Bei „Only Lovers left alive“ (2013) haben wir es keineswegs etwa mit einer Verfilmung des gleichnamigen 1964er Science-Fiction-Romans aus der Feder des Briten Dave Wallis zutun, sondern mit einer von Kult-Regisseur Jim Jarmusch („Dead Man“) verfassten und in Szene gesetzten melancholisch-poetischen Vampir-Love-Story, in deren Zentrum die beiden seit mehreren Jahrhunderten schon verehelichten Liebenden Adam (Tom Hiddleston) und Eve (Tilda Swinton) stehen. Während er ein begnadeter Musiker und Erfinder ist, der zurückgezogen in einem heruntergekommenen Viertel von Detroit lebt und nur selten sein ebenso betagtes wie abgeschiedenes Haus verlässt, in welchem er an seinen Stücken arbeitet sowie gelegentlich von einem Bekannten (Anton Yelchin) rare Vintage-Instrumente (für seine Sammlung) geliefert erhält, residiert sie gegenwärtig im nordafrikanischen Tanger, wo sie sich regelmäßig mit ihrem „Artgenossen“ und langjährigen Dichter-Freund Christopher Marlowe (John Hurt) zu anregenden Konversationen zusammensetzt, ausgiebig klassische Literatur liest sowie einfach nur den ganz speziellen Flair der marokkanischen Großstadt genießt. Die vielen gemeinsamen Dekaden haben ihre Gefühle dermaßen innig miteinander verwoben, dass diese räumliche und zeitliche Trennung von ihnen wie nicht mehr als „ein Moment für sich allein“ wahrgenommen wird: Einstein´s Theorie der Quantenverschränkung dient in diesem Zusammenhang als Metapher...
Sexuelle Ausschweifungen, gefährlich-berauschende Faibles oder mit Risiken der Entdeckung behaftete Angriffe auf Menschen sucht man bei ihnen vergebens – und so beschafft sich Eve das für ihr Überleben unerlässliche Blut über Marlowe (welcher es wiederum aus Pharmazie-Beständen bezieht), wohingegen Adam „bei Bedarf“ entsprechende Geschäfte mit einem im örtlichen Krankenhaus tätigten Doktor namens Watson (Jeffrey Wright) abwickelt. Eines Nachts wird ihr im Rahmen eines Video-Chats jedoch bewusst, dass er sich offenbar gerade inmitten einer ungewöhnlich depressiven Stimmungslage befindet – und tatsächlich hat er sich (ohne dass sie davon Kenntnis besitzt) jüngst erst eine Pistolenkugel aus edlem Hartholz anfertigen lassen. Kurzerhand organisiert sie sich eine für sie in Frage kommende (Sonnenlicht-Phasen meidende) Flugverbindung und reist zu ihm in die USA – wo sie ihre weiterhin füreinander lodernde Leidenschaft sogleich erneut „zum Aufflammen“ bringen, ebenso wie sich u.a. mit Schachpartien die Stunden vertreiben, entspannt auf der Couch Musik hören oder im Schutze der Dunkelheit Spazierfahrten durch die Straßen der einstmals prächtigen Metropole unternehmen. Die traute Zweisamkeit findet allerdings ein jähes Ende, als Eve´s eher „ungezügelt-flippige“ jüngere Schwester Ava (Mia Wasikowska) eines Tages bei ihnen auftaucht – uneingeladen und nur bedingt willkommen...
Unabhängig der Gegebenheit, dass „Only Lovers left alive“ eine markante übernatürliche Komponente aufweist, handelt es sich bei dieser deutsch-britisch-französisch-amerikanisch-zypriotischen Co-Produktion dennoch um einen für Jarmusch sehr typischen Film: Ein „Indie“ im klassischen Sinne, der lakonisch charakteristische Motive wie die Ausprägungen kultureller Unterschiede oder den Zusammenhalt besonderer Beziehungen Schrägstrich Bindungen aufgreift und über dessen Entstehung er stets die komplette künstlerische Kontrolle behielt. Auch hier entfalten sich die Geschehnisse überaus ruhig und wurde der Atmosphäre-Erzeugung wesentlich mehr Aufmerksamkeit gewidmet als der inhaltlichen Ausgestaltung der eigentlichen Geschichte – schließlich gibt es sich um Vampire rankende Veröffentlichungen inzwischen ja angrenzend „wie Sand am Meer“ und ist es Jarmusch in diesem Kontext nicht gelungen, das betreffende Sub-Genre um irgendwelche wirklich originellen Facetten oder Perspektiven zu bereichern. Zugegeben: Etwas in der Art dürften ohnehin bloß die wenigsten erwartet haben – schön wäre es nichtsdestotrotz gewesen. Einzig dem Einfall bzw. der Preisgebung, dass verschiedene „kreative Schöpfungen der Welt-Historie“ in Wahrheit von Vampiren stammen würden, könnte man eventuell eine in diese Richtung tendierende Eigenschaft zusprechen…
Adam (beispielsweise) hat früher anonym für einige große Komponisten Musik geschrieben – und sein alter Freund Christopher Marlowe (siehe u.a. „the Tragical History of Doctor Faustus“) hatte einst seinem „damaligen Zeitgenossen“ William Shakespeare gleich mehrere Werke verfasst, welche letzterer im Folgenden dann unter seinem eigenen Namen publizierte. Ihre Triumphe genießen sie abseits der Öffentlichkeit – doch unterhalten sie sich untereinander recht gern darüber und verhelfen sich somit zumindest zu einem gewissen Grad an Bestätigung und Anerkennung. All die gelebten Jahre haben bei ihnen zu einem immensen Wissensschatz, zu unzähligen Bekanntschaften, Erfahrungen und gereiften Ansichten geführt: Außerordentlich bewandert, schwelgen sie des Öfteren in Erinnerungen, diskutieren rege über Kunst, Forschungen oder Philosophie und binden ihre erworbenen Kenntnisse zudem immer mal wieder „ziemlich direkt“ (etwa per Nennen der lateinischen Fachausdrücke von Tieren und Pflanzen) in ihre Feststellungen und Konversationen mit ein. Ergänzt um diverse Zitate, Anspielungen und Referenzen – Adam hat sich sogar eine Wand mit gerahmten Bildern seiner Idole (Kafka, Poe, Twain etc.) zusammengestellt – wirkt das in einzelnen Situationen zwar leicht aufgesetzt sowie dem „Name-Dropping“ nahe, harmoniert in jener Form aber durchaus auch ein Stück weit mit der an sich nicht allzu tiefschürfenden Beschaffenheit des „Drumherums“…
Eve, Adam und Marlowe sind Vampire, deren Anschauungs- und Auffassungsweisen sich aus ihren gehaltvollen Erlebnissen (inklusive der Eindrücke und Prägungen vielfältiger Kulturen, Epochen und Begegnungen) gebildet haben. Ebenso zynisch wie verächtlich bezeichnen sie die innerhalb der heutigen (modernen) Gesellschaft auf Erden wandelnden Menschen als „Zombies“ – vorrangig aufgrund ihrer eingeschränkten Denkweisen, banalen Vorlieben, selbstzerstörerischen Neigungen (u.a. zu Kriegen) sowie ihres fahrlässigen Umgangs mit der Natur bzw. Umwelt. Überdies haben es jene inzwischen ja sogar geschafft, ihr eigenes Blut mit Krankheiten und Erregern (á la HIV) derart zu kontaminieren, dass selbst Vampire daran sterben können: Die einzig echte Chance auf „das gute Zeug“ besteht im Prinzip nur noch darin, das Wagnis einzugehen und es sich irgendwie aus Kliniken oder medizinischen Einrichtungen zu besorgen. Und so sind sie meist (ganz unweigerlich) soziale Außenseiter, die wehmütig auf vergangene Zeiten zurückblicken, sich über dies und jenes (wie den verbreiteten Mangel an Respekt vor der Wissenschaft) beklagen sowie ihr „Elixier“ genüsslich aus kleinen Likörgläsern trinken: Quasi (mehr oder minder mächtig) versnobt-altmodische Bohèmians, welche sich (losgelöst der zugehörigen Notwendigkeit betrachtet) anstatt an Alkohol oder Drogen nunmal an Blut berauschen…
Die Beziehung zwischen Adam und Eve markiert den „emotionalen Kern“ des Films – erfüllt ihn geradezu mit Leben, u.a. dank der Darreichung nachvollziehbarer Gefühle sowie der Hinzugabe eines trockenen Humors. Eigentlich ist Adam ein größerer „Emo“ als es Bella und Edward (aus der „Twilight“-Saga) jemals waren: Fortwährend betrübt und grüblerisch sowie von der Welt um sich herum sowohl enttäuscht als auch gelangweilt, denkt er gar konkret an Suizid und arbeitet (in sich gekehrt) an düster-bedrückender, jedoch sehr klangvoller Musik, welche er bestenfalls spärlich (sowie dann stets nur „unauffällig und ungenannt“) veröffentlicht, um auf diese Weise immerhin ein wenig Resonanz zu erhalten: Kaum eine Spur etwa des „Bühnendrangs“ Lestats in „Queen of the Damned“. Vom Look und der gesamten Performance her verkörpert ihn Tom Hiddleston („Thor“) schlichtweg exzellent – ein Kompliment, welches sich seine Screen-Partnerin Tilda Swinton („the Beach“) übrigens exakt genauso „erspielt“ hat: Ihre gewohnt „kühle“ Ausstrahlung (ergänzt um ihre ausdrucksstarken Physiognomien plus einer stylish arrangierten Haarpracht) passt ohnehin perfekt zu dem Part, dessen unterschiedliche, sich von resolut über fürsorglich bis hin zu verletzbar erstreckende Facetten sie allumfassend klasse meistert bzw. darbietet. Generell verfügt Eve über eine deutlich positivere Anschauungsweise – und so obliegt es ihr, Adam aus seiner Depression herauszuhelfen…
Fürs Publikum ist es unterhaltsam, Zeit mit diesen Personen zu verbringen – ihnen einfach nur dabei zuzusehen, wie sie interagieren, sich austauschen, Lieder anhören oder ab und an auch mal ein „Blut-Eis am Stiel“ kosten. Ihre Vertrautheit ist durchweg spürbar – was nicht unwesentlich auf der einträglichen Chemie zwischen Swinton und Hiddleston basiert. Als Adam´s „menschlicher Kontaktmann“ Ian weiß indes ein bärtiger, langhaariger sowie erneut ziemlich sympathisch auftretender Anton Yelchin („Odd Thomas“) zu überzeugen – während Jeffrey Wright („Shaft“) in zwei vergnüglichen Sequenzen in Erscheinung tritt und John Hurt („1984“) den „gesundheitlich angeschlagenen“ Marlowe auf routinierte Weise (anständig) portraitiert. Mit von der Partie ist fernerdrein auch noch die sichtlich gut aufgelegte Mia Wasikowska („Stoker“) als impulsivere „kleine Schwester“ Eves: Frisch aus Los Angeles eingetroffen, erfreut sich Ava an ihrem Dasein, sucht aktiv nach Spaß (z.B. indem sie sich in Bars oder Clubs unter die Leute mischt) und trinkt Blut gelegentlich noch „direkt aus der Quelle“. Man könnte sagen: Sie ist „weniger spießig“. Zwar ist die Phase ihres Besuchs konventioneller, vorhersehbarer und „lockerer“ als der restliche (sie umschließende) Verlauf geraten – doch war mir der mit ihrem Auftauchen verknüpfte (in die Geschehnisse injizierte) „Energie-Schub“ an sich beileibe nicht unwillkommen…
Die Akteure holen jeweils das Beste aus ihren allesamt nicht gerade reichhaltig gezeichneten, eine vergleichbar oberflächlich gestrickte Handlung bevölkernden Figuren heraus: Im Grunde keine ungewöhnliche Feststellung, wenn man sich mit den Werken Jarmuschs beschäftigt, die seit jeher ja vor allem in „audiovisueller Hinsicht“ bzw. dank der daraus erzeugten Stimmungen den stärksten Anklang zu finden wissen. Schon immer nahm die Musik bei ihm einen wichtigen Stellenwert ein: Bereits die Eröffnung des Films, bei der die seitens der Kamera eingefangene Einstellung auf einmal zu rotieren beginnt und dann nahtlos in den Anblick einer auf einem eingeschalteten Player ihre Kreise ziehenden Schallplatte übergeht, verbildlicht diese „innige Verbundenheit“ auf Anhieb. Diverse von Künstlern verschiedener Stilrichtungen (unter ihnen Jozef van Wissem, Denise LaSalle, Charlie Feathers, Y.A.S., Bill Laswell, den White Hills sowie Jim´s eigener Psychedelic-Rock-Band Sqürl) stammende schwermütig-melodische Tracks erfahren ihre ausgiebige Präsentation: Obgleich meist relativ anregend beizuwohnen, bremsen manche Momente dieser Art die Entwicklungen jedoch geringfügig zu kräftig aus – wie als Adam und Eve gegen Ende in einem Café auf die libanesische Sängerin Yasmine Hamdan aufmerksam werden und einfach mal schweigend einem kompletten Song von ihr lauschen – was wiederum zur Folge hat, dass sich die insgesamt rund 120 Minuten wirklich nach vollen zwei Stunden anfühlen…
Beseelt ausgestattet – wobei insbesondere die fabelhaft zusammengetragene Einrichtung von Adam´s Bleibe herauszustellen ist – wurde alles von Cinematographer Yorick Le Saux („Julia“) ebenso inspiriert wie ansehnlich ins rechte Licht gerückt: Speziell die unzähligen verlassenen, zerfallenen Gebäude der ehemals wohlhabenden Stadt Detroit bieten der Story eine überaus passende (gespenstisch-elegische) Kulisse. Während der Gedanke daran, was die Menschen aus der Metropole haben werden lassen, Adam mit Traurigkeit erfüllt, ist sich Eve dagegen sicher, dass aus jener „jetzigen Wildnis“ eine positive Zukunft erwachsen wird – nur eine der zahlreichen Veranschaulichungen ihrer (teils konträren) individuellen Denkweisen. Der finale Akt führt das Paar schließlich nach Marokko – wo sie nach der riskanten wie zehrenden Flugreise allerdings prompt mit „Problemen bei der Blut-Beschaffung“ konfrontiert werden: Eine Bredouille, die wiederum im Erkeimen eines Hauchs von Suspense sowie in einer erzwungenen Auseinandersetzung mit einer gewichtigen existenziellen Frage bzw. Entscheidung mündet. Was nach dem Ausklingen des Abspanns (kurz darauf) dann schließlich „unterm Strich“ beim Betrachter zurückbleibt, ist u.a. der Eindruck, Zeuge einer unterhaltsamen, überraschend zugänglichen und augenzwinkernd-amüsanten Regiearbeit Jarmuschs geworden zu sein, welche somit durchaus auch dem einen oder anderen Interessierten außerhalb seiner treuen Indie- Schrägstrich Arthouse-Fan-Gemeinschaft zu empfehlen ist…
Fazit: Bei Jim Jarmusch´s „Only Lovers left alive“ handelt es sich um eine mit Zitaten, Anspielungen und einem trockenen Sinn für Humor gespickte, hervorragend besetzte düster-melancholisch-atmosphärische Vampir-Liebesgeschichte voller Musik, Weltschmerz und poetischen Bildkompositionen, welche sich in Teilen jedoch ein Stück weit zu gemächlich entfaltet sowie auf inhaltlicher Ebene etwas zu oberflächlich und banal daherkommt…
„6 von 10“