„Die Säuberung gibt uns viel Gutes!“
Dem US-Amerikaner James DeMonaco, der bisher als TV-Produzent sowie als Autor und Koproduzent des „Das Ende – Assault on Precinct 13“-Remakes in Erscheinung getreten war und im Jahre 2009 als Regisseur mit „Staten Island New York“ debütierte, gelang bereits mit seiner zweiten Regiearbeit ein vieldiskutierter Kinofilm: der Action-Thriller-Dystopie „The Purge – Die Säuberung“, der bis heute zwei Fortsetzungen, ein Prequel und eine TV-Serie folgten.
Die USA im Jahre 2022: Vor einigen Jahren wurde von den „neuen Gründungsvätern“ der Purge Day ins Leben gerufen, an dem einmal jährlich zwölf Stunden lang das Gesetz außer Kraft tritt und alles legal ist, was sonst als Straftat gilt – bis hin zu Mord und Totschlag. Der Grund: Es stellte sich als überaus heilsam für die Gesellschaft heraus, dass ihre Mitglieder diesen besonderen Feiertag als Ventil nutzen können, all ihren Hass und ihre negative Energie herauszulassen – was zudem dazu führt, dass die Arbeitslosigkeit und Kriminalitätsrate massiv gesunken sind, denn hauptsächlich müssen an den Purge Days arme Schlucker, Obdachlose und ähnliche „gesellschaftsschädigende Elemente“ dran glauben. Nicht nur die Seele, auch die Straße und die Gesellschaft werden „gereinigt“. Wohlsituierte verschanzen sich während dieser zwölf Stunden gern hinter den Hochsicherheitsanlagen ihrer Vorstadtvillen. So auch James Sandin (Ethan Hawke, „Voll das Leben - Reality Bites“) mit seiner Frau Mary (Lena Headey, „Besessen“) und seinen beiden Kindern (Adelaide Kane, „Goats“ und Max Burkholder, „Parenthood“), der als Verkäufer eben solcher Sicherheitstechnik finanziell gut gepolstert dasteht. Als sein Sohn jedoch Mitleid für einen zum Abschuss freigegebenen und gejagten Obdachlosen (Edwin Hodge, „Red Dawn“) empfindet und ihn kurzerhand hereinlässt, sich zudem der ältere Freund (Tony Oller, „Unanswered Prayers“) der 14-jährigen Tochter ins Haus geschlichen hat, um sich mit ihrem Vater „auszusprechen“, nimmt das Chaos seinen Lauf. Es dauert nicht lange und eine Gruppe Maskierter nötigt die Familie, den Obdachlosen auszuliefern – anderenfalls werde man ihr Haus stürmen und die ganze Familie auslöschen…
Was zunächst vielleicht wie eine filmische Version des „Gewalterlebnisparks“ klingt, den die APPD im Zuge der Balkanisierung Deutschlands errichten wollte, entpuppt sich als überaus ernstgemeinte Verfilmung einer zutiefst zynischen Ideologie innerhalb einer nahen Dystopie in Form eines Home-Invasion-Action-Thrillers. Einführend bekommt man Szenen im Amateur- bzw. Überwachungskamera-Look zu sehen, die wüste Schlägereien und ähnliche Eskalationen zeigen und wie Archivmaterial aussehen. Es soll sich um Aufnahmen vorausgegangener Purge Days handeln, zu denen Prinzip und Hintergründe dieser Institution erläutert werden. Die Sandins werden als Bilderbuchfamilie der gehobenen Mittelschicht eingeführt, der Neid gewisser Nachbarn wird jedoch bereits angedeutet.
Eigentlich wird auch schnell deutlich, dass es sich um eine Überzeichnung handelt, eine Übertreibung zwecks Veranschaulichung, gewissermaßen eine entstellende Karikatur spätkapitalistischer gesellschaftlicher Entwicklung – die sicherlich nicht auf ihre völlige Plausibilität hin analysiert werden will und sollte. Ein wenig zu abstrahieren ist das Publikum angehalten, geht es um die Frage, wie zur Hölle nach einem Purge Day wieder Normalität hergestellt werden können soll. Offenbar hat dessen Einführung dazu geführt, dass die Menschen mental umzuschalten gelernt haben; Purge-Modus on/off. Die Chance, dass die Karten zu den eigenen Gunsten neu gemischt werden, wird anscheinend höhergeschätzt als das eigene Bedürfnis nach Unversehrtheit. Dies erinnert u.a. an die von breiten Teilen der US-amerikanischen Bevölkerung abgelehnte Einführung sozialer Sicherheitsmaßnahmen oder die Verweigerung gegenüber rechtlicher Zügelung von Gier, obszönem Reichtum und wenig verantwortungsvollem Umgang mit persönlichem Eigentum.
So weit, so interessant und vielversprechend, und so wenig Anlass von meiner Warte, den Film bereits für sein Sujet abzustrafen. Der Beginn des Purge Days geht dann auch mit beklemmender Atmosphäre und unheilschwangerer Stimmung einher. Was jedoch James DeMonaco, der auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, geritten hat, sogar diese der Handlung eigene, bereits recht großzügig gestaltete Logikgrundlage zu unterminieren, erschließt sich mir nicht: Wie kann der Freund der Tochter allen Ernstes glauben, mit ihr eine glückliche Beziehung führen zu können, wenn er mir nichts, dir nichts ihren Vater erschießt – besondere Purge-Day-Regeln hin oder her? Zumal dieser erste „Zwischenfall“ für die Sandins kaum in Zusammenhang mit den folgenden, weitaus bedeutsameren Ereignissen steht und somit eigentlich auch problemlos weggelassen hätte werden können.
Was folgt, gehorcht beinahe etwas enttäuschend den üblichen Home-Invasion-Spielregeln, spielt sich also ausschließlich im Haus der Sandins bzw. auf deren Grundstück ab und geht mit hartem Überlebenskampf, Schießereien, Verletzungen und Toten einher. Das ist grundsätzlich nicht schlecht gemacht, wird aber spätestens dann albern, wenn zum wiederholten Male die Rettung in letzter Sekunde geschieht und jemand, der gerade in Begriff ist, jemanden zu töten, selbst erschossen wird. Auch die finale Entwicklung, sozusagen der Clou des Films, war so oder zumindest so ähnlich zu erwarten und kommt daher nicht wirklich überraschend. Immerhin werden durch ihn noch einmal indirekt die Fragen nach dem zukünftigen Zusammenleben gestellt und danach, was derartige Konfrontationen eigentlich mit den Menschen machen. Dass es keinesfalls an den Haaren herbeigezogen wäre, die ganze Nummer auch als Werbespot für die NRA zu interpretieren, ist ein unschöner Nebeneffekt.
Schauspielerisch ist alles gediegene Standardkost und nicht besonders memorabel (eigentlich ziemlich daneben: eine 21-Jährige spielt eine 14-Jährige), dramaturgisch wie beschrieben fragwürdig durchchoreographiert, visuell gerade auch durch die deutlich sichtbare Dekonstruktion falsche Sicherheit suggerierender Technik und das Einreißen vermeintlich schützender Villenmauern aber recht ordentlich geraten. Im Jahre 2013 konnte man als Westeuropäer(in) all das vielleicht noch als heillos übertriebenen Ami-Action-Schmarrn abtun, vermutlich hätte ich auch das getan und vielleicht wäre mir der plakative Zynismus dieser Dystopie mit ihren Holzhammerparabeln sogar auf die Nerven gegangen. In meine unterm Strich positive Bewertung fließen jedoch die Erfahrungen der Jahre 2014 bis 2020 ein, von Umgang mit Flüchtlingen, Kriminalisierung von Seenotrettung und nicht zuletzt Verharmlosung oder gar Leugnung der Covid-19-Pandemie, sodass ich mittlerweile weiß, wozu nicht unerhebliche Teile der Bevölkerung gerade auch moderner westlicher Gesellschaften imstande sind, welche sozialen Verwerfungen und welches menschliche Elend bis hin zum Tod Schwacher, Verfolgter und Gebeutelter man hinzunehmen bereit ist, wenn es denn nur zum eigenen Vorteil gereicht. Auf bedauerliche Weise erscheint ein Film wie „The Purge – Die Säuberung“ tatsächlich als ein gar nicht mal mehr so abwegiges Schreckensszenario, wenngleich er dieses exemplarisch lediglich an einer einzelnen Familie durchexerziert.