"Magnolia" ist eine Mischung aus Gefühlskino und Intelligenzkino. Der Handlungsablauf tritt in den Hintergrund, viel wichtiger ist die im Vordergrund stehende emotionale Verknüpfung der Charaktere, sowohl untereinander wie auch in der eigenen Person. Jeder hat seine Probleme, jeder hat "sein Kreuz zu tragen" - alle hängen irgendwie miteinander zusammen und müssen doch ganz für sich alleine klar kommen.
Der Film beschreibt einen kleinen Ausschnitt eines Tages und der Tagesablauf einzelner Personen. Jeder einzelne Charakter könnte einer "von uns" sein. Es sind keine Helden, keine Stars, sondern ganz normale Menschen wie Du und Ich. Der eine hat Glück, der andere Pech, den einen Plagen Sorgen und Nöte, der andere ist todkrank. Der eine ist erfolgreich, der andere ein Looser, Kinder, Erwachsene, Familie, Polizist - alle sind mit von der Partie. "Magnolia" ist ein Ausschnitt aus dem ganz normalen Leben und beleuchtet ähnlich wie ein Spinnennetz Zusammenhänge, die sich erst mit der Zeit erschließen.
Da haben wir den erfolgreichen Sexgott und Lebenshilfe-Prediger Frank Mackey, der nach außen hin zwar die Frauen niedermacht um männliche Stärke zu demonstrieren, tatsächlich aber eher an seiner Mutter hängt als an seinem Vater - obwohl er dies der Plausibilität halber öffentlich gerne genau andersherum darstellt. Sein Vater ist Earl Partridge, ein alter Mann, der im Sterben liegt. Er produziert eine bekannte und beliebte Kinderquiz-Sendung im Fernsehen. Dessen Moderator ist Jimmy Gator, ein herzkranker Mann, ebenfalls wie sein Produzent kurz vor dem Sterben. Mit seiner Tochter Claudia hat er sich völlig verstritten, sie wurde drogenabhängig und hangelt sich von einer Affäre zur nächsten, tief unglücklich. In Claudia wiederum ist der gläubige und aufrichtig ehrliche Polizist Jim verliebt, doch Claudia traut sich nicht ihm ihren kaputten Lebenswandel zu schildern, obwohl sie seiner Hilfe dringend bedarf um aus dem Teufelskreis herauszubrechen. Dann haben wir noch zwei Quizkinder aus Jimmys Sendung: Stanley, er wehrt sich gegen den harten Vater der durch Stanleys Intelligenz Geld scheffeln möchte; und Donnie Smith, ein ehemaliges Quizkind, das heute längst erwachsen ist und am Leben völlig scheitert. Nicht zu vergessen ist noch Phil, Earl Partridges Krankenpfleger und Earls Frau Linda, die erst jetzt am Sterbebett ihres Mannes ihre tiefe Liebe zu ihm erkennt und wahrhaben will.
Alle Schauspieler nehmen ihre Rollen ernst, spielen engagiert und ausdrucksstark ihre Charaktere. Julianne Moore als Linda und Tom Cruise als Frank sind sicherlich als Top-Stars erwartungsgemäß gut, aber gerade unbekanntere Schauspieler in ebenso großen Rollen mimen ihre Personen genauso überzeugend. Da hätten wir in aller erster Linie Philip Seymour Hoffman, der sich gänzlich anders präsentieren darf als sonst und damit seine Wandlungsfähigkeit beweisen kann. John C. Reilly als Polizist Jim macht seine Sache ebenso sehr gut wie William H. Macy als Donnie. Schade, daß Jason Robards seine Qualitäten als dahinsiechender Earl nicht ausspielen kann. Eine Nebenrolle ist allerdings noch erwähnenswert: Das enfant terrible des amerikanischen Schurkenfilms Henry Gibson spielt eine völlig überraschende Rolle als Gast in einer Schwulenbar, man muß wirklich zweimal hinsehen bis man es glauben mag.
Am Schluß darf es dann noch jede Menge Frösche hageln und die Erzählstimme aus dem Off stellt die Frage: ist denn alles was wir sehen wirklich real, ist unser Leben tatsächlich so wie wir es wahrnehmen - und können unsere Vorstellungen vom Leben tatsächlich umgesetzt werden? "Ein anderer würde es nicht glauben" - jener Kommentar zum Froschregen läßt sich tatsächlich auch auf die Lebensläufe der Protagonisten anwenden. Regisseur Paul Thomas Anderson versucht bewußt mit diesem filmischen Trick uns "Magnolia" einerseits zu entfremden, andererseits nahe zu bringen und uns zu ermahnen: Du könntest einer der im Film gezeigten Personen sein.
"Magnolia" ist ein Drei-Stunden-Epos daß schwer im Magen liegt und trotz guter Ansätze unsere Gefühlswelt nur ansatzweise erreicht. Einige Längen täuschen über gelungene Dialoge und Szenen nicht hinweg und schlußendlich muß sich Anderson die Frage gefallen lassen: wo bleibt die Aussage? Was will uns der Autor eigentlich damit sagen? Dies bleibt uns verschlossen, was allerdings auch nicht unbedingt notwendig ist, bei einem Film dieses Genres aber wünschenswert erscheint. Trotzdem ein Film, der zum Nachdenken und Diskutieren anregt und lange im Gedächtnis bleibt.
(5/10)