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Einmal mehr lohnt der Blick über den Tellerrand, denn langsam dürften eingefleischte Fans des Spukhausfilms es leid sein, ständig mit dämonischen Vorbesitzern oder schwarzhaarigen Mädchen in weißen Nachthemden konfrontiert zu werden.
Der venezolanische Autor und Regisseur Alejandro Hidalgo umgeht dabei weitgehend gängige Genrekonventionen und macht aus der Not eine Tugend, indem er billige Schockeffekte fast gänzlich außen vor lässt.

Dulce erwacht aus einer Ohnmacht und findet ihren Ehemann ermordet vor, während ihr ältester Sohn Leo spurlos verschwindet. Daraufhin wird sie verhaftet, verbüßt 30 Jahre Knast und darf unter Arrest wieder in das schicksalhafte Haus zurückkehren. Mithilfe eines Priesters versucht Dulce herauszufinden, was sich seinerzeit wirklich zugetragen hat...

Die Erzählung verknüpft die Zeitebenen von 1981 und 2011 miteinander, wobei gegenwärtige Ereignisse eigentlich nur die Rahmenhandlung darstellen, - zumindest auf den ersten Blick.
Zunächst weiß der Betrachter nicht mehr als Dulce, welche Leo noch kurz sieht, bevor dieser wie von einer unsichtbaren Macht weggezogen wird. Natürlich beherbergt das Kolonialhaus eine Geschichte, doch diese entpuppt sich als nicht so eindeutig wie man zu Beginn noch glauben mag.

Das überaus geringe Budget ist dem Werk zwar zeitweilig klar anzusehen, da nur simples Make-up und eine Haarfärbung eingesetzt wurden, um Dulce um 30 Jahre altern zu lassen, doch der Verzicht auf Schockmomente wirkt sich merklich positiv auf die Figurenzeichnungen aus.
Wir erleben Dulces Söhne beim Baseball in scheinbar unbeschwerter Kindheit, erfahren von ernsthaften Eheproblemen, erleben jedoch auch einen Gang zur Hellseherin, welcher aufgrund einer abrupt endenden Seance vielleicht nicht den gewünschten Gänsehauteffekt erzielt.

Erst nach und nach erklärt sich die tiefere Bewandtnis des merkwürdigen Titels und im letzten Drittel ist definitiv erhöhte Aufmerksamkeit gefordert, um das Geheimnis einiger Figuren komplett zu entschlüsseln.
Hildago hat sich bei seinem Erstling durchaus Gedanken gemacht und das zahlt sich gegen Ende absolut aus, zumal er seiner Geschichte stets ein gesundes Maß an Emotionalität einräumt und schon allein deshalb mit der letzten Einstellung ein positives Gefühl vermittelt.

Wer Blutvergießen, Schockmomente oder gar geisterhafte Erscheinungen sucht, dürfte von dem venezolanischen Mystery-Drama enttäuscht werden. Vielmehr offenbart sich ein handwerklich solide inszeniertes Werk mit guten Darstellern und eine weitgehend ruhige Erzählweise innerhalb einer clever durchdachten Geschichte.
Auf jeden Fall frischer Wind im Bereich des Spukhausgenres, denn Hildalgo untermauert, dass eine Story mit Hand, Fuß und Herz keinen sonderlichen Firlefanz benötigt.
7,5 von 10

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