Was für ein Gewächs! Um an “Bubba Ho-Tep” so heranzugehen, dass er wirkt, muss man alle Erwartungen fallen lassen. Genre-Puristen müssen ihre Fesseln lösen und sich auf ein gewaltiges Stück Interdisziplinarität gefasst machen, denn das ist Don Coscarellis Film: Von allem etwas und nichts davon so richtig, sondern etwas ganz Eigenes. “Bubba Ho-Tep” ist Melancholie. Die Melancholie des Altseins.
Den Regeln des Spiels ins Gesicht spuckend, gilt es in diesem ungewöhnlichen Film, durch eine im Hintergrund aufgezogene Abenteuerstory im Ägypten-Gewand und durch den aus der “Evil Dead”-Reihe bekannten Zynismus des Bruce Campbell eine Parabel auf die letzten Lebenstage eines Menschen aufzubauen. Statt findet das Adventure-Spektakel ausgerechnet in einem Palast der Passivität: in einem abgelegenen Altersheim irgendwo in Texas, wo sich die Rednecks Gutenacht sagen.
Unsere Hauptfigur - und das macht alleine schon die Inhaltsangabe so interessant - ist der King höchstpersönlich, Elvis Presley (Campbell). Das altägyptische Wort für diesen Status des Kings ist “Ho-Tep”, wie wir einer Texttafel zu Beginn des Films entnehmen können; “Bubba” bezeichnet derweil den Redneck des US-Südens. Der King ist aber in diesem Film weit davon entfernt, ein “Bubba Ho-Tep” zu sein, denn er fristet ein Schattendasein seiner selbst in diesem würdelosen Gewölbe, das einfach nur nach alten Menschen riecht und in dessen Gemäuern es nur einen Verbündeten gibt: Jack (Ossie Davis), ein Schwarzer, der glaubt, John F. Kennedy zu sein, der echte JFK, der in einer Verschwörung aufs Kreuz gelegt wurde. Und nachdem nun die Alten im Heim fallen wie die Fliegen, schustern sich die scheinbar einzigen beiden verbliebenen Insassen mit noch ein wenig Verstand ein Verschwörungsszenario zusammen, das ausgehend von einem Graffiti auf der Toilette und von ein paar Kakerlakenangriffen letztlich auf einen ägyptischen Pharao zurückgeht, der vor mehreren tausend Jahren starb und nun wieder auferstanden ist, um sich von den Seelen der Lebenden zu ernähren. Das jedenfalls lasen Kennedy und der King in einem Buch nach. Ihre Theorie: Die Pharao-Mumie hat sich dieses abgelegene Altenheim ausgesucht, weil der Tod der Opfer hier nicht so auffällt. Ihr Ziel, nachdem sie selbst erstmals Bekanntschaft mit dem Relikt des alten Ägyptens machten: Diese verdammte Mumie suchen und ihr den Saft abdrehen. Das Motto?
Never, but never fuck with the King!
Was sich so abenteuerlich anhört, ist allerdings in Wirklichkeit eine sehr ruhige Angelegenheit. Falsche Erwartungen sind Gift. Die eigentümliche Genialität entfaltet sich ganz woanders. Unterlegt von einem herrlich zynischen Off-Kommentar Campbells wird die Isolation alter Menschen von der Gesellschaft nachgezeichnet, und zwar aus der Sicht dieser alten Menschen - hier in Form von Elvis Presley.
Die Figur des Elvis Presley wurde mit Bedacht gewählt, um so eine Person in ihrem Verfall zu zeigen, die einstmals in Ruhm und Reichtum lebte und das Leben in vollen Zügen auskostete. Immer wieder werden schnell geschnittene Flashbacks eingefügt, die Impressionen von seinem früheren Leben zeigen: Höschen, die auf die Bühne fliegen, das Treffen des King mit seinem Double Sebastian Haff, eine gigantische Explosion des Trailers, die letztendlich dafür sorgte, dass den King das Schicksal so grauenvoll traf. Es wird eine scharfe Trennlinie gezogen zwischen dem früheren Leben und der jetzigen Vegetation, die mit gesellschaftlicher Eingliederung nichts mehr zu tun hat. Die einzigen Kontaktpersonen zur realen Welt sind die Angestellten des Altenheims und die wenigen Besucher. Die Krankenschwester des King ist eine verbohrte Nuss, die mit ihrer Afro-Soul-Stimme zu ihrem Patienten spricht wie zu einem Kind, ihn einfach nicht als vollwertigen Gesprächspartner anerkennt. Wenn sie ihn mit Gleitcreme behandelt und er zugleich erstmals seit Jahren einen Ständer kriegt, läuft sie nicht etwa schockiert davon, sondern hebt den Finger und setzt ein Gesicht der Marke “You ol’ little rascal!” auf. Die heiße Tochter eines frisch Verstorbenen bückt sich mit ihrem Minirock genau vor seiner Nase hinunter - “neither intentional nor unintentional”, wie der Off-Kommentar von Campbell verrät - für sie ist dieser alte Kerl mit der Sonnenbrille ganz einfach nicht existent, und es geht ihr schlichtweg am Arsch vorbei, das er direkt in ihr “Nest” gucken kann. Vorbei die Zeiten, als die Frauen ihm ihren Slip zuwarfen... jetzt werfen sie ihn durch ihn hindurch.
My God, man. How long have I been here?
Ganz stark sind die Momente, in denen die Kamera die Blickwinkel der Pensionäre einnimmt und den Betrachter durch ihre Augen sehen lässt. Oft wird die Ego-Perspektive von Campbell aus seinem Bett verwendet. Wir sehen die Altenheim-Mitarbeiter im Zeitraffer hin- und herfegen, dann schauen wir auf Campbells paralysiertes Gesicht, wie sich seine Augen so bewegen, als habe er Schwierigkeiten, dem Geschehen zu folgen. Die Welt ist zu schnell für diesen alten Mann geworden, der mit Krebs an seinem besten Stück kämpft und davon abgesehen schon ewig lange Zeit keinen Ständer mehr hatte (bis zu jener Gleitcremebehandlung). Dieser Mann, den man auch ans Bett hätte fesseln können; das würde kaum einen Unterschied machen. Drehen wir nun die Verhältnisse um, kann es auch sein, dass dieser alte Mann für die Welt zu langsam geworden ist. Aber es ist die Perspektive des alten Mannes, die wir einnehmen, und deswegen bewegt sich die Welt im Zeitraffer.
Die mit Linoleum ausgelegten Gänge, mit ihrem unbehaglichen Dunkelbraun, verströmen eine endgültige Atmosphäre, fast so wie die Grüne Meile, der letzte Gang. Ins Licht. Diese unheimliche Leere der Gänge wird durch ein Beatmungsgerät gebrochen, das an der Seite steht wie eine absurde Kreation der Hölle. Eine alte Frau schleicht vorbei, brabbelt sich etwas in den Bart. Sie wird auf die Maschine aufmerksam, sieht eine andere alte Frau darin, brabbelt mit ihr in derselben Sprache, für uns Zuschauer nichts als Hieroglyphen. Wo Elvis nicht in der Nähe ist, nehmen wir wieder die Position des objektiven Beobachters ein, hängen mit der Kamera ganz oben an der Decke und schauen auf die Alten herab, was geschieht. Sie scheinen sich gut zu verstehen. Plötzlich schnappt die eine Alte sich die Brille der anderen Alten und schleicht kichernd davon. Das überrumpelte, hilflose Opfer jammert noch leise “Nein!”, aber das ist ohne Bedeutung in diesen leeren Gängen.
Woanders sehen wir eine alte, schrumplige Hand, die behutsam und gemächlich in eine Pralinenschachtel greift. Die Schleife auf der Schachtel wird registriert, geschätzt, diese Schachtel ist die einzige Freude der Frau, die in sie hineingreift. Dann bemerkt sie einen Käfer unter ihrem Bett, und es ist schon ironisch: Erst in diesem letzten Kampf mit dem Käfer und anschließend der Mumie hat diese Frau wieder einen wahren Lebensinhalt gefunden, und der wird mit ihrem Leben beendet.
Ausgehend von diesem Szenario kann man die ganze Sache mit der seelenverschlingenden Mumie auch als Einbildung der beiden alten Freunde verstehen, als Widerstand gegen den Strom der Bedeutungslosigkeit, in den sich die anderen Patienten begeben hatten und schließlich daran gestorben sind. Das erklärt auch, weshalb die Herkunft der Mumie immer etwas verschleiert bleibt und abgesehen von wenigen mysteriösen Schleichgängen durch das Altersheim und ein paar Flashbacks ins alte Ägypten kaum etwas von ihr zu sehen ist. Ob nun Phantasiekonstrukt oder Realität, es fördert die Abtrennung von der Gesellschaft, denn diese wird von der Mumie in keiner Szene bedroht. Obwohl die Mumie die Krankenschwester einmal mit der klassischen Slasher-Beobachterperspektive beobachtet. Für Interpretationen ist hier alles offen, denn mitunter könnte man sie sogar als Personifizierung des Todes betrachten - denn sie kommt, um die alten Menschen zu holen; ganz ungeachtet der Tatsache, dass sie dies tut, um sich selbst zu regenerieren.
Mit dem perfekten Soundtrack wird das Komplettwerk quasi marmoriert. Stets ertönt melancholische Melodie, wenn Elvis und Kennedy im Gang stehen und zusehen, wie der nächste Tote abtransportiert wird oder wenn Elvis seine Gedanken kreisen lässt. Enthalten sind Elemente von Presleys Musik, die in der traurigen Grundstimmung in schmerzhafter Nostalgie versinken und sich dadurch mit dem verbinden, was sich durch den Zynismus des Off-Kommentars ergibt: ein Aufrechtstehen in einer Zeit, in der man eigentlich auf dem Boden liegen sollte.
Im Gegensatz dazu ertönt klangdichte, unverfälschte Countrymusik und Südstaatensound immer dann, wenn das “echte” Leben gezeigt wird. Wie etwa in der Szene, als die beiden Transporteure die Leichen in den Wagen schieben, als einer nachdenklich wird und fragt, was dieser Mensch der Welt wohl vermacht haben mag, als sein Kollege entgegnet “I don’t give a shit” und die Tür zuknallt.
Der komplette Film ist in erster Linie als Präsentation von Schauspielkunst und Kreation von Charakterunikaten zu verstehen. Und damit sticht Bruce Campbell hervor. Man hätte es ganz sicher nicht mehr erwartet, aber er erschafft mit Coscarellis Hilfe seine neue Paraderolle und damit gelingt es ihm, sich endgültig von seiner Rolle als Ash zu emanzipieren. Natürlich steht der kommerzielle Erfolg dafür noch aus, aber die These ist zweifellos nicht übertrieben. Campbell geht auf in seiner Aufgabe, den King als gealterten Menschen zu zeigen, der sich gegen sein eigenes Schicksal auflehnt. Mit Haut und Haar spielt er jeden Trumpf seines Könnens aus, um eine Figur zu schaffen, die schlichtweg einzigartig ist. Er bedient sich seines Off-Kommentars, des darin enthaltenen Südstaatenslangs, seiner Mimik, die hinter einer Maske aus Falten und Runzeln an Authentizität verliert, ganz so wie es beabsichtigt ist, und in seiner Gestik, die so zerbrechlich und gleichermaßen so entschlossen wirkt. Es ist sein Film, und es wäre ihm zu wünschen, dass seine Leistung auch in der Breite anerkannt wird, denn verdient hat er es allemal.
“Bubba Ho-Tep” ist der letzte Kreuzzug zweier Männer, die nach einem aufregenden Leben am Ende ihres Weges angelangt sind und sich mit dem Nichts konfrontiert sehen. Don Coscarelli schafft es, uns durch kleine Kniffe die Sichtweise alter Menschen nachfühlen zu lassen und eine einzigartige, melancholische Grundstimmung aufzubauen, die im Endeffekt so etwas wie Mitleid hervorruft, mit dem Schlusswort aber auch Erleichterung, die uns also kurz gesprochen berührt. Eine fortlaufende Storyentwicklung hat dieser Film überhaupt nicht nötig, um zu wirken; es ist immerhin keine Geschichte über das Älterwerden, sondern über das Altsein, also über einen Zustand und keinen Prozess. Der Mumien-Subplot gerät dadurch in den Hintergrund und kann als reales Element oder als symbolische Auseinandersetzung der Hauptdarsteller mit ihrem Geist verstanden werden, das ist dem Zuschauer vorbehalten; nicht jedoch sollte er sich auf dieses Element als das tragende verlassen, denn die Mumie spielt wirklich nur eine untergeordnete Rolle in diesem Porträt zweier alter Menschen, das vielmehr in einer Spirale aus Ruhe und Sanftheit aufgeht.