Review

Kolyma und Gagarin sind beste Freunde. Gemeinsam wachsen sie unter der Aufsicht von Großvater Kuzya (John Malkovich) in einem verlassenen Winkel der Sowjetunion auf. Sie gehören den Urki an, einem aus Sibirien stammenden Verbrecher-Clan. Gemeinsam gehen die Jungen durch die Schule des ehrenhaften Verbrechens, wie die Urki es verstehen. Sie lernen Diebstahl, Banditentum und den Umgang mit Waffen. Großvater Kuzya wacht über die Einhaltung des strengen Ehrenkodex, der seit Generationen im Clan herrscht. Doch sieben Jahre im Gefängnis machen aus Gagarin einen einsamen jungen Mann, der dem Reiz des schnellen Geldes durch unehrenhafte Verbrechen erliegt. Die ehemaligen Freunde stehen sich schließlich als Todfeinde gegenüber, getrennt durch den Ehrenkodex des Clans…


"Sibirische Erziehung" basiert auf dem Roman von Nicolai Lilin, in dem der Autor sein Leben in einem sibirischen Verbrecher-Clan (Urki) beschreibt. Die filmische Umsetzung von Gabriele Salvatores nimmt sich dieses Clans an und stellt dabei die beiden Hauptfiguren Kolyma und Gagarin in den Vordergrund, die unter der Aufsicht des Patriarchen Kuzya aufwachsen und dabei wirklich alles lernen, was zum Ehrenkodex der Gruppierung gehört. Die Geschichte präsentiert sich dabei auf drei verschiedenen Zeitebenen, denn eigentlich in der Gegenwart angesiedelt, erstreckt sich der Hauptteil des Geschehens doch auf lange Rückblenden in die Vergangenheit, die in der Zeit von 1985-1995 angesiedelt sind. Man bekommt etliche Passagen aus der Kindheit der beiden Hauptfiguren serviert, um dann auch immer wieder Szenen zu zeigen, in denen man mit den jugendlichen Protagonisten konfrontiert wird. Die Übergänge der einzelnen Ebenen sind fließend und bei manch einem könnte das in den ersten Minuten eventuell für leichte Verwirrungen sorgen, da die Geschichte doch einige Minuten benötigt, bevor man sich so richtig in sie hineinversetzen kann. So ist es beispielsweise gewöhnungsbedürftig den zum Mann gereiften Kolyma in der Gegenwart in der Uniform einer russischen Spezialeinheit zu sehen, denn in den langen Rückblenden wird dem Zuschauer doch eindrucksvoll eingeimpft, das jede Art von Staats-Bediensteten als größter Feind des Clans eingestuft wird.

Dieser erste Eindruck verflüchtigt sich allerdings recht schnell, denn mit zunehmender Laufzeit erhält man einen stetig tiefer gehenden Einblick in die Strukturen der Gruppierung und erhält dabei faszinierende Eindrücke über Dinge wie Loyalität, Ehre und insbesondere den strengen Kodex, der sich über Generationen hinweg manifestiert hat. Ganz generell lebt "Sibirische Erziehung" weniger von Action, als vielmehr von einer ungeheuer interessanten Erzählung, die beim Betrachter eine unglaublich hohe Authenzität hinterlässt. Man kann sich immer besser in die Abläufe hinein versetzen und empfindet sogar jede Menge Sympathie für die meisten der Charaktere, obwohl es sich bei ihnen letztendlich um Verbrecher handelt. Dennoch muss man an dieser Stelle differenzieren, denn die Unterschiede zwischen gewöhnlichen Banditen und dem Urki-Clan werden hervorragend rausgearbeitet und geben sich insbesondere in den beiden Hauptfiguren Kolyma und Gagarin zu erkennen. Während erstgenannter nämlich das Paradebeispiel eines Sibiriers darstellt und die vom Großvater erlernten Werte auslebt kann Gagarin nach einem Gefängnisaufenthalt nicht weiter nach den strengen Regeln leben und verfällt dem gewöhnlichen Verbrechen. Was sich hier ziemlich eindeutig und gradlinig anhört, wird einem durch die zeitlich gesehen ineinander verschachtelte Geschichte Stück für Stück näher gebracht, so das man auch jederzeit mit den nötigen Hintergrundinformationen versorgt wird, die zu dieser charakterlichen Wandlung von Gagarin geführt hat. Was in den ersten Minuten durch die Erzählweise der Abläufe noch eher mühsam erschien, entwickelt sich immer mehr zu einer nahezu herausragenden Geschichte, die um ihre volle Intensität und Glaubwürdigkeit entfalten zu können, fast schon zwingend auf den verschiedenen zeitlichen Ebenen erzählt werden muss.

Nur so ist es möglich die volle Stärke dieses Werkes zu erkennen, die jedoch nicht ausschließlich auf inhaltlicher Ebene zu suchen ist. Zudem sind es nämlich die großartig aufspielenden Akteure, die den jeweiligen Figuren eine echte Seele einhauchen und besonders John Malkovich hat in der Rolle des Clan-Oberhauptes einen nachhaltigen-und vor allem glaubwürdigen Eindruck hinterlassen. Dreh-und Angelpunkt des Ganzen ist aber dennoch Arnas Fedaravicius (Kolyma), denn fast alle Ereignisse drehen sich um den jungen Mann, der ganz am Ende des Filmes seinem ehemaligen Freund Gagarin als erbitterter Feind gegenüber steht. Das es zum Schluss zu diesem ultimativen Showdown kommen würde wird während des Filmes ganz eindeutig ersichtlich. Achtet man nämlich auf die immer wieder in den Vordergrund rückenden Begriffe wie Ehre, Freundschaft und Kodex, dann ergibt sich mit der Zeit ein lückenloses Gesamtbild, das letztendlich keinen anderen Schluss zulässt, als das sich die beiden jungen Männer als Gegner gegenüber stehen. Auch die Figur der jungen Xenya zeichnet dafür mit verantwortlich, allerdings nimmt die junge Frau dabei einen gänzlich anderen Stellenwert ein, als manch einer das im ersten Momenten zu vermuten vermag. Ich will an dieser Stelle aber nicht näher darauf eingehen, da ansonsten doch ein wenig von der Spannung genommen wird, die in der vorliegenden Geschichte ganz hervorragend aufgebaut wird.

Alles zusammen genommen ist "Sibirische Erziehung" ein in allen Belangen mehr als überzeugendes Drama das nicht nur eine faszinierende Geschichte erzählt, sondern dem Zuschauer auch glaubwürdig das Leben in einem Verbrecher-Clan näher bringt, der sich doch irgendwie wohlwollend von anderen Gruppierungen abhebt. So hat man eigentlich eher selten den Eindruck es mit echten Banditen zu tun zu haben, sondern vielmehr mit Menschen, deren Regeln und Lebensart seit Generationen gefestigt sind und auch nach dem Zerfall der ehemaligen Sowjetunion immer noch Bestand haben. Tiefe Einblicke in die Strukturen und grandios aufspielende Darsteller zeichnen hier ein Höchstmaß an Glaubwürdigkeit und machen diesen Film zu etwas ganz Besonderem. Regisseur Gabriele Salvatores hat so also ein beeindruckendes Werk auf die Beine gestellt das fast ohne jegliche Action eine immense Intensität freisetzt und dem Zuschauer auch größtenteils wirklich unter die Haut kriecht. Wer also ein hoch-qualitatives Drama zu schätzen weiß kann hier definitiv nichts verkehrt machen, denn "Sibirische Erziehung" bleibt nachhaltig im Gedächtnis haften und bietet eine dramatische Story, die zudem auch noch recht nachdenklich stimmt.


Fazit:


Ohne größere Erwartungen bin ich im Vorfeld an dieses Werk heran gegangen und wurde mit einer Geschichte belohnt, die in allen Belangen stimmig erscheint. Intensiv und faszinierend wird einem das Leben einer Gruppierung erzählt, in der Begriffe wie Freundschaft und Ehre eine ganz andere Bedeutung haben als wie man es höchstwahrscheinlich gewohnt ist. Wer gegen die Regeln verstößt wird gnadenlos bestraft und auch dieser Aspekt wir in vorliegendem Szenario eingehend beleuchtet. Und so kann man im Endeffekt nur eine ganz dicke Empfehlung aussprechen, denn "Sibirische Erziehung" ist definitiv ein Werk, das man sich auch gern mehrmals anschauen kann.


9/10

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