Ideen für moderne Horrorfilme gibt es zwar immer noch reichlich auf dem Markt, das hält aber niemanden in Hollywood davon ab, seinen Cash-In-Versuch nicht doch lieber mit dem Remake eines bekannten – und erfolgreichen – älteren Klassikers zu unternehmen.
Neuestes Beispiel, abseits von so klangvoll gescheiterten Namen wie Bay und Nispel, ist Sam Raimis „Evil Dead“, der eine Neuauflage in Form des „erschreckensten Films, den das Publikum je gesehen haben wird“ erhalten hat.
Jetzt könnte eine längere Abhandlung über den Mangel an horribler Kreativität bei modernen und jüngeren Zuschauern folgen, man spart aber Zeit, wenn man konstatiert, daß heute offenbar die Devise gilt, dass „viel“ zwangsläufig auch „viel hilft“ und „mehr“ immer besser ist. Also wird der ironische Abstand eines „Cabin in the Woods“ prompt gern wieder eingelagert und lieber die simple Fast-Food-Mentalität des sensationswilligen Publikums unterfüttert.
Dabei funktionieren die Filme ja nicht mehr so sehr nach gängigen Genremustern oder klassischen Motiven zur Atmosphäre- und Angsterzeugung, sondern nach dem Komödienprinzip, bei dem man eine Menge Ideen einfach gegen die Wand klatscht und hofft, daß genügend kleben bleibt.
Was so viel heißt wie: wir dürfen notfalls alles falsch machen, weil inzwischen – nach Jahren der Heraufsetzung aller Härtegrade durch Torture Porn und Epigonen - sowieso keiner mehr drauf achtet. Die größte Angst des modernen Menschen ist nicht mehr der Boogeyman, sondern der Typ, der dir an der Ecke dein Smartphone zieht…
Darum darf Fede Alvarez, der mit einem Internetkurzfilm zu Ehren kam, aber sonst noch nichts Abendfüllendes zustande gebracht hat, auch so ziemlich nach Gutsherrenart schalten und walten, was Drehbuch und Regie angeht.
Daß das nicht immer ohne Pannen abgeht, beweist „Evil Dead“ dann auch nachdrücklich, denn wenn man schon eine Story für eine neue Generation neuerfinden will, sollte man das Original und seine Stärken wenigstens verstanden haben. Daß Raimis Amateurschnellschuß, der Jahre der Produktion brauchte, 1981 bewies, wie sehr eine unheimliche Atmosphäre und die Unsichtbarkeit des Grauens die Zuschauer in den Bann ziehen konnte, wird etwa prompt übersehen. Stattdessen startet Alvarez mit einem für den Restfilm überflüssigen Prolog samt Dämonenaustreibung auf billigsten Exorzismus-Level (inclusive ganz böser Schimpfwörter), der jedem Zuschauer unmißverständlich sofort klar macht, was er von den folgenden 85 Minuten zu erwarten hat: dämonische Besessenheit, brutale Gewalt, ein böses Buch und gleich mal ne große Portion Matsch und Rotz.
Damit sind die Fronten geklärt, niemand muß sich im Unklaren darüber fühlen, was ihn erwartet, als die gloriosen fünf Delinquenten an der abgewichsten und abgelegenen Waldhütte (die übrigens in Rekordzeit ungewöhnlich komfortabel gestaltet wird) ankommen.
Alvarez bemüht sich in der Folge immerhin um ein wenig Plot, indem er den Aufenthalt nicht als Sauf- und Poppgelage inszeniert, sondern als erneuten Versuch einer Entziehungskur für die drogensüchtige Mia. Dabei sind eine Krankenschwester, dann noch eine einigermaßen unnervige Blondine, ein angehender High-School-Lehrer (als erwachsener Nerdersatz) und Mias Bruder, der ständig mit dem Fluchtreflex aus der Verantwortung hadert. Daraus könnte man eine Menge machen, darf man aber angesichts der Vorgaben nicht, denn schon Raimi hatte seine Figuren nach akzeptabler Vorlaufzeit hauptsächlich verhackstückt. Ausgenommen davon war der leicht tollpatschige Charakter von „Ash“, für den es hier mit Bedacht keine Entsprechung gibt.
Und da wären wir dann auch schon bei der zweiten wichtigen Abänderung, denn statt das Remake zeitgemäß auch als latent komödiantische Variante anzugehen, fehlen Slapstick und Humor in diesem Film gänzlich, als wolle man erwartbare Parallelen zu Bruce Campbell bewußt vermeiden. Dabei fährt man später den Gewalt- und Splatteranteil jedoch in so groteske Höhen, daß die Überfütterung selbst nur noch mit Gelächter abzutun oder zu verdauen ist – Alvarez verfilmt hier das Äquivalent zu Entenstopfleber.
Alsbald kommen dann aber langsam die gängigen Elemente aus dem Unterholz: die POV-Kamera rast durchs neblige Unterholz, das „Buch der Toten“ wird gefunden und die entscheidenden Sprüche werden dummerweise ausgesprochen. Schließlich infizieren die bösen Geister natürlich ausgerechnet die labile Mia beim Cold-Turkey-Jogging mittels der berühmten „tree rape scene“. Und von da an ist in der Hütte der Teufel los und man geht mit Spritze, Axt, Säge, Klobecken und Nagelpistole graphisch eindrucksvoll aufeinander los.
Leider gerät das alles dann entweder übertrieben, überlang oder überflüssig, hauptsächlich dazu angetan, ja bloß keine Langeweile aufkommen zu lassen. Ein Effekt wird auf den nächsten getürmt, immer noch mehr Blut, Gedärm und Rotze und möglichst detaillierte Gewaltexzesse, die man endlos breit tritt und die definitiv niemand beim ersten Durchlauf überleben könnte.
Dabei müssen sich (und das ist positiv) die Figuren nicht ganz so exzessiv dämlich verhalten wie man das sonst kennt, sondern anfangs im Rahmen ihrer Möglichkeiten sogar noch schlüssig. Erst später, als das Gemetzel im vollen Gang ist, kommen mehr und mehr uralte Horrorklischees zum Tragen und die Regeln, die das Skriptteam hier aufgestellt hat, werden mehr und mehr stiefmütterlich behandelt oder unlogisch angewendet.
Und diese sind, wie so viele Begleitumstände, eher zwiespältig zu sehen.
Da sollte wohl ordentlich Background her, aber nichts will so recht zueinander passen. Aus der möglichen Unsicherheit Mias, eventuell das alles im Entzugswahn nur zu träumen, macht man nichts, stattdessen wechselt sie von der Nebenrolle zur Hauptrolle, rückt dann als böses Zentrum wieder in die Distanz, um schließlich überraschend zum Showdown wieder zur bis dahin eher nicht emotionalen Protagonistin zu werden. Zwischendurch wirkt der bebrillte Lehrer als Mahner und Gewissen (und Verursacher), während als emotionales Zentrum Mias Bruder herhalten muß, den das Skript jedoch als zahmen und luschigen Zauderer zeichnet und der dadurch verzichtbar gehalten wird.
Ruhige, intensive Phasen vermeiden Alvarez und Co leider zu oft, kurze Pausen gestalten sich als Notübung zum kurzfristigen Atemholen, bis man zum unweigerlich endlosen Finale schon längst Geduld und Lust verloren hat, außer man steht drauf, dauerhaft die Torte ins Gesicht zu bekommen und nur noch fröhlich zu schlucken.
Zwar setzt die Ausstattung auf „muddy“ und „dirty“, aber wo Raimi noch einen realistischen Look hinbekam, sieht die 2013er-Fassung eher soundstagemäßig arrangiert aus. Alles ist schmierig und halbverfallen, das aber so edel, üppig und delikat in Szene gesetzt, daß es fast wieder keimfrei wirkt.
Die rohe Verzweiflung der Vergewaltigungssequenz geht flöten, weil hier ein schleimig-semiorganischer Alienwurm sich in Richtung Mumu windet, das allgewaltige Totenbuch (seine Herkunft wird nachlässig erst im Abspann angedeutet) sieht aus, als hätte es ein sorgfältiger Production Designer mit dem Computer angefertigt, um es dann von seinem elfjährigen Sohn mit ein paar Billigflüchen verzieren zu lassen.
Was die Dämonenattacken angeht, übertreibt man es schamlos, hält gefühlte Minuten mit einer Nagelpistole auf das wehrlose Fleisch der Überlebenden, sticht und schnippelt und kotzt sich zwischendurch mal hektoliterweise zu. Zum Showdown wird’s dann noch ungewollt albern, wenn die Selbstaufopferung (Handverlust, Kettensäge) plötzlich allen Ernstes groteske Züge annimmt.
Dazu herrlich unpassend ein mieser Score, der irgendwo zwischen zackigem Attackesoundtrack und hohlen Chorälen schwankt, aber keiner Sequenz wirklich etwas beifügen kann.
Von der allgegenwärtigen Präsenz des Bösen, dem unguten Gefühl, der Verlorenheit der Figuren, der Beklemmung durch Isolation ist hier so gut wie nie etwas zu spüren, auch wenn man die bekannten Fluchtversuchsversatzstücke durchexerziert.
Jedoch: zwischendurch funktioniert immer mal wieder etwas, etwa wenn auf eine Figur, selbst bewaffnet mit Kettensäge mit einer Machete losgegangen wird, während sie sich in einen immer enger und kleiner werdenden Fluchtbereich zurückziehen muß. Ein simpler Hackschnitt in den Arm tut da dann mehr weh, als jede Gliedabtrennung oder Ausweidung vor und nachher.
Natürlich: handwerklich ist das alles gut. Die „Production Values“ stimmen, die Tricks sind meistens hervorragned umgesetzt, es suppt und spritzt und der Schmerz ist nachzufühlen, aber meistens zu exzessiv zelebriert, daß man sich schon wieder am Torture Porn schubbert.
Prompt machte der Film dann auch ordentlich Kasse, denn wer könnte schon einem filmischen Vierfach-Doppel-BigMac mit extrasüßer Cola widerstehen.
Aber das Gefühl, daß hier endlos mit Vorschlaghammer auf die Pfoten gehauen werden muß, um sicherzustellen, daß auch wirklich jeder wenigstens ein ganz klein bißchen was gespürt hat, das will einfach nicht verschwinden.
Darum sagt Onkel Ash am Ende des Nachspanns vermutlich auch nur ein Wort – und da bin ich nicht mal sicher, ob er nicht nur meint, daß es gut kommt, daß er da nicht mal per Cameo dabei gewesen ist.
Ein überbordendes Geschmodder, ergänzt durch ganz viele Fingerzeige aus der Horrorfilmgeschichte und serviert mit dem Schaufelbagger, das gefällt den Sensationslüsternen eben noch heute.
Aber um Langzeitwirkung geht’s ja auch schon länger nicht mehr… (4/10)