Als "Il merlo maschio" (Das nackte Cello) Anfang der 70er Jahre entstand, liefen erotische Filme schon einige Jahre in den italienischen Kinos, aber die gesellschaftlichen Veränderungen hatten mit der medialen Verbreitung nicht Schritt gehalten - im italienischen Alltag ging es noch sehr konservativ zu. Auch Regisseur und Drehbuchautor Pasquale Festa Campanile hatte seit "Matriarca" (Huckepack, 1968) schon einige Erfahrungen mit der erotischen Variante der "Commedia all'italiana" gesammelt, die er in "Il merlo maschio" in der Konfrontation von Tradition und Sexualität ironisch auf die Spitze trieb.
Laura Antonelli - seit "Le melizie di venere" (Venus im Pelz, 1969) das Objekt der Begierde im italienischen Erotik-Film - besetzte er als hochgeschlossene brave Hausfrau, deren körperliche Vorzüge erst nach einigen Jahren von ihrem Ehemann entdeckt werden. Um gesellschaftliche Anerkennung zu erlangen, beginnt er, sie nackt den voyeuristischen Blicken Fremder auszusetzen, womit Campanile die Betrachter des Films gleich mit einbezog und deren Erwartungshaltung an einen erotischen Film - zumal mit Laura Antonelli in der weiblichen Hauptrolle - erfüllte. Dass das Streben des Ehemanns, immer wildere erotische Fantasien zu befriedigen, ihn direkt in den Wahnsinn treiben sollte, durfte durchaus im übertragenen Sinne verstanden werden.
Doch zurück zu "Il merlo maschio", womit die Figur des Ehemanns in schöner Doppeldeutigkeit benannt wird. Niccolo Vivaldi (Lando Buzzanca) hatte früher an Vogelstimmen-Wettbewerben erfolglos teil genommen, dabei aber als Amsel ("maschio") das Herz der hübschen, aber etwas naiven Costanza (Laura Antonelli) gewonnen, die ihn bald darauf heiratete. Das der Chauffeur ihres Hochzeits-Autos ohne den frisch gebackenen Ehemann abfuhr, war allerdings signifikant für das Leben des Cellisten, dessen Namen sein Dirigent auch nach zehn Jahren Orchesterzugehörigkeit noch nicht kannte. Überall wird er übersehen oder gar nicht erst wahrgenommen, was Niccolo Vivaldi zunehmend in Depressionen verfallen lässt. Nur seine Frau hat Gefühle für ihn, die er aber nicht ernst nimmt, bis er sie zu einer Kur begleitet, wo er zum ersten Mal bewusst ihre körperlichen Vorzüge wahrnimmt. Als er hört, wie andere Männer bewundernd über ihren Po und ihre Brüste sprechen, stört es ihn nicht, dass sie ihn als hässlich bezeichnen, denn erstmals spürt er so etwas wie Anerkennung. Diese Erfahrung lässt in ihm einen Plan reifen, der der zweiten Bedeutung von "Il merlo maschio" alle Ehre macht - "der männliche Einfaltspinsel".
Lando Buzzanco, der in seinen früheren Filmen meist als witziger Side-Kick besetzt wurde, glänzt hier als Verkörperung eines sympathischen Typen, der als Musiker des Orchesters von Verona und geliebter Ehemann einer hübschen Frau glücklich sein müsste, der stattdessen aber nur um die Anerkennung von unsympathischen Männern ringt - sein arroganter herrschsüchtiger Dirigent, sein heimtückischer Sitznachbar im Orchester und die Vielzahl an Männern, die nur an den körperlichen Vorzüge von Frauen interessiert sind. Genau damit will er punkten, nachdem ihm aufgefallen war, dass seine Frau höchste Bewunderung für ihren runden Po und ihre wohlgeformten Brüste erhielt.
Um Nacktfotos mit der Polaroid-Kamera zu machen, flösst er ihr Schlaftabletten ein und drapiert sie in Posen, wie er sie aus den Sex-Heften vom Kiosk kennt. Als sie am nächsten Tag die Fotos entdeckt, verlässt sie ihn erbost, kehrt aber wieder zu ihm zurück, nachdem selbst ihre Eltern es ganz natürlich fanden, dass ihr Mann sie nackt fotografieren wollte. Diese ahnten zwar nicht, was Niccolo damit bezweckte, aber nachdem er es Costanza gebeichtet hatte, beginnt sie ihn aus Liebe zu unterstützen und macht seine Spielchen mit, die sich ständig steigern müssen, damit ihr Mann nicht in erneute Depressionen verfällt.
Pasquale Festa Campanile treibt hier ein irrwitziges Spiel um den Voyeurismus, den er einerseits mit wunderschönen erotischen Aufnahmen von Laura Antonelli befriedigt, gleichzeitig aber auch den Wahnsinn hinter einer sich ständig steigernden Sex-Spirale nicht verschweigt. Obwohl die Missachtung durch seine ignoranten Zeitgenossen und sein verzweifelter Kampf um Anerkennung durchaus Mitgefühl für den männlichen Protagonisten erzeugen kann, lässt Campanile den Betrachter zum Profiteur seiner Situation werden, genauso wie die Männer, denen Niccolo seine nackte Frau vorführt. Bis zum Schluss, wenn er einen anderen Insassen der Heilanstalt die Qualität der Brüste seiner Frau prüfen lässt, was ihm so viel Hochgefühl bereitet, das er zwitschernd wie eine Amsel auf einen Baum steigt – das ist doch ein versöhnliches Ende für einen Mann, der über die gesamte Filmdauer gut zu unterhalten vermochte, oder? (8/10).