„Nur ein paar Tage...?“
Der Niederländer Alex van Warmerdam („Grimm“) führte Regie beim niederländisch-belgisch-dänisch koproduzierten Mystery-Drama/-Thriller „Borgman“, der im Jahre 2013 erschien.
„Es ist Zeit für Liebe, es ist Zeit für Trost.“
Drei übernatürliche Wesen, die ihre Gestalt zwischen Hund und Mensch wechseln können, leben im Wald, versteckt in Erdhöhlen. Nachdem sie von dort verjagt wurden, sucht einer von ihnen, der sich Camiel Borgman (Jan Bijvoet, „The Broken Circle“) nennt, die Villa einer wohlhabenden Familie auf. Er sieht aus wie ein verwahrloster Landstreicher und bittet die Bewohner(innen), ein Bad nehmen zu dürfen. Die Familienmutter Marina (Hadewych Minis, „Loft - Liebe, Lust, Lügen“) kenne er zudem von früher. Doch ihr Ehemann Richard (Jeroen Perceval, „Bullhead“) reagiert derart aggressiv auf Borgman, dass er ihn brutal zusammenschlägt und verletzt vor dem Haus zurücklässt. Am Abend desselben Tags stellt Marina fest, dass Borgman sich in ihr Gartenhaus zurückgezogen hat. In einer Mischung aus schlechtem Gewissen und Faszination für den Fremden hilft sie ihm schließlich ohne Wissen Richards, die freigewordene Stelle als Gärtner anzutreten. Was sie jedoch nicht weiß: Die Stelle ist nur deshalb freigeworden, weil Borgman & Co. seine Frau und ihn ermordet haben – der Beginn einer unheimlichen Mordserie im Umfeld der Familie. Rasiert, frisiert und in frischer Kleidung erkennt Richard den Bewerber nicht und stellt ihn tatsächlich als neuen Gärtner ein, womit er sich einen wahren Teufel ins Haus geholt hat, der zusammen mit seinen „Kollegen“ derart manipulativ vorgeht, dass er die Kinder und das Kindermädchen für sich gewinnt und somit seinen finsteren Plan zu Ende führen kann…
Vorrangig mit den narrativen Stilmitteln eines Home-Invasion-Thrillers demontiert der Film die trügerische Idylle einer selbstgerechten, dekadenten Wohlstandsfamilie, hinter deren Fassade kaum etwas so ist, wie es scheint; Liebe und Geborgenheit gibt es kaum, das Gefüge entpuppt sich als dysfunktional und in Oberflächlichkeit, Egoismus und Routine gefangen. Dies bietet Borgman & Co. reichlich Anknüpfmöglichkeiten für ihre Manipulationen und letztlich die Zerstörung der Familie. Das Motiv des in eine Familie eindringenden und sie vollends auf den Kopf stellenden Fremden ist auch in seiner psychologischeren und philosophischeren Herangehensweise nicht neu, Buch und Regie versuchen zu variieren. Mehrfach werden bizarre Abwandlungen des klassischen Nachtmahr-Motivs inszeniert, in denen Borgman nackt auf dem Bett der schlafenden Marina sitzt – oder gar direkt auf ihr.
Doch statt konsequent den psychologischen Topos zu bedienen, einen handfesten Thriller auszuarbeiten oder sich nach Art eines Horrorfilms auf den übernatürlichen, dämonischen Aspekt zu konzentrieren, tun Buch und Regie, nun ja – nichts von alledem. Wie es Borgman gelingt, die Familie zu manipulieren, bleibt diffus – es passiert eben einfach. Dabei bleibt – natürlich! – nicht aus, dass Marina plötzlich auf Borgman steht, auf dieses Stereotyp wollte man dann doch nicht verzichten. In erster Linie werden jedoch alle zunehmend aggressiv und verhalten sich immer seltsamer, bis hin zu einer grotesken Ballettaufführung im Garten.
Klar, „Borgman“ will die Nutzlosigkeit der Oberschicht illustrieren, vor allem aber ihre Angst davor, dass etwas in ihre scheinbar heile Welt eindringen und sie zerstören könnte, dass man ihr den ganzen sinnlos angehäuften Wohlstand und sogar den eigenen Nachwuchs nehmen könnte, wenn dieser beschließt, ein anderes Leben zu führen und anderen Vorbildern als denen der Eltern folgt – eine Angst, auf der letztlich der gesamte politische Konservatismus fußt und unter der seit jeher Unter- bis Mittelschicht und stigmatisierte Minderheiten, alternative Lebensentwürfe etc. zu leiden haben. Van Warmerdam aber ist – bis auf eine hübsche Oben-ohne-Szene Sara Hjort Ditlevsens („Rita“) und den erwähnten Nachtmahr-Szenen – weder an Schauwerten noch an psychologischer Finesse oder Plausibilität gelegen. Die Familie überzeichnet er derart stark, dass sie in ihrem unnatürlichen Verhalten schlicht vollends entrückt wirkt und einem auf die Nerven geht. Damit beraubt er sie jedoch jeden Identifikationspotentials, absolut niemand wird sich in dieser Familie wiedererkennen wollen. Eine Mythologie der offenbar übernatürlichen Eindringlinge wird angerissen, aber nicht weiterverfolgt; stattdessen werden nicht nur sie, sondern regelrecht alle Figuren zu Metaphern, zu allegorischen Symbolbildern, wo der Verzicht auf diese Mischung aus Abstraktionen und klischeesierten Projektionsflächen viel spannender gewesen wäre – ganz gleich ob als realistisches Sozialdrama oder als Genrefilm. So wartet man beharrlich auf eine wie auch immer geartete Auflösung der Chose, auf eine Pointe, eine Wendung oder einen Aha-Effekt, während der Film in seinem Pseudosurrealismus verharrt und sein Publikum mit einer spröden Inszenierung ohne Filmmusik in erzwungen langsamem Erzähltempo und Überlänge bestraft.
Damit dürfte, wie so oft, wenn sich die Mittelschicht ihrer anzunehmen vorgibt, die Unterschicht außenvorbleiben, während das Bildungsbürgertum sich fürs naheliegende „Entschlüsseln“ der Metaphern und diverser Anspielungen und Symboliken gegenseitig auf die Schulter klopfen und sich versichern darf, mit der hier abgebildeten Oberschicht ja so gar nichts zu tun zu haben – Menschen also, denen man mal eine Gruppe Punks vorbeischicken müsste, die die Craftbierkästen im Keller findet, eine zünftige Party feiert, Körperflüssigkeiten und Brandlöcher auf dem guten Teppich hinterlässt und anschließend mit dem Nachwuchs abzieht, um ihn weiter zu verderben.