Review

Wie war ich doch gespannt auf diesen Film! Nun, endlich hat sich auch diese Lücke geschlossen und ich habe meinen letzten Argento gesehen. Und ich bin zu dem Schluss gekommen, das Argento in seiner Schaffensphase nach „Opera“ bis heute tatsächlich noch ein wirklich bemerkenswertes Meisterwerk geschaffen hat, das all seine anderen Filme dieser Periode, auch „Non ho sonno“ in die Tasche steckt. Sträflich unterbewertet und von vielen tumben Horror- und Splatterfans gescholten, setzt der Maestro mit „La Sindrome di Stendhal“ einen triumphalen Schlussstrich unter sein Schaffen, Schlussstrich deshalb weil alles was danach folgte im Grunde ohne Belang ist (und leider vermutlich auch ohne Belang bleiben wird).

So hat man Argento noch nicht gesehen: Dieser Film ist- das kann man meiner Meinung nach mit Fug und Recht behaupten- sein härtester, verstörendster und gleichzeitig reifester, intelligentester und sensibelster. „La Sindrome di Stendhal“ weckt starke Emotionen und das nicht zu knapp. Er verfügt über eine für Argento unglaubliche psychologische Tiefe und Menschlichkeit, ist aber im selben Atemzug so zynisch und eiskalt wie kein anderer Film des Regisseurs.

Wie kommt’s? Seit er in „Trauma“ erstmals seine Tochter Asia in der Hauptrolle besetzt hatte scheint sich Argentos Verhältnis zu Frauen und zu seinen Filmcharakteren generell verändert zu haben. Plötzlich mischt sich unter die phantastische Bildgewalt und Komposition eine emotionale, verletzliche und auch unangenehme, schwer erträgliche Note. In diesem Sinne könnte man „La Sindrome di Stendhal“ eigentlich als Argentos besten Film bezeichnen. Einen, der die gestalterische Genialität die zu seinem Markenzeichen avanciert ist mit subtiler Charakterentwicklung und freudianischen Anklängen verbindet. Denn erstmals gelingt es einem in einem Dario Argento-Film, mit der Protagonistin zu leiden, zu bangen, zu hassen und zu verzweifeln. „La sindrome di Stendhal“ ist schonungslos und schmerzhaft, er entwickelt Terrorszenarien die Argento in neue Dimensionen seines eigenen Horrors vorstoßen lassen und eine Verzweiflung beim Zuschauer, die man Argento nicht zugetraut hätte. Die Vergewaltigung von Asia Argento ist eine Qual für den Zuschauer, und wenn sie hier auch nicht in der gleichen, quälenden Länge gezeigt wird wie in einem „Irreversiblé“, so tut sie doch weh, genauso wie die wenigen und auch meist nicht allzu graphischen Gewaltakte des Filmes.

Fans von Argentos Gialli und seiner mystischen Horrorfilme werden sich vermutlich enttäuscht oder verärgert abwenden wie es auch ein Bekannter von mir tat, der den Film tatsächlich als „knüppelschlecht“ bezeichnete (!!!). Doch wer sich für einen ganz neuen Argento öffnet und den Vergleich mit seinen früheren Werken unterlässt, wird Zeuge der geballten Meisterschaft des italienischen Ausnahme-Regisseurs. „La Sindrome di Stendhal“ ist sein vielleicht intimster Film. Aus vielen Interviews weiß man, welche Motive Argento besonders gerne behandelt, welche ihn auch aus seiner eigenen Vergangenheit immer wieder einholen und kennt seine persönliche Ethik und seine Überzeugungen. Und dieser Film verarbeitet sie so gut wie alle und auch wenn manche schon früher auftauchten, so intensiv und aufschlussreich wie hier hat er sich ihrer noch nie angenommen. Das Motiv der Familie, der das von ihr verletzte Kind entflieht, Argentos Affinität zu Kunst und Architektur, seine Faszination für Traumata und deren Auswirkungen, sein ewiges Spiel mit Geschlechterrollen, all das wird hier auf die Spitze getrieben und lässt tatsächlich nicht nur einen Einblick in die Psyche der Protagonistin, sondern auch in die des Regisseurs zu.

Kontrovers innerhalb des Argento’schen Gesamtwerkes ist der Film aus oben genannten Gründen definitiv doch noch ein weiteres Novum ist auszumachen, das sicherlich auch bewirkt haben dürfte, das so viele Genre-Fans verstimmt auf das Werk reagierten. Tatsächlich rückt der Regisseur hier die Aufmerksamkeit weg von stilisierten Todesakten auf die psychologische Entwicklung seiner faszinierenden (und für ihn ebenfalls außergewöhnlichen) Geschichte und die Morde selbst- die somit eben nicht mehr unbedingt die eigentlichen Höhepunkte des Filmes darstellen wie dies sonst bei Argento der Fall ist- sind- bis auf eine Ausnahme geradezu dreckig und realistisch dargestellt (hier sei der Tod von Alberto genannt) werden. Ich sage auch aus diesem Grund Bravo denn selbst in dieser Hinsicht ist Argento über seinen eigenen Schatten gesprungen, der bisher leider nicht nur auf diejenigen fiel, die seine Filme berechtigterweise als Kunstwerke begriffen sondern leider auch auf das meist ordinäre Splatter-Horror-Publikum. Erstaunlich- die kurze Liebesbeziehung zwischen Anna und Marie entwickelt schließlich auch noch romantische Züge die von Marie’s Tod jäh und in der Tat schmerzhaft abbrechen. Ich habe nicht zwar geweint, aber viel hätte vielleicht nicht mehr gefehlt.

Was man nicht missen muss ist die Liebe des Regisseurs zu auffallend artifizieller Bildgestaltung und insbesondere Kameraführung so dass man auch hier seinen visuellen Einfallsreichtum bewundern kann. Er setzt diesen allerdings sparsam ein und verkneift ihn sich in Szenen, denen einen realistische und einfache Optik besser steht als eine surreale Ästhetik. Besondere Wunderwerke sind die brillanten Sequenzen, in denen Asia Argento in die Gemälde eintaucht und die Argentos Bewunderung für Malerei mehr denn je zuvor auf den Punkt bringt (Rembrandt’s „Nachtwache“ scheint fast wie ein kleiner Seitenhieb auf die eigenen inszenatorischen Vorlieben). Passenderweise gesellt sich ein meisterlicher Soundtrack von Ennio Morricone dazu, der mit seiner ganz eigenen Variation einer altgriechischen, leicht sakral angehauchten Musikrichtung einen unheilvoll-geheimnisvollen Klang liefert und den Hitchcockesken Anstrich einiger Szenen perfekt untermalt und definitiv zum Film passt wie angegossen.

Allerdings wäre eine andere Hauptdarstellerin der Tiefe des Filmes vielleicht zuträglicher gewesen denn auch wenn Asia Argento passabel spielt- die Absicht des Drehbuches scheint sie durch häufiges Overacting zu verfehlen. Schön aussehen reicht eben nicht ganz aus. Thomas Kretschmann ist hingegen ein formvollendetes Enfant terriblé und man zutiefst abgestoßen von seinem Alberto Grossi, der mit seiner muskelbepackten, aalglatten und sadistischen Präsenz in seinen Auftritten die Leinwand beherrscht. Die übrigen Darsteller sind eher unauffällig, erwähnt sei aber noch Paolo Bonacelli als Psychiater, den sicher einige als perversen Snob aus Pasolini’s Meisterwerk „Die 120 Tage von Sodom“ kennen werden.

So, das war meine ehrliche Meinung zu „La Sindrome di Stendhal“. Es erscheint unfassbar, das Dario Argento nach diesem innerhalb seines Gesamtwerkes einzigartigen Meisterwerk offenbar sein gesamtes Können über Bord warf und mit „Das Phantom der Oper“ in die Talsohle seines Schaffens schlitterte. Verglichen mit diesem Film erscheinen seine übrigen Werke bis zum heutigen Tag doppelt so schwach und uninteressant. Hier war ein erwachsener, nachdenklicher und ehrgeiziger Argento am Werk wie wir ihn heute nicht mehr kennen und der hier noch einmal all seine Stärken in einem spannenden, tragisch-emotionalen, wuchtigen und verstörend subtilen Psychodrama vereint hat.

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