LOST HIGHWAY - ein Film über den Wahnsinn. LOST HIGHWAY - ein wahnsinniger Film. David Lynch ist hier der Kunstgriff gelungen ist, Inhalt und Form als eine unlösbare Einheit miteinander zu verweben. Wie in keinem anderen Film spiegelt sich in der Form der Inhalt und im Inhalt die Form. Genial.
Auch wenn sich der Film jeder eindeutigen Interpretation entzieht, möchte ich den Versuch einer Zuordnung des Geschehens machen (und betonen: es ist lediglich EINE Sichtweise auf den Film, EINE mögliche Lesart): für mich geht es in LOST HIGHWAY in erster Linie um eine Beziehungsstörung, um zwei Menschen (Fred und Renée), deren Gefühle füreinander erkaltet sind (was im ersten Teil des Filmes wunderbar von Lynch herausgearbeitet wird - die Dunkelheit, die Stille, die Dialoge zwischen den beiden, die Liebesszene, die gar keine ist, usw.). Renée scheint sich Befriedigung im Außen zu suchen - bei Mr. Eddie (=Dick Laurent), und Fred ist offenbar dahinter gekommen und ermordet Renée, nachdem (oder bevor) er Mr. Eddie umgebracht hat (dieser Mord bildet einen Höhepunkt des zweiten Teiles des Filmes).
Durch die Tat wird Fred endgültig verrückt (auch im Sinne des Wortes) - wobei er auch vorher schon deutlich pathologische Züge aufweist, depressive Verstimmtheit, Realitätsverzerrungen, soziale Isolation und Rückzugstendenzen (alles Zeichen einer schizoiden Persönlichkeitsstruktur).
Freds Persönlichkeitsspaltung spaltet auch den Film - ist LOST HIGHWAY zunächst wie ein Kammerspiel, in dunklen Tönen gehalten, leise, geheimnissvoll, aus der Innenperspektive heraus gefilmt (wie ein Bergmann-Film) , aus der Sicht eines in sich zurückgezogenen, introvertierten Menschen, der allmählich in den Wahnsinn gleitet, zweier Menschen, die sich einander verlieren und voneinander entfremden, kehrt sich der Film mit der "Verwandlung" Freds in Pete plötzlich um, wird schrill, schnell, laut - die Introversion zur Extroversion (und Lynch landet wieder bei WILD AT HEART). Pete scheint das genaue Gegenteil von Fred - in Pete scheint Fred Erlösung zu finden, Vergessen, und scheint die Geschichte ein gutes Ende zu nehmen - doch dann wiederholt sich alles und die Stränge laufen wieder zusammen, unaufhaltsam dem vorbestimmten Ende entgegen, das gleichzeitig wieder der Anfang ist...
Für mich gibt es keine präzisere Beschreibung des Wahnsinns als in LOST HIGHWAY. Nie zuvor wurde man auf solche Weise Zeuge dessen, was geschieht, wenn ein Mensch die Kontrolle über sich selbst verliert und verrückt wird - ein Zeuge der Innenperspektive, ein Zeuge eines in sich verrückten Systems.
Die Zeit ist zirkulär, Räume unbegrenzt und sich auflösend, das Ende ist im Anfang enthalten ("Dick Laurent ist tot," sagt Fred zu sich selbst durch die Sprechanlage seines Hauses - am Anfang und am Ende des Filmes) - in LOST HIGHWAY regiert der Primärprozeß (das ist die Welt des Phantastischen, die Welt des Traums, der Emotionen und Affekte - die Welt der Kinder und Verrückten). Die Menschen hier sind zweigeteilt (besser: auf zwei aufgeteilt - Fred/Pete, Renée/Alice, Mr. Edie/Dick Laurent) - ein psychischer Mechanismus, um Ambivalenzen, um sich scheinbar wiedersprechende Eigenschaften EINES Menschen (wie gut/böse, hassenswert/liebenswert, usw.) besser aushalten zu können. Und dann gibt es da noch die Figur des Mystery-Man (eine Art Mephistoteles und Todesengel in einer Gestalt), der mit seiner Videokamera Freds Innenwelt Wirklichkeit verleiht ...
Lynch ist der Kunstgriff gelungen, den Film losgelöst von einer linearen Handlung, außerhalb von Raum und Zeit, mit ureigenen filmischen Mitteln zu erzählen und dennoch eine, in sich gesehen, logische Geschlossenheit zu erreichen.
Und trotz all der Interpretation hat der Film ein Geheimnis, wirkt er nicht über den Kopf (schließlich ist erst auf der Ebene der Reflexion die Analyse möglich) - hat er, wie Robert Fischer in seiner Lynch-Biographie treffend schreibt, eine "surreale Posie" und "funkelt wie ein Diamant". Dem kann ich nur zustimmen.
Für mich einer der besten Filme überhaupt - und einer der wichtigsten!!