kurz angerissen*
Drehst du die Mutter von der Schraube, dann musst du damit rechnen, dass sich die Schraube löst. Als Konsequenz kann dir da auch schon mal die Abdeckung wegfliegen... oder in Extremfällen gleich das komplette Kirchendach.
„Orphans“ geniert sich nicht. Weder vor vulgärer Sprache (die „Cunts“ und „Fucks“ zu zählen, wäre wohl ein heiteres Trinkspiel wert), noch vor tiefschwarzem Humor oder Zynismus, erst recht nicht vor Peinlichkeiten, ja nicht einmal vor dem Einsatz absurder Übersteigerungen zwecks klimaktischer Steigerung, bis die Ereignisse mit einem bodenständigen Drama nicht mehr viel zu tun haben.
Geschrieben von Regisseur Peter Mullan im Gefühlschaos nach dem Tod seiner eigenen Mutter, verkörpern die vier Geschwister im Mittelpunkt der Handlung nicht etwa einen Teil seiner sieben eigenen Geschwister im wahren Leben, sondern eigener Aussage nach vielmehr Teile seiner eigenen Persönlichkeit. Ein Stück weit legitimiert das den streckenweise karikaturistischen Ton des Films und entbindet von der Pflicht des bodenständigen Erzählens. So können die Figuren immer einen Schritt weiter gehen als Figuren eines klassischen Alltagsdramas, um wildeste Pointen zu streuen und mit ihnen dennoch eine Geschichte voller Herz zu erzählen, die viel mit Unabhängigkeit und Selbstfindung zu tun hat.
Während Rosemarie Stevenson als behinderte Tochter eher im Hintergrund bleibt und dort vielleicht auch ein wenig den Prozess des emotionalen Verdrängens symbolisiert, wird der in drei sich kreuzenden Erzählsträngen voranschreitende Plot von der männlichen Energie der Hauptdarsteller Stephen McCole, Douglas Henshall und Gary Lewis bestimmt, wobei die nüchterne Korrektheit des Letzteren ein Gegengewicht zur heißblütigen Natur der anderen Beiden erzeugt. Das Ergebnis ist ungehemmte Selbsttherapie, die nicht nur innerhalb der familiären Grenzen ausgelebt wird, sondern vor der gesamten Gemeinde – beim Karaoke im Pub, auf dem örtlichen Funfair oder auf einem Streifen Wiese zwischen den stark befahrenen Spuren der Schnellstraße.
Auf 100 Minuten gestreckt sorgt dieses Bad in Selbstmitleid nicht nur für schrumplige Finger, sondern sägt auch an den Nerven des Zuschauers, die sich bald in die Position eines beliebigen Bürgers des Ortes versetzen können und der Familie Flynn, wo immer sich die Gelegenheit ergäbe, aus dem Weg gehen würden. Unser Mitgefühl ist den Flynns am Ende aber trotzdem sicher – nicht zuletzt aufgrund der sympathischen Schluffigkeit dieses authentisch schottischen Bürgerspiels.