Seitdem der klassische Actionfilm in den 1990ern an kommerziellem Appeal einbüßte, war er in den 2010ern vor allem Mid- und Low-Budget-Bereich angesiedelt, von einigen Ausnahmen, welche die Regel bestätigen, einmal abgesehen. Da fand eine Serie wie „Banshee“ natürlich schnell Nische und Zielgruppe, quasi als Ergänzung zu ruppiger Kinoactionkost wie „Homefront“, „John Wick“ oder „The Equalizer“.
Der vorerst namenlose Protagonist (Antony Starr) ist ein Krimineller, der – kaum aus dem Knast nach 15 Jahren Haft entlassen – von den Häschern seines ehemaligen Bosses Rabbit (Ben Cross) verfolgt wird. Der zürnt seinem früheren Angestellten, da dieser ihn nicht nur betrügen, sondern als Lover von Rabbits Tochter Anastasia (Ivana Milicevic) auch mit dieser ein neues Leben fernab von (Stief-)Daddy verbringen wollte. Auf der Suche nach Anastasia erfährt der (Anti-)Held von dem verschlafenen Nest Banshee, in dem sie mittlerweile lebt, und wird auf der Reise dahin Zeuge wie der neue, den Bewohnern unbekannte Sheriff des Ortes bei einer Kneipenschlägerei stirbt. Er nimmt dessen Identität an und reist nun als Lucas Hood nach Banshee, wo er feststellen muss, dass Anastasia ein neues Leben unter dem Namen Carrie Hopewell angefangen hat, verheiratet ist und zwei Kinder hat.
Hood bleibt in Banshee, übt den Job des Sheriffs auf unkonventionelle Weise und plant krumme Dinger, gemeinsam mit dem Barbesitzer Sugar Bates (Frankie Faison) und seinem alten Kumpel Job (Hoon Lee), einem Hacker mit Travestie-Vorlieben. Gleichzeitig stellt er fest, dass in Banshee der Gangsterboss Kai Proctor (Ulrich Thomsen) ein nicht zu unterschätzender Machtfaktor ist. Damit sind Konflikte vorprogrammiert; ebenso aufgrund der Tatsache, dass Carries Mann Gordon (Rus Blackwell) der Staatsanwalt von Banshee ist…
Mit seiner Action im ländlichen Milieu und seinen verschiedenen Gangsterorganisationen ist „Banshee“ so etwas wie der pulpigere, asozialere Bruder von „Justified“. Auch hier schlägt sich ein unkonventioneller, wenig zimperlicher Gesetzeshüter mit verschiedenen Bedrohungen rum, welche die Macht und die illegalen Geschäfte in der Gegend an sich reißen wollen. „Banshee“ legt aber noch etwas Schadenfreudepotential drauf, da die Schurken noch weniger ahnen wozu Lucas Hood – nomen est omen – mit seinem Gangster-Background bereit und in der Lage ist. So baut die Serie auf diverse Kompromisslosigkeiten, sei es eine Saucenflasche, die der Protagonist einem Kontrahenten in den Rachen kloppt, sei es die Exekution eines wieseligen Gangsters, der Hood mit dem Wissen um dessen wahre Identität erpressen will. Das ist immer derb, manchmal überzogen (Leichen werden nicht nur im See versenkt, sondern man sieht auch noch wie Fische sich an den Augen bedienen), aber nie geschmacklos. Lediglich etwas unfreiwillig komisch sind die vor allem in Season eins und zwei vorkommenden, oft unmotivierten Sexszenen, in denen der Protagonist fast alle weiblichen Hauptfiguren knattert – aber anscheinend wollte man noch mal darauf verweisen, dass man hier im amerikanischen Pay-TV ist und Sex, Gewalt und böse Worte kein Problem wie den beiden Networks sind.
Das Ganze verpasst „Banshee“ auch einen pulpigen, gelegentlich etwas comichaften Charme, der sich auch in den manchmal reichlich überzogen dargestellten Fähigkeiten der Protagonisten äußerst. Banshee ist ein Nest, in dem jede zweite Figur anscheinend ein Martial-Arts-Meister oder sonstiger Krieger ist, Job ist als Hacker einer der Besten unter den Allerbesten, die Kavallerie taucht schon mal in Form von Gangsta-Typen mit dicken M60 zur Rettung auf usw. Dabei teilen Frauen wie Carrie, Deputy Siobhan Kelly (Trieste Kelly Dunn) oder die indianische Killerin Nola Longshadow (Odette Annabelle) ebenso derbe aus wie Männer und sind teilweise ähnlich überzeichnet – auch eine Form von Gleichberechtigung. In einer Folge der ersten Staffel etwa braust Carrie mal eben mit ihrem Familienauto in einer anderen Stadt vorbei um Lucas in letzter Sekunde vor den Cops zu retten.
So spielt „Banshee“ in einer Art Parallelwelt für Actionfans, mit Verbrechern und Superfightern an jeder Ecke, auch wenn es manchmal selbst für diese Verhältnisse unrealistisch wird – etwa wenn im Finale der dritten Staffel von den Helden ein gegen jede Wahrscheinlichkeit erfolgreicher Frontalangriff gegen zahlenmäßig überlegene und deutlich besser ausgerüstete Gegner durchgeführt wird. Dafür sind die Actionszenen, vor allem Nahkämpfe und Shoot-Outs, seltener mal Explosionen oder Verfolgungsjagden, von erlesener Qualität und Härte, etwa wenn sich zwei Figuren minutenlang in und um ein Auto bis aufs Blut bekämpfen oder die Schlägerei zweier anderer Personen quasi eine ganze Folge lang dauert (dazwischen gibt es immer wieder sehr lange Passagen, die andere Handlungsstränge zeigen, aber immerhin). Eine Folge spielt ein „Assault on Precinct 13“-Szenario bei der Belagerung des Polizeireviers von Banshee durch, eine andere funktioniert größtenteils wie ein Heist-Movie mit jeder Menge POV-Einstellungen. Damit wird die stets hervorragend choreographierte und wuchtig inszenierte Action nie eintönig und ist von einer Härte, welche viele andere Actionreißer beinahe wie Kindergeburtstage aussehen lässt.
Bei der Menge an Konfliktparteien ist der hohe Actiongehalt quasi vorprogammiert, wobei die erste Staffel noch einen leichten Police-Procedural-Charakter hat, wenn auch als wesentlich düstere Variante: Da wird in einzelnen Episoden Bikern, Vergewaltigern und anderem Kroppzeug, das nur zu diesem Zweck eingeführt wird, der Garaus gemacht, während übergreifende Handlungsstränge hintanstehen müssen. In den Folgestaffeln sind die Ereignisse wesentlich mehr verzahnt, auch wenn es hin und wieder mal Folgen gibt, die etwas abseits stehen (etwa Hoods und Carries Ausflug oder der Besuch des Geldeintreibers in Season 2 oder das Auftauchen eines Gangsterbosses mit rollendem LKW-Hauptquartier in Season 3). Gerade in späteren Seasons wirken diese Episoden manchmal als Filler und bremsen den Erzählfluss etwas, aber sie sorgen zumindest fast immer für paradiesvogelartige neue Antagonisten und deren actionreiche Beseitigung.
Auf lange Sicht interessanter sind die Rivalitäten der Lokalmatadore, die einzelne Staffeln oder die ganze Serie einnehmen. Da sind die Polizei, der Bürgermeister und die Staatsanwaltschaft, welche die Kontrolle behalten wollen. Da ist der frühere Amish Proctor, dessen Nichte Rebecca Bowman (Lili Simmons) später ins Geschäft mit einsteigt, mit seiner Crew. Da ist sein Rivale, der Casino-besitzende Indianerclan unter der Führung von Alex Longshadow (Anthony Ruivivar), inklusive der gewalttätigen Gang um den Hünen Chayton Littlestone (Geno Segers) als Untergruppe. Da ist eine Militäreinheit, die Sinistres auf ihrem Gelände veranstaltet. Da ist eine Neonazi-Truppe unter der Führung des sadistischen Calvin Bunker (Chris Coy). Da ist Rabbit, der immer noch nach Hood und seiner Tochter sucht. Und da sind Hood und seine Vertrauten, die inmitten dieser Gemengelage Knete machen wollen. Es werden Allianzen geschlossen, wodurch gerade das Verhältnis des ambivalenten Proctor und des zwielichtigen Helden ein zentraler Aspekt der Serie ist, wobei natürlich klar ist: Früher oder später wird der Konflikt zwischen Fake-Sheriff und lokalem Gangsterboss so richtig lodern, egal ob zwischendrin mal Verbrüderung angesagt ist.
Diese illustren Reihen werden mit meist lebendigen Figuren gefüllt, deren Interaktion den Laden selbst dann am Laufen hält, wenn die Story zwischendrin etwas auf der Stelle tritt. Gerade Sugar und Job, die sich anfangs nicht riechen können, aber zusammenarbeiten müssen, sorgen für famose Buddy-Comedy. Mit Kurt Bunker (Tom Pelphrey), Calvins Bruder, welcher der Nazi-Ideologie abgeschworen hat, stößt in späteren Seasons ein sehr facettenreicher, interessanter Neuling zum Ensemble. Die Liebeleien Hoods dagegen sind nicht immer interessant; in erster Linie ist es sein Verhältnis zu Carrie, kompliziert durch Siobhan und Gordon als jeweils neue Partner, das hier für zwischenmenschliche Spannungen und Konflikte sorgt. Etwas unfreiwillig komisch sind dagegen jene Handlungsstränge, welche die sexuellen Obsessionen Proctors behandeln.
Dass die Figuren und ihre Konflikte funktionieren, liegt auch an den Darstellern. Antony Starr empfiehlt sich als noiriger Actionheld mit Charisma, Ivana Milicevic punktet als Frau zwischen der Vergangenheit als toughe Kriminelle und der neuen Existenz als Hausfrau und Mutter. Hoon Lees Performance als Job ist ein echter Knüller, zumal Frankie Faison ähnlich gut ist. Ebenfalls herausragend ist Ulrich Thomsen, der verhindert, dass seine Figur zu sehr ins Trashige abrutscht; Tom Pelphrey und Chris Coy als ungleiche Brüder weitere Highlights. Auch Rus Blackwell, Trieste Kelly Dunn und Geno Segers setzen Akzente, während andere Hauptdarsteller, etwa Lili Simmons, Ben Cross oder Matt Servito, zwar gut spielen, aber nicht an die Genannten heranreichen. Hinzu kommen einige Gaststars, etwa Eliza Dushku als FBI-Agentin in Season 4, welche die „Banshee“-Welt bereichern.
Dabei erweisen sich vor allem die ersten drei Season als launiger, zunehmend verzahnter Mix aus Comic-Pulp, Neo-Noir und saftigem Actionthrill, der durchaus ruppig mit seinen Figuren umgeht und auch Sympathieträger und Hauptcharaktere über die Klinge springen lässt. Mancher Handlungsstrang wird vielleicht etwas zu schnell abgehandelt werden, z.B. wenn Hood nach einem Leichenfund zu Beginn der zweiten Season nur kurzzeitig aufzufliegen droht oder die Behörden sich einmischen. Dabei erweist sich Staffel 3 als homogenste und beste der Serie, ehe Staffel 4 dann zu einem etwas anderen Konzept übergeht, aber die Konflikte der Serie auch in diesem Gewand zu einem Ende führt.
Sie spielt ein paar Jahre nach Erlebnissen der Vorgänger-Staffeln, hat eine leicht andere inhaltliche Ausrichtung, liefert jedoch unter diesen (doch eher kosmetischen) Veränderungen dann in erster Linie den gewohnten „Banshee“-Mix aus Intrigen, harter Action und derben What-the-Fuck-Momenten. Das Konzept, das mit dem Aufhänger der schönen Frauenleiche und den Rückblenden etwas an „Twin Peak“" erinnert, zurrt die Staffel tatsächlich mehr zusammen als manche Vorgänger-Season, lässt zum Ende aber nach. Die neu eingeführten Antagonisten machen dann leider nicht so viel her und sind nie weit genug in die Banshee-Intrigen verstrickt wie ihre Vorläufer. Die Season bietet ein atmosphärisch stimmiges, relativ rundes Ende für die gesamte Serie, inklusive einem großartigen Song, der die Schlussminuten untermalt, das den Zuschauer aber in mancherlei Hinsicht etwas unbefriedigt zurücklässt. Etwas schade ist, dass das Finale actionseitig etwas abfällt (gerade im Vergleich zu einer megafetten Actionsequenz in der sechsten Folge der Staffel), aber ein ähnliches Problem hatte schon die zweite Season.
Doch so groß sind die Veränderungen unterm Strich nicht, sodass „Banshee“ ein qualitativ erfreulich homogene Serie ist, die mit ihrer Mischung aus einprägsamen Figuren, derber Action, Intrigen im Kleinstadtmilieu und Noir-Einschüben für pulpige Unterhaltung sorgt. Gerade Genrefans finden in Banshee ein Nest, in dem sich fast alle Standardfiguren und -gegner des Actionfilms tummeln, in dem die nächste Schießerei oder der nächste Fight nie zu weit entfernt ist. Das ist nicht unbedingt realistisch, manchmal etwas doof, aber hat – von einigen unschönen Filler-Folgen mal abgesehen –ordentlich Schmackes. 7,5 Punkte meinerseits für nicht besonders feingeistige, nicht besonders tiefsinnige, aber durchweg unterhaltsame Pulp-Action.