„Das Ende der Welt ist gekommen!“
Nach der „Superman“-Tetralogie aus den 1970ern und ‘80ern sowie deren „Superman Returns“-Ergänzung aus dem Jahre 2006 erkannte man bei DC, den Urhebern der Comics um den stählernen Superhelden-Pionier vom Planeten Krypton, dass ihnen Konkurrent Marvel mit seinem Marvel Cinematic Universe und den darin enthaltenen Kino-Straßenfegern den Rang abgelaufen hatte. So kam es, dass man bei Warner Brothers ein von Christopher Nolan und David S. Goyer während der Arbeit am Drehbuch zu „The Dark Knight Rises“ entworfenes Konzept für eine neue Superman-Verfilmung mit Kusshand entgegennahm und Goyer auf dieser Basis ein Drehbuch verfassen ließ. Nolan, der nun als Mitproduzent in Erscheinung trat, konnte mit Zack Snyder einen erfahrenen Mann für die Regie gewinnen, der zuvor bereits die „300“- und „Watchmen“-Comicverfilmungen inszeniert hatte. Der US-amerikanisch-britisch-kanadisch produzierte „Man of Steel“ wurde das Ergebnis dieser Kollaboration und läutete das DC Extended Universe ein. Das mit rund 140 Minuten überlange, hochbudgetierte Spektakel wurde für die 3D-Kinos aufbereitet, in denen er im Jahre 2013 schließlich zu sehen war.
„Er wird ein Gott für sie sein.“
Der Planet Krypton, irgendwo in einer fernen Galaxie: Der Untergang ist nah, das Militär putscht und Wissenschaftler Jor-El (Russell Crowe, „Insider“) beschließt, seinen Neugeborenen Kal-El in eine Raumkapsel zu stecken und in Richtung Erde zu steuern. Dort, genauer: in Kansas wächst Kal-El als Clark Kent (Henry Cavill, „Hellraiser – Hellworld“) unter Menschen auf, wird von seinen Zieheltern Martha (Diane Lane, „Rumble Fish“) und Jonathan (Kevin Costner, „Der mit dem Wolf tanzt“) liebevoll umsorgt. Clark hält seine Superkräfte, über die er als Kryptonier auf der Erde verfügt, wohlweislich weitestgehend geheim und hat selbst noch keinen Schimmer, woher er eigentlich stammt. Dies ändert sich, als er in Kanada auf ein im 20.000 Jahre alten Eis eingefrorenes Raumschiff stößt, das bereits vom Militär inspiziert wird. In diesem wird er kurze Zeit später auf seinen Vater bzw. dessen Bewusstsein treffen, der ihm das Nötigste erklärt und ihm Anzug und Cape überreicht – die Geburt Supermans! Die neugierige Journalistin Lois Lane (Amy Adams, „Gnadenlos schön“) beobachtete den neuen Helden, ohne zu ahnen, dass es sich bei ihm um Clark Kent handelt. Und Superman bekommt als erste wirkliche Aufgabe nicht weniger zu tun, als die Menschheit zu retten, auf die der kryptonische Militärgeneral Zod (Michael Shannon, „Bug“), ein weiterer Überlebender, nun ebenfalls aufmerksam geworden ist. Sein sinistrer Plan: Die Erde mit Kryptonierinnen und Kryptoniern bevölkern und die Menschen dafür auslöschen…
„Für jeden Menschen, den du rettest, töten wir eine Million mehr!“
So eindimensional und simpel die Superman-Figur zu ihren Ursprüngen auch war, mit den Comics aus den 1960ern, ‘70ern und ‘80ern, die meine Kindheit begleiteten, hatte sie meine Fantasie beflügelt und meinen Horizont erweitert. Die Mischung aus einem Helden mit übermenschlichen Kräften und Science-Fiction bis hin zu Mystery und Horror hatte es mir angetan und begeisterte mich vor allem dann, wenn die Geschichten keinem einfachen Schwarzweiß/Gut-Böse-Schema folgten, sondern mit meine Vorstellungskraft übersteigenden, mysteriösen Inhalten aufwarteten, die gut durchdacht waren und mich mit Phänomenen, Wesen und Bedrohungen konfrontierten, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Später orientierte ich mich stärker zum wesentlich weltlicheren, geerdeteren Batman, der bekanntlich ein mehr oder weniger normaler Mensch ist und somit über keine Superkräfte verfügt. Mit Superhelden-Realverfilmungen stand ich hingegen lange auf Kriegsfuß. Was in Comicform Hüllen lieferte, die kraft meiner Imagination auszufüllen waren, wirkte mit echten Menschen verfilmt auf mich irgendwie… profan. Diese Perspektive änderte sich erst später, ausgelöst durch recht gute Batman-Verfilmungen einer- und die spätere Erkenntnis andererseits, dass Christopher Reeve, Darsteller der klassischen Superman-Realfilme, auch im wahren Leben ein echter Supermann war.
„Dieser Mann ist nicht unser Feind!“
Nun also ein Superman-Reboot, in dem Christopher Nolan, der mit „The Dark Knight“ eine der besten Batman-Verfilmungen geschaffen hatte, die Finger im Spiel hat und das von Zack Snyder inszeniert wird – das klingt erst einmal interessant, wenngleich die Superboy-Ära, die ich aus meinen Comics kannte, entfällt, Clark Kent also erst als Erwachsener zum Superhelden wird. Ich trat vorbehaltlos und neugierig an diesen Film heran. Dessen nonlineare Narration mit ihren zahlreichen Rückblenden versucht, Vergangenheit und Gegenwart, Origin Story und Superhelden-Action-Bombastkino unter einen Hut zu bringen – und das prinzipiell gar nicht schlecht: Man beginnt mit Kal-Els Geburt auf Krypton, der wie ein abgefahrener Fantasy-Planet hergerichtet wurde, auf dem man sich beispielsweise auf Flugsauriern fortbewegt, aber eben kurz vor seiner Zerstörung steht. Mit einem bewaffneten Konflikt geht’s gleich in die Vollen, Bombast und Pathos stehen Pate. Die rassistischen Rebellen um General Zod werden verurteilt und kurz darauf ist Krypton einmal gewesen.
Nach dem ersten Zeitsprung rettet Clark auf der Erde als junger Seemann einem Kollegen nach einem Unglück das Leben, natürlich dank seiner übernatürlichen Kräfte. Visualisierte Erinnerungen an seine Kindheit zeigen einen verunsicherten, nachdenklichen Jungen, der sich schwer damit tut, anders als die anderen zu sein und die Mitmenschen eher fürchtet. Ein Hingucker ist die visuelle Umsetzung seines Röntgenblicks. Im weiteren Verlauf gerät der Film betont bodenständig: Landschaftspanoramen des Dorfs, Clark als Naturbursche (der aber wie ein Bodybuilder aussieht), Countrymusik. Eine weitere Rückblende zeigt eine Schulbuskatastrophe, bei der Clark lebensrettend eingreift. Daraufhin eröffnet ihm sein Ziehvater, dass er ein Außerirdischer ist. Trotzdem muss er sich bei seiner Arbeit als Kellner demütigen lassen. Wir lernen: Auch mit Superkräften ist das Leben als Außenseiter kein einfaches.
Schicksalhaft wird die Episode im Eis, bei der er Love Interest Lois Lane kennenlernt. Als diese sich verletzt, heilt er sie rasch und fliegt mit dem gefundenen Raumschiff kurzerhand davon. Lois macht eine Story über Außerirdische daraus, ihr Chef will diese aber nicht drucken und das Pentagon dementiert. Dass sie die Story daraufhin über einen Fake-News-Spinner ins Netz lanciert, veranschaulicht, dass der Film in der Gegenwart der 2010er-Dekade spielt. Lois sucht nach dem Stählernen und findet Clark, woraufhin sie ihre Story fallenlässt, um ihn zu schützen – eine weitere starke Variation der mir geläufigen alten Comicwelt. Eine weitere Rückblende, in der Clarks Familie in einen Tornado gerät und sich sein Ziehvater nicht von ihm retten lassen will, um seine Fähigkeiten geheim zu halten, ist äußerst tragisch, lässt den Film nun aber doch recht episodisch anmuten. Auftritt Zod! Er ist zurück und will Clark, weil dieser über die spezielle Fähigkeit verfügt, ein neues kryptonisches Volk zu erschaffen (womit keineswegs ein klassischer Geschlechtsakt gemeint ist). Lois wird derweil vom FBI verhaftet. Eine weitere Rückblende (uff…): Clark wird in seiner Kindheit von Gleichaltrigen gemobbt und darf sich nicht wehren. In der Gegenwart gesteht er dem Pfaffen, dass er der Gesuchte, sich aber nicht sicher sei, ob er den Menschen trauen könne. Der Klerikale spricht ihm Mut zu. Was sollte er auch sonst tun?
In seiner Heldenkluft stellt Clark sich nun und heißt dabei interessanterweise noch gar nicht Superman – das „S“ auf seiner Brust ist ein kryptonisches Zeichen für Hoffnung. Er lässt sich an Zod ausliefern, Lois begleitet ihn auf dessen Raumschiff. Dort erfährt Superman von Zods finsteren Plänen – und versinkt in einem Meer aus Totenschädeln (was ein im positives Sinne sehr morbides Bild erzeugt). Lois trägt eine spacige Maske und Supermans Superkräfte wirken im Raumschiff nicht. Ok, jetzt könnte es wirklich spannend werden – ganz wie in den Comics, wann immer Supis Kräfte schwanden und er rein auf seinen Intellekt angewiesen war. Hier jedoch fiel einem offenbar nichts anderes ein, als Kal-Els Vater zurückzuschicken, Lois im Ultraschnelldurchlauf auszubilden – und mir nichts, dir nichts irgendwie dafür zu sorgen, dass Clark seine Superkräfte zurückerhält. Die erste große Enttäuschung in diesem Film.
Im weiteren Verlauf spielt Snyder erwartungsgemäß die Actionkarte aus. Das kann er grundsätzlich, wobei der Umstand, dass die US Army gegen beide verfeindeten Parteien vorgeht, sogar noch für einen dritten Action-Akteur sorgt. Ja, wahrlich gelungene Action- und Zerstörungsszenen sind die Folge, die den Film wieder beeindruckend bombastisch wirken lassen. Ein zumindest mir, mit meinen in erster Linie aus erwähnten Comics bestehendem Vorwissen, neuer Aspekt ist es, dass Superman die DNA sämtlicher Kryptonierinnen und Kryptonier enthält, was erklärt, warum Zod es besonders auf ihn abgesehen hat. Wie Zod einen Weltenwandler einsetzt, produziert abermals spektakuläre Bilder. Eine Innenstadtzerstörung ruft Erinnerungen an den 11. September 2001 hervor, zahlreiche Tote müssen die Folge gewesen sein – davon allerdings bekommt man nichts zu sehen. Generell bekommt man keinen einzigen Leichnam zu Gesicht. Diesbezüglich bleibt der Film auf heuchlerische, verlogene Weise „sauber“ – eine weitere Enttäuschung.
Als man Zod besiegt wähnt, bricht sich eine weitere Zerstörungsorgie bahn, was nun wirkt, als sei es das einzige gewesen, was Autor Goyer respektive Snyder einfiel, um noch einen draufzusetzen. Dies mündet in einem spektakulären Endkampf, der bis ins Weltall führt. Bei dessen Ausgang werden, von der einen oder anderen Rückblende vielleicht abgesehen, erstmals – und damit viel zu spät – Emotionen gezeigt, an die ein sentimentaler Epilog anknüpft und woraufhin Clark endlich seine Journalistenkarriere beginnen kann. Das Wort „Superman“ fiel erst im letzten Drittel, was einerseits angenehm zurückhaltend wirkt, andererseits aber den Eindruck erweckt, der Gebrauch dieses heutzutage etwas abgeschmackt klingenden Namens sei den Filmmachern ein wenig peinlich gewesen. Wie auch immer: Die antifaschistische Aussage dieses Films, dass das Überleben des eigenen Volks keinen Genozid rechtfertigt, ist richtig und wichtig. Brachte der eine oder andere Kritiker die Figur Superman in der Vergangenheit mitunter mit faschistoiden Allmachtsfantasien in Verbindung, hat sich „Man of Steel“ diesbezüglich nichts vorzuwerfen.
Jedoch: Das wirkt hier alles trotz bzw. gerade für seine existenziellen Themen ein bisschen arg oberflächlich; Anflüge von Tiefgang werden im Actiongewitter in die Luft gesprengt, sodass wenig Erinnerungswürdiges bleibt. Echter Nervenkitzel, eine Spezialität manch „Batman“-Verfilmung, ist hier mit der Lupe zu suchen. Für einen „Superman“-Reboot, der zugleich den Beginn des DC Extended Universe darstellt, ist „Man of Steel“ nicht episch genug, zu wenig tiefschürfend, kaum nachhaltig nachklingend. Sogar das Verhältnis Clarks zu Lois lässt eine emotionale Ebene weitestgehend vermissen. Viel mehr als Blockbuster-Action mit viel Computerunterstützung und Hans Zimmers Orchestermusik kam Snyder und Co. hier als Zuspitzung dieser in ihren Rückblenden doch so vielversprechend mit vielen leisen, nachdenklichen Tönen begonnenen, komplett humorfreien Handlung offenbar leider nicht in den Sinn. Dadurch wirkt der Film seiner opulenten Ausstattung zum Trotz eher wie Fastfood. Zugegeben, das tun viele der Comics auch. Um zu deren Pendant zu werden, ist „Man of Steel“ aber viel zu aufwändig produziert und verfolgt er einen falschen Anspruch. Verspürt heutzutage eigentlich irgendjemand noch Lust auf diesen Film und denkt sich, hey, den würde ich jetzt gern mal wieder gucken?
Ich werde das Gefühl nicht los, dass ein Mehrteiler dem Stoff gerechter geworden wäre: Teil 1 behandelt die Geschehnisse auf Krypton kurz vor Untergang und Clarks Aufwachsen auf der Erde, Teil 2 die Ereignisse ab Clarks Reise zum Raumschiff nach Kanada – vielleicht wäre dann für all das Raum gewesen, dessen Unterrepräsentanz ich hier bemängelt habe… In der vorliegenden Form ist „Man of Steel“ eine sehr zwiespältige Angelegenheit.