"Durch den Krieg werden die Menschen nicht edler - er macht sie zu Hunden, vergiftet die Seele."
Terrence Malick dreht im Schnitt aller zehn Jahre einen Film, was die Frage zulässt, was der Mann sonst als Beruf ausübt. Ansonsten wird er häufig als das "große Phantom des US-Kinos" bezeichnet, Interviews mir ihm gibt es so gut wie keine, bei Preisverleihungen taucht er nicht auf, ebenso bleibt er Pressekonferenzen fern. Dabei wäre er genau der richtige, mit dem ich einmal über die visionären Möglichkeiten des Kinos reden würde.
Malick erzählt in seinem Film "The Thin Red Line" die Eroberung der Pazifikinsel Guadalcanal durch die Amerikaner 1942, basierend auf dem Roman von James Jones. Aus der Masse der Figuren begleitet der Zuschauer vor allem den nachdenklichen Private Witt, gespielt von James Caviezel, der sich unerlaubt von der Truppe entfernt hatte, um die Eingeborenen kennen zu lernen. Witt wird allerdings zurückgeholt und zusammen mit anderen Soldaten (u.a. Sean Penn, Elias Koteas, Ben Chaplin, Woody Harrelson, Adrian Brody) in die Stürmung einer japanischen Anhöhe geschickt. Dabei kommentiert Witt das Geschehen aus dem Off.
Es gibt viele Filme zum Zweiten Weltkrieg, Kriegsactioner wie Antikriegsfilme, wobei der Fokus vor allem auf den Ereignissen in Europa liegt, und der Schauplatz des Pazifiks - abgesehen von Pearl Harbor - eher hinten ansteht. Bekanntermaßen startete "The Thin Red Line" 1998 fast zeitgleich mit Spielbergs Normandie-Kriegsepos "Saving Private Ryan", konnte aber gegen dessen Marketingmaschinerie und dem Budget (bei den Stars muss sich der Film indes eigentlich nicht verstecken) aber nicht ankommen. Dies zeigte sich auch bei den Oscars, bei denen Malicks Werk siebenmal nominiert war, aber keinen Preis gewann, während "Saving Private Ryan" 5 Goldjungen holte.
Dabei wählt Malick einen ganz andere, völlig unkonventionelle Art der Auseinandersetzung mit dem Krieg, dem Tod und der Zerstörung. Szenen, in denen Soldaten verzweifeln, einen grausamen Tod finden oder Angst haben, gibt es auch hier, aber die Art und Weise der Inszenierung ist eine vollkommen andere.
Der Regisseur setzt die Natur und ihre Kraft des Lebens und der Regeneration in den Mittelpunkt des Films. Kameramann John Toll fängt schlichtweg wunderschöne Naturaufnahmen ein, bei denen man Gänsehaut bekommen kann. Seine Kamera schwebt fast schwerelos über die Graslandschaften der Insel, zeigt die Schönheit, aber auch Undurchdringlichkeit des Dschungels und die Lichtspiele der Sonne.
Dazwischen tobt der Krieg.
Während die Soldaten in Spielbergs Film stur und bedenkenlos einer Sache folgen, entsprechend eindimensional bleiben, präsentiert uns Malick Figuren fernab der ausgetrampelten Kriegsfilmpfade. In "The Thin Red Line" sind die Soldaten in erster Linie Menschen, die leben wollen. Befehle werden in Zweifel gezogen, desertieren heißt leben, die Männer haben Angst und das macht ihnen zu schaffen.
Dies zeigt sich auch in den Dialogen bzw. Monologen. Vielfach ertönt die Stimme von Witt und hinterfragt den Krieg im Herzen der Natur. Das ist ungewöhnlich, passt nicht jedem, aber ist eine ganze andere Art der Verarbeitung, weil nicht nur die Bilder sprechen sollen, sondern auch die Gedanken der Charaktere.
Des Weiteren sind dann auch Sätze und Gesprächfetzen zu hören, die man gerade so aus amerikanischen Kriegsfilmen nicht kennt. Der von Nick Nolte verkörperte Colonel denkt, was er fühlt und bereut seine Arschkriecherei. Am eindringlichsten ist dies aber in der Szene, in der sich der von Woody Harrelson dargestellte Keck versehentlich den Hintern mit einer Granate wegsprengt und im Sterben liegt. Wie oft hat man in Filmen schon solche Sterbesequenzen gehabt, in denen die Soldaten froh waren, für ihr Vaterland gestorben zu sein, oder ihren Frauen oder Freundinnen in der Heimat dankten. Bei "The Thin Red Line" fallen dann aber Sätze wie "Was für eine beschissene Art zu sterben." oder "Ich kann nie wieder vögeln." Da mag man überlegen, was von beidem ein Soldat in einer solchen Situation eher sagen würde. Ich tippe auf das letztere.
Der Film verlangt dem Zuschauer einiges ab. Es gibt Passagen, die von langen Naturaufnahmen dominiert sind, wiederum dialoglastige und ruhige Verläufe und dann immer wieder die Kämpfe. Ein Film ohne richtige Struktur, und gerade deswegen so klasse.
"The Thin Red Line" bietet auch imposante Kämpfe, die brilliant gefilmt sind und bei denen die Tontechniker meisterlich am Werk waren. Die vielleicht wichtigste Sequenz hierbei ist die Erstürmung des japanischen Lagers. Malick zeigt in schnellen Schnitten das Sterben im Zeitraffer, ein Mitfiebern wie in anderen Kriegsstreifen ist nicht möglich, es geht nur ums Töten und Überleben, und das nimmt den Zuschauer ganz schön mit.
Und noch etwas fällt auf. Der Film gewährt - und das ist gerade für einen US-Kriegsfilm extrem ungewöhnlich - auch ein Blick auf die Feinde. Sonst nur in Kriegsfilmen dazu da, Hass zu schüren und später über den Haufen geschossen zu werden, fällt der Blick auch auf die Japaner. Zwar gehören sie nicht zum Cast, aber die Bilder der zitternden, verdreckten und weinenden Gegner hinterlässt etwas anderes als Gleichgültigkeit oder Hass, man merkt, dass auch der Feind leidet, nicht nur stirbt.
"The Thin Red Line" ist lang, der urspüngliche Rohschnitt ging ganze 6 Stunden, und trotzdem würde auch diese Fassung mich nicht langweilen, denn was man bei Malick sieht, hat man so eben noch nicht gesehen. Großen Anteil an der Wirkung des Films hat der Score von Hans Zimmer. Manchmal wunderschön, dann wieder bedrohlich werden die Szenen kongenial begleitet und manche Szenen erscheinen epischer als in so manchem Fantasystreifen.
Viele Schauspieler des bis in Nebenrollen klasse besetzten Films übernahmen die Parts ohne größere Gagen. Am besten gefallen hat mir Nick Nolte, der nach außen hart und cholerisch wirkt, aber innerlich auch zerrissen ist. Eine tolle Performance. James Caviezel und Sean Penn, die eigentlich entgegengesetzte und später zusammenlaufende Charaktere spielen, agieren ebenso überzeugend. Auch Elias Koteas als als Captain und Adrian Brody spielen überzeugend, letzter sagt so gut wie nichts im Film, sein Gesicht dafür tausend Worte.
Der Film schafft es, den Krieg abschreckend wirken zu lassen, und gleichzeitig die Schönheit des Lebens zu betonen, zu finden in der Natur und den Einwohnern der Inseln. Es ist bemerkenswert, dass Witt bei seinem ersten Besuch in diesem Paradies willkommen ist und als ein Mitglied des Stammes lebt, später aber - gezeichnet und auch verändert vom Krieg - keine Akzeptanz mehr findet.
Malick zeigt, was Krieg mit Menschen macht, vor allem, wenn sie diesen in einer derartigen lebensbejahenden Welt ausführen. Ein in meinen Augen absolut einzigartiges Meisterwerk, das durch seine unkonventionelle Bildsprache und diesen meditativen Umgang mit dem Töten und Getötetwerden in der Botschaft sogar noch "Wege zum Ruhm" und "Full Metal Jacket" überragt.