korn wie notgeile Gurus, aber auch die nach etlichen Jahren Ehe noch bestehende Eifersucht. Prinzipiell wäre hier mehr drin gewesen, beispielsweise eine naive Rosa Trotzki, die, mit sozialistischem Realismus sozialisiert, erstmals mit Lifestyle-Spiritualität und entsprechend unseriösen Angeboten konfrontiert wird. Schade.
Ausgerechnet als Rosas und Herberts Silberhochzeit bevorsteht, taucht in der vorletzten Episode wie aus dem Nichts eine junge Frau (Cosima von Borsody, „Frauenarzt Dr. Markus Merthin“) auf, die sich als uneheliche Tochter Herberts zu erkennen gibt und entsprechende Forderungen stellt. Ja, das vereinte Deutschland brachte manch Überraschung mit sich, wie in diesem Falle vermeintliche Familienzusammenführungen. Die Betrügereien, die auch mit dieser Masche versucht wurden, hat diese Episode zum Inhalt, die außerdem mit einigen krass frauenfeindlichen Sprüchen Herberts aufwartet.
Einen würdigen Abschluss der Serie bereitet die finale Episode. Hier quartiert sich Herr Cornelsen (Ilja Richter, „Musik, Musik - da wackelt die Penne“) von einem westdeutschen demoskopischen Institut bei den Trotzkis ein, um ihren Alltag und ihr Konsumverhalten als ostdeutsche Durchschnittsfamilie zu beobachten und zu protokollieren. Hierbei prallen erwartungsgemäß Ost- und Westklischees ordentlich aufeinander und die Handlung entwickelt eine diebische Freude daran, damit zu spielen. Am Ende gilt wie immer: Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast!
Nein, „Die Trotzkis“ ist gewiss kein politisches Kabarett, die Serie verfügt auch nicht über den zynischen Biss eines Motzkis. In einigen Karikaturen und Überzeichnungen tendiert man gern einmal etwas zu sehr ins Alberne, manch Gag ist eher flach. Dafür ist diese Serie leichter verdaulich und großartig geschauspielert, der spröde Billigcharme passt zudem zur porträtierten Familie. Während „Motzki“ häufig zu Unrecht reaktionäre Ossi-Feindlichkeit vorgeworfen wurde, weil man die Rolle Motzkis mit der Aussage der Serie verwechselte, wurden „Die Trotzkis“ mitunter als Wessie-feindliches Pendant aufgefasst. Dieser Vergleich hinkt jedoch arg und ist schlicht unangemessen, denn Herbert Trotzki ist weder ein alter Stalinist noch möchte er die DDR zurück. Er ist vielmehr ein Mann, der mit den Folgen des Anschlusses an die BRD zwangsläufig zu kämpfen hat. Er wird, ebenso wie seine Familie, in gleichem Maße selbst persifliert, wie die Serie diejenigen aufs Korn nimmt, die mit der Familie konfrontiert werden oder ihr zusätzlichen Schaden zufügen möchten.
„Die Trotzkis“ ist sicherlich keine humoristische Offenbarung im deutschen Fernsehen gewesen, insgesamt aber ein sehenswertes Kind seiner Entstehungszeit und eine mal mehr, mal weniger spaßige Dokumentation sowohl damaligen Humors als auch damaliger gesellschaftlicher Herausforderungen im Ostteil Deutschlands.