Graue Menschen in einer grauen Umgebung. Menschen die so viel Elend durchlitten haben, dass sie abgestumpft sind gegenüber allem was auch nur in die Nähe der Begriffe Glück oder Liebe kommen könnte. Verlorene und einsame Seelen auf der Suche nach dem Glück. Glück? Was ist das? Ist das da wo wir herkommen? Nein, da war keines, das hätte ich gesehen. Na dann schauen wir doch mal da drüben …
Manchmal gibt es Lebensläufe, bei denen die Menschen sofort verloren haben. Simon Lacassaigne ist der Sohn des Anführers der berüchtigten Citroën-Bande, und als solcher hatte er quasi die Verpflichtung, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. Françoise ist eine Luxushure, die sich darauf verlegt hat mit reichen Männern ins Bett zu gehen, um sie hinterher von einem als Privatdetektiv auftretenden Bekannten fotografieren zu lassen und sie dann zu erpressen. Sowohl Simon wie auch Françoise müssen abtauchen und lernen sich auf einem einsamen Hof auf dem Land kennen. Aber auch dort werden sie von der Polizei aufgespürt, und sie müssen erneut flüchten. Weiter und weiter, immer die Polizei auf den Fersen, immer nur von Überfällen lebend und dadurch kann niemals die Spur verwischt werden. Eine Reise, die von Paris über Cannes und Le Havre bis nach Quebec und New York führen wird. Zumindest sollte sie das, denn der Weg ist weit, und es gibt viele Polizisten zwischen Cannes und New York. Und nicht nur Polizisten, denn wenn dann endlich mal alles gut läuft, dann fällt irgendeinem Arschloch bestimmt ein die wunderschöne Françoise blöd anzumachen, damit Simon gezwungen ist die Pistole zu ziehen. Aufzufallen. Und die Polizei aufmerksam zu machen …
Es ist eine weite Reise, die weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet, weswegen sich Simon und Françoise irgendwann fast zwangsläufig näherkommen. Die Annäherung zweier sehr einsamer Seelen, die nichts haben außer sich selbst, wird von Großmeister Claude Lelouch in grauen und Bildern und narrativ sehr spröde umgesetzt, ist aber dabei tatsächlich spannender als man unterwegs merkt. Erst am Ziel, wenn man aus diesem immer ruhiger und grafisch trister werdenden Road Movie aufwacht, erst dann kann man feststellen, dass das Schicksal dieser beiden gepeinigten Menschen einem sehr nahe geht, und Claude Lelouch genau die richtigen Bilder und (Zwischen-) Töne dafür findet. Simon ist nicht unbedingt der knallharte Gangster als der er eingeführt wird, sondern durch den frühen Verlust seiner Eltern ein zutiefst verletzter Mensch, der Annäherungen frühzeitig und professionell abblockt. Knarre raus und Geld her, das ist seine Welt. Mehr kennt er auch gar nicht, zu etwas anderem hatte er nie eine Chance. Erst Françoise bricht diese Schale auf, ungewollt zwar, aber Simon erkennt in ihr, ohne es benennen zu können, eine Gleichgesinnte. Einen Menschen wie ihn. Einsam, hart, zurückgezogen. Françoise wurde nach einer Gruppenvergewaltigung so, ein Trauma, welches sie aus begreiflichen Gründen nie ablegen konnte. Auch sie hat einen Panzer um sich herum gebaut, sie besteht aus Hass und Kälte. Ihr erklärtes Ziel ist es, alle Männer zu vernichten. Punkt. Und Simon, ausgerechnet der harte und immer überlegen scheinende Simon, der immer einen Ausweg weiß und immer vorwärts drängt, überwindet den Stillstand in Françoise. Françoise erkennt in Simon ebenfalls einen Gleichgesinnten, und bei aller Abneigung gegen die Männer begreift sie, dass Hass und Liebe eigentlich das gleiche sind, es kommt nur auf die Ausprägung des Gegenübers an.
ALLEIN ZU ZWEIT ist eine Ballade über die Einsamkeit, eine Ode auf die graue und einförmige Umwelt, eine Einladung zu einer Reise durch Tristesse und Gewalt. Und wo der Film noch mit Blut und Schießerei und Lärm beginnt, da endet er mit einer hässlich-hypnotischen Ansicht von New York. Die Wellen haben sich gelegt, Ruhe kehrt ein, und auf Ruhe kann, hoffentlich, Frieden folgen. Erst zu diesem Zeitpunkt realisiert der Zuschauer, dass er einen ganz außergewöhnlichen Film gesehen hat. Eine Gangsterballade über zwei einsame Menschen. Einen romantischen Liebesfilm über Ausgestoßene der Gesellschaft. Von der ganzen Anlage und Stimmung her ein Film, der, so sprunghaft er zu Beginn, und so spröde er zum Ende daherkommt, von der Liebe zu den Menschen und zum Leben erzählt. Und dessen Tempo und Ausstrahlung mit seinen Hauptfiguren zusammen im Lauf der Reise eine unglaubliche Wandlung erfährt. Ein Zuhause finden. Zur Ruhe kommen. Ankommen …
Und noch etwas Besonderes hat ALLEIN ZU ZWEIT zu bieten: 1975 drehte Claude Lelouch die Gangsterballade DER GUTE UND DIE BÖSEN. Es geht um die Citroën-Bande, und in den männlichen Hauptrollen sind Jacques Dutronc und Jacques Villeret als Gründer dieser Gang zu sehen, die mit dem Polizisten Bruno Cremer ein langwährendes Katz und Maus-Spiel spielen. Der Grundton ist dabei zu Beginn sehr ausgelassen, mehr wie eine Gangsterkomödie, aber im Lauf des Films wird der Ton immer düsterer und brutaler, und das Ende ist ein schlimmer Schlag in die Magengrube des Zuschauers. In ALLEIN ZU ZWEIT, der in etwa dort ansetzt, wo DER GUTE UND DIE BÖSEN aufhört, spielen Dutronc und Villeret genau die gleichen Rollen wieder, Jaques Dutronc agiert hier sogar als der alte Gangster und als sein eigener Sohn! Eine große Geschichte über zwei Generationen und zwei Filme hinweg wird erzählt, und beide Male machen die Charaktere und die Zuschauer eine Entwicklung mit. Eine Reise, die in DER GUTE UND DIE BÖSEN in die Finsternis führt, und in ALLEIN ZU ZWEIT wieder ans Tageslicht zurückkommt. Eine Reise durch die Geschichte Frankreichs, aber auch durch die Entwicklung der Gesellschaft und ein paar ihrer Mitglieder.
Der Atem, den Lelouch mit diesen beiden Filmen zeigt, beeindruckt zutiefst. Und die Bilder in beiden Filmen noch viel mehr. ALLEIN ZU ZWEIT ist eine unbedingte Empfehlung für alle, die hinter den Bildern auch gerne gute Geschichten erzählt bekommen, mit denen man sich länger beschäftigen kann.