Review

„Der Graf is’n Vampir – es wär’ besser, Sie vergessen die Hochzeit und überlegen, wie wir ihn umbringen.“

Direkt nach Abschluss der Dreharbeiten zu „Andy Warhol’s Frankenstein“ und mit teilweise gar den gleichen Darstellern von Regisseur Paul Morrissey gedreht, ist diese französisch-italienische Koproduktion doch ganz anders als jener Splatter-Trasher geworden – um nicht zu sagen: zwei Klassen besser! Diese eigenwillige Dracula-Variation steht mit seinen häufig alles andere als unselbstzweckhaft in Szene gesetzten nackten Mädels einerseits voll und ganz in der Tradition des 1970er-Exploitation-Kinos, andererseits ist der Erotikanteil aber nur eine Zutat zu einer dramatischen Allegorie auf das zweite Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, die sich Bram Stokers Dracula-Figur als symbolisierter, die Arbeiterklasse aussaugender, parasitärer Aristokratie bedient, die schwächelt und in immer mehr Ländern zum Teufel gejagt wird. Diese Revolutionsthematik ziehst sich durch zahlreiche Dialoge, in denen Joe Dallesandro in seiner Rolle als gesunder, kraftstrotzender, potenter Proletarier die Antithese zum keinesfalls erhabenen, sondern bemitleidenswerten Grafen Dracula darstellt, der von einem absichtlich für diesen Film abgemagerten Udo Kier wie ein Junkie auf Entzug schlichtweg perfekt gemimt wird. Der Graf benötigt nämlich dringend jungfräuliches Blut und hofft, nachdem er in seiner transsilvanischen Heimat keines mehr findet (ein weiteres Symbol für die gesellschaftlichen Veränderungen durch eine selbstbewusst agierende Unterschicht, die nicht mehr in Angststarre vor den Mächtigen verharrt), im katholischen Italien fündig zu werden. Besonders eindrucksvoll sind dabei die Szenen, in denen er sich übergeben muss, wenn er vom falschen Hals genascht hat... Doch derartige Szenen wurden hier sorgfältig eingestreut, kaum noch eine Spur vom übertriebenen Trash des Vorgängers „Frankenstein“. Die recht große Nebenrolle des Dieners Draculas wurde mit Arno Juerging besetzt, der die Affektiertheit seiner Rolle mittels Overacting unterstreicht und während eines amüsanten Wirtshaus-Intermezzos einem Cameo-Auftritt von Roman Polanski beiwohnen darf. Die untypische Charakterisierung Draculas ist meines Erachtens eine der größten Stärken des Drehbuchs, denn dadurch wird es dem Zuschauer erlaubt, bizarrerweise tatsächlich mit dieser traurigen, tragischen Gestalt mitzufiebern und ihn zu bedauern, wenn er – Achtung, Spoiler! – gegen Ende dann doch wie bereits aus „Andy Warhol’s Frankenstein“ bekannt, grafisch übertrieben explizit auf brutalste Weise zerstückelt wird. Der atmosphärische Soundtrack unterstreicht die düstere, aber ganz spezielle Stimmung des Films gekonnt, während sich vermutlich Kiers Blick, seine Mimik und seine Körpersprache, die all das Elend seiner Figur unmissverständlich verdeutlichen, am stärksten ins Gedächtnis einbrennen.

Fazit: Eigenständiges, europäisches Kino, das einmal mehr beweist, dass auch mit einem kleinen Budget ein interessanter, nicht unintelligenter, wertvoller Film erschaffen werden kann. Ich bitte aber darum, darauf zu achten, sich keine der ebenfalls brutal verstümmelten Fassungen anzusehen (Vorsicht, auch 18er-Fassungen sind inkomplett!) und so etwas nicht zu unterstützen. Dieser Film sollte, wie jeder andere auch, in seiner Vollständigkeit genossen werden.

Details
Ähnliche Filme