Review

Baz erstaunt

Der große Gatsby schildert im Grunde nur ein weiteres Liebesdrama. Die Dreiecksgeschichte um Jay Gatsby, der hoffnungslos in Daisy Buchanan verliebt ist, welche wiederum mit dem aus gutem Hause stammenden Tom verheiratet ist. Jener Tom wiederum erlaubt sich ab und an einen Seitensprung mit der ebenfalls verheirateten Myrtle Wilson. Mit seinem eigenwilligem Stil und gekonnter Inszenierung sowie - natürlich auch durch die Vorlage bedingt - jeder Menge Subtext, gelingt Baz Luhrmann mit der mittlerweile vierten Kinoversion des Stoffes ein sehens- und hörenswertes Glanzlicht.

Die bekannten Bazmarks (hohe Schnittzahl, viele Kamerabewegungen, Verknüpfung von bekannten, älteren Stoffen mit modernen Elementen [Musik]) kommen auch hier wieder zum Tragen. Eingehüllt in 3D, welches das entfernte grüne Leuchten, nach dem Gatsby strebt, tatsächlich unerreichbar erscheinen lässt. Oder die im Roman geschilderte scheinbare Leichtigkeit jenes Zimmers, welches Erzähler Nick Carraway bei seinem Antrittsbesuch bei seiner Cousine Daisy betritt, mit dem funkelnden Kronleuchter und den wehenden Vorhängen, die den Zuschauer wirklich zu umgarnen scheinen. Natürlich kann man dies als Spielerei bezeichnen. Doch ist es hier nicht billig effektheischend, sondern den Inhalt auf visueller Ebene unterlegend. Ist doch "Schein und Sein" ein beinahe ständig präsentes Sujet. Wiederum gibt hier natürlich der literarische Stoff die Richtung vor, doch das Einfangen der zunehmenden Isolation Gatsbys, dem sich wandelnden Bildern von Leichtigkeit, Glanz und Gloria und großen Menschenmengen auf den exorbitanten Feiern hin zu der herbstlich werdenden Szenerie und den einzeln eingefangen Akteuren, ist sicherlich Verdienst Luhrmanns.

Insgesamt hält sich der Film ohnehin stark an die Vorlage, immer wieder werden lokale Beschreibungen treffend umgesetzt und vor allem ein Großteil der Dialoge wurde 1:1 von Papier auf Leinwand gebracht. Und das ist durchaus auch konkret bildlich zu verstehen. Einige Umarbeitungen gibt es selbstverständlich. So ist Carraway zu Filmbeginn Insasse des Perkins-Sanitarium und gibt dort gewissermaßen dem Arzt seine Geschichte preis. Der Name Perkins ist hierbei sicher ein Verweis auf den realen Lektor Fitzgeralds, die Sanitarium-Idee ist dem Regisseur zufolge aus Briefwechseln ersichtlich geworden und damit seiner Ansicht nach ganz im Sinne des Autors.

Ob hingegen die musikalische Untermalung Anklang bei Fitzgerald gefunden hätte, ist da ungewisser. Wie schon bei Moulin Rouge versetzt Luhrmann aktuelle Musik - Größen wie Beyoncé, Jay-Z (der auch als Produzent des Films tätig ist), Mitglieder der Black Eyed Peas und Lana Del Rey, welche den Titelsong vortragen darf, geben sich die Ehre - in eine frühere Zeit, hier das New York der 1920er Jahre. Wer nun meint, dass zu jener Zeit der Jazz erklingen sollte, hat sicher nicht unrecht. Die hämmernden Bässe von "Bang Bang" und "A Little Party Never Killed Nobody" laden in ihrem eingängigen Rhythmus zum Mitwippen der Füße ein. Und wenn Lana del Rey in "Young and Beautiful" mit ihrer Wunderstimme, die tiefsten Sehnsüchte Gatsbys auf den Punkt bringt, geht das ans Herz. Gerade mit diesem Kniff, dem Stoff auf musikalischer Ebene einen Aktualitätsbezug zu verleihen - und damit verbunden wohl auch ein jüngeres Publikum anzusprechen -, wird auch der inhaltlichen Ebene weitere Unterstützung geboten. Denn natürlich ist die präsentierte Musik realhistorisch nicht passend. Und unterstützt damit einen weiteren Kernpunkt des Films: die frage nach Wahrheit und Identität. Gerade in der titelgebenden Figur spiegelt sich dies wider. Gatsby scheint eher ein Phantom zu sein. Schemenhaft taucht er zunächst nur auf, ist nie in Gänze zu sehen. Und noch dazu hört Carraway beinahe unzählige Gatsby-Episoden aus zweiter Hand. Und so wie der Erzähler, darf auch der Zuschauer bis zum Ende und darüber hinaus rätseln, wo die Schneidepunkte von Dichtung und Wahrheit liegen, ob sich Schein und Sein überhaupt völlig voneinander trennen lassen.

Die Größe des Films hängt letztlich auch an der Verkörperung Gatsbys. Mit Leonardo DiCaprio als einem der besten - vielleicht sogar dem besten - Schauspieler, die derzeit auf den Leinwänden ihre Leistungen zeigen, ist dabei eine maximal in Nuancen zu bekrittelnde Performanz zu bewundern. Punktuell mag man sich an der überbetont gezeigten Nervosität - sowohl beim zufälligen Treffen mit Tom in einem Klub als auch dem "zufälligen" Treffen mit Daisy zum Tee - ein wenig stören. Doch DiCaprio spielt mit gewohnt hoher Intensität derart überzeugend den äußerlich gepflegten, doch innerlich von größter Emotion getriebenen Mann, dass man sich wiederum nur fragen kann, weswegen dieser Begabte bei den Oscarverleihungen stets übergangen worden ist.

Auf inhaltlicher Ebene vermag der Film zudem die Erzählerproblematik gegenüber der Vorlage zu steigern. Während der Roman gänzlich aus Carrawys Sicht verfasst ist und somit natürlich sämtliche Sichtweisen eher subjektiv zu werten sind, bringt der Film logischerweise durch das Bild und den Ton weitere Erzähler mit ins Spiel. So kann er Szenen präsentieren, die sich in der Vorlage eher über Gespräche darstellen, wenn überhaupt. Zumal die Charakterisierung der äußeren Schönheit gegenüber der inneren Zerrissenheit und den völlig menschlichen Makeln der Protagonisten natürlich in ganz anderer Weise in einem Kinofilm auf ganz anderer Ebene erfolgen kann.

Baz Luhrmann liefert mit Gatsby großes Kino ab. Die filmischen Mittel nutzt er dabei konsequent aus, um nicht nur die Geschichte an sich zu erzählen, sondern auch die im Buch vorhandenen Themen abzubilden. Es bleibt zu hoffen, dass sein nächstes Projekt ähnlich gehaltvoll wird und die Wartezeit nicht zu hoch ausfällt. Wie das Erreichen des entfernten grünen Leuchtens sehnt man den nächsten Film herbei. Aber hoffentlich mit positivem Ausgang.

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