Neben Jean Renoir und René Clair zählt Marcel Carné zu den Hauptvertretern des poetischen Realismus, jener Filmgattung die im Frankreich der dreißiger Jahre vorherrschte. Sein wichtigster Beitrag zu dieser Zeit ist der 1939 entstandene „Der Tag bricht an“, doch schon der ein Jahr jüngere „Hafen im Nebel“ ist ein überaus gelungener Film, der eine Vorahnung der überragenden Qualität Carnés späterer Filme vermittelt.
Während bei Renoir der realistische und humanistische Aspekt im Vordergrund steht legt Carné größeren wert auf das poetische Element, seine Filme sind stilisierter und artifizieller. Bei „Hafen im Nebel“ reduziert er sowohl Ort als auch Personen der Handlung und die Handlung selbst auf ein übersichtliches, klischeehaftes Mindestmaß.
Der Film spielt in Le Havre, oder besser in einer Stadt, die durch einen Wegweiser und eingestreutes Dokumaterial als Le Havre kenntlich gemacht wird. Ansonsten besteht die Stadt aus einem beliebigen Hafen, einer Straße, einem Rummelplatz, einem Geschäft, einem Hotel und der Hütte eines Mannes namens Panama. Erstaunlich wenige Schauplätze für eine Großstadt, aber zugegebener Maßen nicht unüblich für eine Studioproduktion. Die Personen sind nicht wirklich reduziert, aber dennoch übersichtlich an der Zahl und vor allem ihre Charakterisierung ist einfach gehalten. Der bereits erwähnte Panama wohnt in einer Hütte außerhalb der Stadt, die als Zufluchtsort für allerlei gestrandete Persönlichkeiten dient, und nicht viel zu bieten hat außer vier Wänden und einem Dach, etwas zu Essen und einem Barometer, dass durch einen Nagel gezwungen wird, immer gutes Wetter anzuzeigen. Aber hier stellt keiner Fragen und alles ist einfacher als draußen. Die Stammgäste sind ein obdachloser Alkoholiker, dessen größter Wunsch es ist, einmal zwischen weißen Laken zu schlafen und ein Künstler den seine romantische Todessehnsucht in den Selbstmord treibt. Dazu gesellen sich dann der desillusionierte, unabhängige Deserteur Jean und Nelly, die versucht aus dem Haus ihres nach Selbstaussage hässlichen Patenonkels Zabel auszureißen. Sowohl Zabel als auch ein meistens harmloses Gangstertrio sind die Antagonisten der von Jean Gabin verkörperten Figur des Jean.
Wie üblich für den poetischen Realismus ist Jean ein ehrlicher, stolzer Mann der nichts zu verlieren hat. Er kommt nach Le Havre, seelisch gezeichnet von einem Einsatz in Französisch Indochina, um mit einem Schiff außer Landes zu gelangen. In Panamas Hütte begegnet er Nelly, verliebt sich in sie und verbringt mit ihr den nächsten Tag und die darauffolgende Nacht. Obwohl er nur die ersten wirklich glücklichen Momente seines Lebens genießen will, wird er mitten in eine Geschichte um verschmähte Liebe und Eifersucht hineingezogen.
Nelly hatte sich, um dem Einfluss ihres sie heimlich begehrenden Patenonkels zu entfliehen, auf einen Freund des Gangstertrios eingelassen, der nun verschwunden ist. Die drei Raufbolde machen ihr Vorwürfe, das sie nun mit Jean zusammen ist und setzen Zabel unter Druck, da sie glauben, dieser wisse wo ihr Freund Maurice stecken könnte.
Nach dem Selbstmord des Malers erhält Jean auf dessen Wunsch dessen Kleidung um bei der Abreise nicht aufzufallen, Jeans Uniform wird von Panama im Hafen versenkt, obwohl Jean ihn gebeten hat, diese ein Jahr aufzubewahren. Als Maurices Leichnam nebst Uniform im Hafenbecken gefunden wird, gesteht Zabel seiner Patentochter gegenüber den Mord und seine Liebe und wird von Jean erschlagen. Jean wiederum wird von einem der Gangster erschossen, der glaubt, die Uniform sei ein klarer Beweis für Jeans Schuld.
Ein reichlich Kruder, beinahe exploitativer Plot also, der zwar durchaus dramatische Momente bietet allerdings wenig anspruchsvoll ist.
Dem gegenüber steht allerdings eine Inszenierung, die es dem Zuschauer nicht immer ganz leicht macht, zu verstehen, was gerade vor sich geht, die vieles indirekt erzählt. Erst einmal natürlich, weil ein Teil der Geschichte schon vorbei ist, wenn Jean mit den einzelnen Protagonisten konfrontiert wird und so wie er für sich die Fronten und Beziehungen klären muss, weiß auch der Zuschauer erst im dritten Akt sich das bisherige Verhalten der Protagonisten zu erklären. Diese Erzählweise ist zwar mittlerweile nicht ungewöhnlich, und vor allem im postmodernen Kino fast zur Regel geworden, dennoch steht sie in auffällig krassem Kontrast zur simplen Erzählung an sich und war neben den spekulativen und düsteren Momenten der Erzählung zu ihrer Zeit aufsehenerregend. Es gibt sogar Elemente, die nicht vollständig geklärt werden, so scheint Zabel in Geschäfte mit dem Gangstertrio verstrickt gewesen zu sein, doch außer vagen Andeutungen einer gemeinsamen Vergangenheit wird nichts verraten.
Die permanente Verunsicherung des Zuschauers wird noch verstärkt durch eine passive Erschließung des Raums und der Zeit durch Kamera und Schnitt.
Ganz so einfach wie sie scheinen sind die Beziehungen der Figuren untereinander nicht, oft blicken sie sich indirekt über Spiegel in die Augen, die Liebenden Jean und Nelly schauen bei Dialogen auch mal in völlig entgegengesetzte Richtungen. Auch der Blick des Zuschauers selbst ist indirekt und passiv. So erobern Kamerafahrten den Raum nicht in vorwärts gerichteten Bewegungen sondern lassen ihn über den Zuschauer hereinbrechen, in dem die Kamera bei jeder fahrt nach hinten, mindestens aber zur Seite fährt. So ist es völlig ungewiss, wohin die Fahrt zielt, genau wie es auch unklar ist, wohin sich die Erzählung entwickelt.
Ebenfalls der Schnitt, der eigentlich die Aufgabe hat, die Zeit zu strukturieren, erschwert hier manchmal den Überblick über das Geschehen. Die Chronologie von Ursache und Wirkung wird gebrochen, natürlich nicht radikal, so dass der Film experimentell werden würde, aber merklich. Das Paradebeispiel hierfür ist der Beschuss von Panamas Hütte durch die Gangster, wo man zuerst Schüsse hört, dann sieht wie Panama reagiert und erst anschließend sieht, wer überhaupt geschossen hat. Auf wen überhaupt geschossen worden ist erfährt man erst am Ende der Szene.
Der Zugang zur scheinbar einfachen Handlung, Personenzeichnung und Ortsbeschreibung wird also durch die Umstände der Erzählweise selbst erschwert.
Der erschwerte Zugang zu etwas, was eigentlich klar vor einem zu liegen scheint, ist meiner Meinung nach auch das Tema des Films. Alle Personen haben klare Wünsche und Vorstellungen, sei es, herauszufinden, was mit dem Freund geschehen ist oder einfach mit der Frau glücklich zu sein, die man liebt. Ihre eigenen Vorurteile, ihre Sturheit oder auch das Eingreifen andere Personen macht die Erfüllung der eigenen Träume jedoch unmöglich. Nicht jeder muss dabei so radikal scheitern wie Zabel, den die unmögliche Liebe zu seiner Patentochter zum Mörder macht. Aber kaum jemand wird glücklich, eigentlich sind das nur Panama, der sich in seine Hütte in der immer Sommer ist zurückzieht, der Jean zugelaufene Hund, der in Jean ein gutes Herrchen findet, Jean selbst, in dieser einen Nacht mit Nelly, und der obdachlose „Quart Vittel“, der am Ende des Films genug Geld für ein Hotelzimmer mit weißen Laken zusammen hat.
Das Glück ist aber nie von Dauer und nur kleine Wünsche finden Erfüllung. Eine ziemlich düstere Weltsicht, aber oft anzutreffen in den späteren Filmen des Genres, und auch zeitgeschichtlich bedingt, denn der Poetische Realismus war eng verbunden mit der „Front Populaire“, der sozialistischen Bewegung in Frankreich, die allerdings 1937 scheiterte. Diese Gefühl von Vergänglichkeit und geplatzten Träumen wird hier sicherlich verarbeitet, denn auch der Tod ist omnipräsent, vor allem wegen Zabel.
Leider bietet Carné dieser tragischen Figur etwas wenig Platz, so dass Zabel fast als reiner Bösewicht in Erinnerung bleibt. Und auch insgesamt ist es die schwarz weiße Figurenzeichnung die auf den Zuschauer stärker wirkt als die stilistische Gestaltung, denn diese ist nicht konsequent genug eingehalten und folglich nicht so dauerpräsent wie die Holzschnitthaften Figuren und die etwas plakative Geschichte. Doch auch wenn er nicht ganz so ausgereift ist wie „Der Tag bricht an“ oder Renoirs „Die Bestie Mensch“ bleibt dieser Film ein unterhaltsamer und wundervoll tragischer Vertreter des Poetischen Realismus.