„Ich will, dass sie dich alle nackt sehen!“
Der italienische Filmemacher Pasquale Festa Campanile („Als die Frauen noch Schwänze hatten“) setzte schon seit Beginn der sexuellen Revolution spielerisch Nacktheit in seinen Filmen ein, so auch in der 1971 entstandenen Erotik-Komödie „Das nackte Cello“, die sich allein schon durch ihren psychologischen Tiefgang von vielen Vertretern der Commedia all'italiana wohltuend abgrenzt.
Niccolo Vivaldi (Lando Buzzanca, „Der große Schwarze mit dem leichten Knall“), Cellist im Veroner Orchester, ist ein derart unauffälliger Typ, dass er ständig übersehen, übergangen und vergessen wird. Als sich seine Frau Costanza (Laura Antonelli, „Venus im Pelz“) während einer ärztlichen Untersuchung entkleiden muss, zeigen sich andere Männer begeistert von ihrer Figur und ihren Reizen. Dadurch nimmt Niccolo erstmals bewusst die körperlichen Vorzüge seiner Frau wahr – und sucht fortan Anerkennung, indem er seine Frau anderen nackt präsentiert. Anfänglich zeigt sich Costanza davon wenig begeistert, macht ihrem Mann zuliebe dennoch mit. Doch Niccolos Verhalten nimmt immer manischere Züge an…
Campanile konfrontiert den Zuschauer erstmals mit Niccolo im Zuge einer Orchesterprobe, aus dem Off stellt er sich vor und beklagt seine mangelnde Erinnerungswürdigkeit. Aus dem Off wird er auch weiterhin viel erzählen, ob in Rückblenden in seine Kindheit, zum Vogelstimmenwettbewerb, bei dem er seine Frau kennengelernt hat oder in der Gegenwart. Doch sogar seine Frau vergisst schon einmal seinen Namen. Herrlich bizarr gerät „Das nackte Cello“, wenn Niccolo davon träumt, auf seiner nackten Frau Cello zu spielen und er sie sich beim nächsten Arztbesuch unter einem Vorwand komplett ausziehen lässt. Er verabreicht ihr gar ein Schlafmittel, um sie nackt fotografieren zu können. Zwar reagiert sie empört, als sie die Fotos findet, doch wirken sich Bewunderung und Neid anderer derart positiv auf Niccolos Libido aus, dass er mittlerweile mehrmals täglich seine Frau befriedigt, so dass er schließlich Ihre Einwilligung erhält, Fotos machen zu dürfen. Sie macht weiter bereitwillig alles mit, zeigt sich wie zufällig Bauarbeitern nackt und mittlerweile sogar ihren Nachbarn.
Doch als sie damit aufhören, vergisst er, wer er ist. Bei einer Opernaufführung überrascht sie ihn als Sängerin, die die Hüllen fallen lässt, aber es hilft alles nichts mehr und Niccolo landet in der Klapse, wo er sie von einem Patienten am Busen betatschen lässt. Das ist der wenig optimistische Schlusspunkt unter einen Film, der vordergründig bizarren Humor mit Erotik kreuzt, um sich über Niccolo und sein Verlierer-Image sowie seinen befremdlichen Fetisch, den er mit der Zeit entwickelt, lustig zu machen sowie die bildhübsche Laura Antonelli stilvoll erotisch in Szene zu setzen. Unter der Oberfläche geht es jedoch um mehr; zunächst einmal um jemanden, der seine Frau neu entdeckt, was eigentlich eine erfreuliche Angelegenheit ist. In seinem angeknacksten Selbstbewusstsein definiert er sich jedoch ausschließlich über die Anerkennung Dritter, ohne zu hinterfragen, wie wichtig deren Meinung über ihn eigentlich überhaupt ist. So kommt es, dass er seine Frau als Mittel zum Zweck einsetzt und dem Voyeurismus Dritter feilbietet, statt aus seinem tiefsten Inneren heraus zufrieden zu sein. Dauerhafte Befriedigung ist so nicht zu erlangen, folgerichtig steigert er sich immer weiter hinein, bis es kein Entrinnen mehr aus der psychotischen und neurotischen Spirale gibt und er seine Unfähigkeit, mit sich selbst zufrieden zu sein, mit seinem Verstand bezahlt. Insofern steckt hinter der komödiantischen und erotischen Oberfläche ein Plädoyer für Individualität und gegen den ständigen Wettbewerb mit anderen, der bis ins intimste Privatleben hineinreicht. Wer sich über die Meinung anderer definiert, wird nie glücklich werden und ist dazu verdammt, beständig um Anerkennung zu buhlen, statt sich selbst anzuerkennen und in der Lage zu sein, das was man hat, zu genießen.
Lando Buzzanca steht diese etwas anspruchsvollere komödiantische Rolle gut zu Gesicht, Laura Antonelli gibt sich zunächst eher zugeknöpft, spielt dann jedoch die naive, Beschützerinstinkte weckende Frau, die sich ihres Sex-Appeals gar nicht bewusst ist, sehr niedlich und überzeugend. Riz Ortolanis musikalische Untermalung ist von gewohnt guter Qualität und passt zum Orchester-Milieu, das als ein skurriler Haufen leicht neben sich stehender Herren gezeichnet wird. Ob der Film bewirkt hat, dass ich beim Anblick eines Cellos zukünftig an die nackte Antonelli werde denken müssen, wird sich zeigen, in jedem Falle hat „Das nackte Cello“ mich zum Schmunzeln gebracht und einen interessanten Umgang mit psychischen Abgründen an den Tag gelegt, versüßt durch entzückende Ansichten Laura Antonellis, so dass man sich gern von Niccolo in die Rolle des Voyeurs drängen lässt.